Analyse

Prävention auf Twitter kann Suizide verhindern

Ein Wiener Forschungsteam hat mit einer neuen Methode insgesamt mehr als sieben Mio. Beiträge auf der Onlineplattform Twitter zum Thema Suizid und Suizidprävention analysiert. Dabei zeigte sich, dass in Zeiten, in denen viel auf Hilfsangebote und Erfahrungsberichte hingewiesen wurde, die Suizidrate sank.

Die Studien zur Forschungsarbeit des Teams um Thomas Niederkrotenthaler und Hannah Metzler von der Medizinischen Universität Wien und vom Complexity Science Hub (CSH) Vienna sind in den Fachzeitschriften „Australian & New Zealand Journal of Psychiatry“ sowie im „Journal of Medical Internet Research“ erschienen. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen identifizierten und durchforsteten dafür insgesamt 7.150.610 Twitter-Kurznachrichten aus den USA, die im Zeitraum zwischen 1. Jänner 2016 und 31. Dezember 2018 im Zusammenhang mit dem Thema Suizid abgesetzt wurden.

Mehr Hilfe gesucht

Mit Hilfe ihres neuen, auf Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) fußenden Ansatzes konnte das Team nicht nur nach Schlagwörtern suchen, sondern u.a. auch deren Stellung im Tweet berücksichtigen. Mit der Herangehensweise konnten die Beiträge in Kategorien wie „Prävention“, „Suizidbewusstsein“, „persönliche Suizidgedanken ohne Bewältigungsstrategien“, „persönliche Bewältigung und Genesung“ etc. eingeordnet werden.

Die jeweilige Tweet-Verteilung wurde dann mit Daten zu den täglichen Anrufen bei der US-amerikanischen Präventionshotline „Lifeline“ und den täglich gemeldeten Suizidzahlen verglichen. Die Arbeit sei nun „die erste groß angelegte Studie, die darauf hindeutet, dass das tägliche Volumen spezifischer auf die Suizidprävention bezogener Tweets mit einem höheren täglichen Niveau von hilfesuchendem Verhalten und einer geringeren täglichen Anzahl von Suizidtoten einhergeht“, so Niederkrotenthaler. Bei den Anrufen bei der Hotline sei der Effekte allerdings größer als bei den Suizidzahlen, erklärten die Forscher gegenüber der APA.

Chance für Prävention

Dies sehen sie als Bestätigung für den „Papageno-Effekt“. Positiv wirkten vor allem „Tweets über die eigene Bewältigung einer suizidalen Krise“. Gerade diese Art der Kurznachrichten zeitige relativ große Effekte auf Hotline-Anrufe. „Leider sind diese Tweets noch sehr selten – darin liegt eine Chance für die Prävention“, so Metzler und Niederkrotenthaler.

Hilfe im Krisenfall

Berichte über (mögliche) Suizide können bei Personen, die sich in einer Krise befinden, die Situation verschlimmern. Österreichweit und in den Bundesländern gibt es Anlaufstellen, die Rat und Unterstützung im Krisenfall anbieten.

Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen. Hilfe für Jugendliche und junge Erwachsene bietet auch Rat auf Draht unter der Nummer 147.

Allerdings fand sich in der Analyse auch ein Beleg für den „Werther-Effekt“, wonach durch viele Medienberichte – inklusive Social Media-Postings – über Suizide gefährdete Menschen eher in ihrer suizidalen Stimmung bestärkt werden und die Selbsttötungszahlen steigen können. Dieser Effekt sei zwar insgesamt klein, schlage aber am ehesten dann durch, „wenn im Kontext von aufsehenerregenden Suiziden sehr viel in sozialen Medien gepostet wird“.

Die Untersuchung hat das Wiener Team im Auftrag einer US-NGO durchgeführt. Im Gegensatz zu Europa sind in den USA die Suizidraten in den vergangenen 20 Jahren nämlich im Steigen begriffen. Die grundlegenden Muster, die man hier herausgearbeitet hat, würden sich laut Metzler und Niederkrotenthaler aber wahrscheinlich auch in unseren Breiten zeigen.