Buch

Afrikanische Zuwanderung zwischen Achtung und Ächtung

Über 2.000 Jahre reicht die Geschichte von Menschen afrikanischer Herkunft in Österreich zurück. In seinem neuen Buch „Jenseits von Soliman“ arbeitet sich der Historiker Walter Sauer durch die Epochen. Das Gesamtbild zeigt ein erstaunliches Auf und Ab zwischen Achtung und Ächtung.

Die „maurischen Reiter“ als Elitetruppe des römischen Heeres in Noricum und Pannonien stehen am Anfang einer langen Geschichte, aber auch einzelne Belege für römische Offiziere, die offensichtlich aus afrikanischen Provinzen stammten, hat Walter Sauer vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien gesammelt. Lange scheint das Auftauchen von Menschen mit dunkler Hautfarbe zwar ein außergewöhnliches Ereignis, aber mehr von Neugier als von Abwertung begleitet gewesen zu sein. Noch Jahrhunderte später war das Auftreten solcher Menschen zwar eine absolute Ausnahmeerscheinung, doch waren die Reisenden, ob sie aus religiösen, wirtschaftlichen oder politischen Motiven unterwegs waren, scheinbar keine Projektionsflächen für rassische oder soziale Konzepte.

Buchhinweis

„Jenseits von Soliman. Afrikanische Migration und Communitybuilding in Österreich – eine Geschichte“, mit einem Beitrag von Vanessa Spanbauer. StudienVerlag, Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, Band 63, ISBN 978-3-7065-6269-0

Mit den Kreuzzügen änderte sich dies – und wie immer gediehen die bewusst geschürten Vorurteile dort besonders gut, wo es keine oder kaum Möglichkeit gab, in persönlicher Konfrontation diese zu verifizieren oder zu falsifizieren. So wenig schriftliche Dokumente über konkrete dunkelhäutige Personen in Gebiet des heutigen Österreich aus dieser Zeit zu finden sind, so sehr bezieht Sauer die Kunstgeschichte bzw. die christliche Ikonographie in seine Untersuchung mit ein. „Mohrenkönige“ und äthiopische Priester finden sich zunehmend in religiösen Darstellungen: Die „Heiligen Drei Könige“ hinterlassen seit Jahrhunderten ihre Spuren in der Kunst.

Von Wert- zu Geringschätzung

Doch die Neuzeit machte die Wertschätzung zur Geringschätzung. Das Zeitalter der Kolonien und des Sklavenhandels ließ sich nur auf der Deklassierung von in Afrika geborenen Menschen begründen, und Sauer belegt, dass Österreich keineswegs unbelastet durch diese Zeit gekommen ist – eine Erkenntnis, die ja auch schon in der Debatte um Raubkunst aus kolonialen Zusammenhängen eine Rolle gespielt hat. Sauer ist auch Mitglied jener internationalen und interdisziplinären Kommission, die bis Frühjahr 2023 Richtlinien für den Umgang mit in Bundesmuseen befindlichen derartigen Objekten erarbeiten soll.

Erstaunlich viele einzelne Namen werden aus dem 18. und 19. Jahrhundert angeführt, und erstaunlich selten lassen sich aus den vorliegenden Dokumenten echte Lebensgeschichten rekonstruieren – die auch in Literatur und Film bereits vielfach behandelte Geschichte des Angelo Soliman ausgenommen. Und gerade dessen Schicksal wurde zum grausamen Beispiel, wie prekär die Situation der einzelnen Schwarzen Menschen hierzulande gewesen sein muss: Ausgerechnet jener, der wie kein anderer gebürtiger Afrikaner dieser Zeit zu Stellung und Ansehen in der österreichischen Gesellschaft gelangt war, landete nach seinem Tod 1796 als ausgestopfter halbnackter „Wilder“ im kaiserlichen Naturalienkabinett.

Pseudowissenschaftliche Rassenlehre

Dabei stand das echte Grauen noch bevor, das 20. Jahrhundert mit einer pseudo-wissenschaftlichen Rassenlehre, die aus der angeblich biologisch begründeten Überlegenheit der „arischen Rasse“ heraus zur systematischen Unterdrückung und Vernichtung anderer Menschen aufrief. Weil „Jenseits von Soliman“ den Ehrgeiz hat, ein echtes Standardwerk zur Geschichte afrikanischer Zuwanderung und Diaspora in Österreich zu sein, wird auch die Zweite Republik behandelt und mit ihr die Erfahrungen der Besatzungssoldaten.

Ereignisse wie die Tötung des Marcus Omofuma oder die „Operation Spring“ machten weiterhin vorhandenen systemischen Rassismus sichtbar und führten schließlich im Zuge der #Blacklivesmatter!-Bewegung auch zu einer Verstärkung der Selbstorganisation der afroösterreichischen Communities und deren Bestreben um mehr Gerechtigkeit und Sichtbarkeit. Vanessa Spanbauer schließt mit ihrem Beitrag „Über Zweite Generationen und ihre Teilhabe“ das Buch, das als Band Nr. 63 der Forschungen und Beiträge zur Wiener Landesgeschichte erschienen ist, in der Gegenwart ab.