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Casimiro – stock.adobe.com
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Studie

Warum Antidepressiva alle Gefühle dämpfen

Antidepressiva sind ein wichtiger Baustein in der Behandlung von Depressionen. Einige gängige Medikamente können aber dazu führen, dass sich die Betroffenen abgestumpft fühlen und auch positive Gefühle kaum noch wahrnehmen. In einer Studie wurde nun untersucht, warum das so ist.

Eine besonders häufig eingesetzte Gruppe von Antidepressiva sind SSRI (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer). Diese Medikamente sorgen dafür, dass sich die Konzentration des Botenstoffs Serotonin im Gehirn erhöht und dort die Stimmungslage beeinflusst. Damit wirken sie zwar gegen Depressionen, können aber auch zum emotionalen Abstumpfen führen – eine der am häufigsten berichteten Nebenwirkungen von SSRI.

Dabei berichten Betroffene, dass sie Gefühle nur noch dumpf wahrnehmen, auch die positiven. Bei 40 bis 60 Prozent der Patientinnen und Patienten, die SSRI einnehmen, zeigt sich diese Nebenwirkung. Warum es dazu kommt, untersuchte nun ein Forschungsteam der Universität Cambridge in Zusammenarbeit mit der Universität Kopenhagen.

Auch in Österreich häufig verschrieben

Zur Gruppe der SSRI gehört das Medikament Escitalopram, das als gut verträglich gilt und auch in Österreich häufig verschrieben wird. Dieses Antidepressivum stand im Mittelpunkt der Studie, die heute im Fachjournal „Neuropsychopharmacology“ veröffentlicht wurde. Das Team um die Studienautorinnen Barbara Sahakian und Christelle Langley von der Fakultät für Psychiatrie der Universität Cambridge untersuchte, welche Auswirkungen die Einnahme von Escitalopram über mehrere Wochen auf gesunde Freiwillige hatte.

Insgesamt nahmen 66 Personen an der Studie teil: 32 von ihnen erhielten das Antidepressivum, während die anderen 34 ein Placebo bekamen. Während des dreiwöchigen Experiments füllten die Versuchspersonen Fragebögen zur Selbsteinschätzung aus. Zudem wurden durch eine Reihe von Tests ihre kognitiven Fähigkeiten bewertet, geistige Fähigkeiten also, die der Mensch benötigt, um die verschiedensten Aufgaben zu bewältigen. Dazu gehören etwa Aufmerksamkeit, Lernen, Erinnerung, Kontrolle und Entscheidungsfindung.

Weniger Aufmerksamkeit für Feedback

Das Forschungsteam konnte weder bei kognitiven Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit und Erinnerung, noch bei kognitiven Fähigkeiten, die die Gefühle betreffen, erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Versuchsgruppen feststellen. Nur bei einer Fähigkeit zeigte sich ein deutlicher Unterschied: dem Lernen durch Verstärkung. Das bedeutet, dass der Mensch durch Reaktionen auf sein Verhalten lernt. Bei jener Gruppe, die Escitalopram einnahm, war diese Sensibilität für Feedback aus der Umgebung geringer als bei der Placebo-Gruppe.

Untersucht wurde dies anhand einer Aufgabe, bei der den Versuchspersonen zwei verschiedene Anreize präsentiert wurden: A und B. Wählten sie A, erhielten sie vier von fünf Mal eine Belohnung. Wählten sie B, erhielten sie nur ein von fünf Mal eine Belohnung. Irgendwann im Verlauf des Experiments wurden die Wahrscheinlichkeiten umgekehrt und die Versuchspersonen erhielten bei Anreiz A nur noch ein von fünf Mal eine Belohnung, bei Anreiz B hingegen vier Mal.

Gleichgültig gegenüber Belohnungen

Jene Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die das Antidepressivum einnahmen, nutzen weder das positive noch das negative Feedback, um die Regeln zu erlernen. Ganz im Gegensatz zur Placebo-Gruppe: Hier wurden die Regeln schnell verinnerlicht – mit dem Ziel mehr Belohnungen zu erhalten. Das deute darauf hin, heißt es in der Studie, dass das Antidepressivum die Sensibilität für Belohnungen und die Fähigkeit, entsprechend zu reagieren, beeinträchtigt.

Dieses Ergebnis könnte auch den einzigen Unterschied zwischen den beiden Versuchsgruppen erklären, den das Team in den Fragebögen mit Selbstauskünften feststellte: Die Versuchspersonen, die Escitalopram einnahmen, hatten mehr Schwierigkeiten, beim Sex zum Höhepunkt zu kommen – eine Nebenwirkung, über die Patientinnen und Patienten häufig berichten und die auch im Beipackzettel des Medikaments aufgelistet ist.

„Nehmen auch Teil der Freude“

„In gewisser Weise ist das emotionale Abstumpfen vielleicht ein Teil der Wirkungsweise von SSRI – sie nehmen Menschen, die unter Depressionen leiden, einen Teil des emotionalen Schmerzes, aber leider sieht es so aus, dass sie auch einen Teil der Freude nehmen“, so Studienautorin Barbara Sahakian. Belohnungen seien ein wichtiges Feedback, und aus der Studie gehe hervor, dass Patienten und Patientinnen, die SSRI einnehmen, weniger darauf reagieren. Und das führe zu emotionaler Abstumpfung.

Die Studie liefere jedenfalls „wichtige Hinweise auf die Rolle von Serotonin beim Lernen durch Verstärkung“, so Studienautorin Christelle Langley. Durch Neuroimaging – ein Verfahren, mit dem das Gehirn bildhaft dargestellt wird – wollen die Forscherinnen in einer weiteren Studie im Detail untersuchen, wie Escitalopram das Gehirn während des Lernens durch Verstärkung aus der Umgebung beeinflusst.