Nyayanga bei Ausgrabungsarbeiten im Jahr 2016
J.S. Oliver, Homa Peninsula Paleoanthropology Project
J.S. Oliver, Homa Peninsula Paleoanthropology Project
Steinwerkzeuge

Älteste „Fleischhauerei“ entdeckt

Forscherinnen und Forscher haben die wahrscheinlich ältesten bisher bekannten Steinwerkzeuge gefunden – in einer Art „Fleischhauerei“ in Kenia, in der anscheinend schon vor rund drei Millionen Jahren Tiere wie die frühen Vorfahren von Flusspferden zerlegt wurden. Wer die Werkzeuge benutzt und erschaffen hat, gibt aber noch Rätsel auf.

Das Aufkommen von Steinwerkzeugen gilt als einer der wichtigsten Meilensteine in der menschlichen Evolution. Mit ihnen war es unseren Urahnen erstmals möglich, Tiere und Pflanzen effektiv zu verarbeiten. „Dieser Entwicklungsschritt war enorm, denn er ermöglichte es unter anderem, mehr Nahrung aus den Tieren rauszuholen als nur mit den Zähnen“, erklärt die Archäologin Emma Finestone vom Naturhistorischen Museum in Cleveland (USA) gegenüber science.ORF.at.

Auf den Spuren der Oldowan-Kultur

Finestone war Teil eines Forschungsteams um den Archäologen Thomas Plummer, das in Kenia nach Fossilien und Überbleibseln der Oldowan-Kultur suchte. Experten gingen bisher davon aus, dass diese vor rund 2,6 Millionen Jahren die ersten Steinwerkzeuge herstellte. Ihr Name leitet sich von einer Schlucht im ostafrikanischen Tansania ab, in der viele der Steinwerkzeuge erstmals entdeckt wurden.

In einer Ausgrabungsstätte namens Nyayanga in Kenia konnte das Forschungsteam um Plummer nun aber vermutlich noch ältere Werkzeuge finden. Sie könnten zwischen 2,6 und 3 Millionen Jahre alt sein. „Sehr viel deutet darauf hin, dass sie eher älter sind als die eher konservativ geschätzten 2,6 Millionen Jahre“, sagt Finestone. Da die in Kenia gefundenen Werkzeuge der Oldowan-Technologie sehr ähneln, gehen die Forscherinnen und Forscher davon aus, die bisher ältesten Überreste dieser Kultur gefunden zu haben.

Beispiele der in Nyayanga gefundenen Steinwerkzeuge
T.W. Plummer, J.S. Oliver, and E. M. Finestone, Homa Peninsula Paleoanthropology Project
Beispiele der in Nyayanga gefundenen Steinwerkzeuge

Rätselraten um älteste Funde

Ob es sich tatsächlich um die bisher ältesten Funde dieser Art handelt, ist aber nicht ganz klar. Vor einigen Jahren wurden in Kenia beispielsweise Werkzeuge mit einem Alter von rund 3,3 Millionen Jahren gefunden. Lange wurde die Entdeckung ebenfalls der Oldowan-Kultur zugeschrieben, mittlerweile gehen Experten aber eher davon aus, dass es sich dabei um primitivere Formen der Werkzeuge gehandelt hat, die vielleicht sogar noch von Affen genutzt wurden.

Die in Nyayanga gefundenen Steinwerkzeuge zeichnen sich, wie auch die Werkzeuge der Oldowan-Kultur, durch sehr scharfe Kanten aus, die durch Schläge und das gezielte Absplittern des Materials entstehen.

Schweinezähne und Flusspferdknochen

Neben den Steinwerkzeugen haben die Forscherinnen und Forscher in Nyayanga auch die fossilen Überreste verschiedener Tiere gefunden. Darunter waren etwa Schweinezähne und Knochen von frühen Vorfahren der Flusspferde.

Die Funde sind aus verschiedenen Gründen relevant für die Forschung. Die Schweinezähne haben etwa dabei geholfen, das ungefähre Alter der Ausgrabungsstätte zu bestimmen. „Im Lauf der Zeit haben sich die Zähne der verschiedenen Schweinearten immer wieder verändert – deswegen und anhand anderer Untersuchungen war es uns möglich, das Alter der Überreste aus Kenia ungefähr einzugrenzen“, erklärt Finestone.

Älteste Großwild-Fleischhauerei

Noch spannender seien aber die Knochen der Flusspferdvorfahren. Das Team konnte darauf klare Kratz- und Schabspuren der Steinwerkzeuge finden. Ein Beweis dafür, dass die Werkzeuge tatsächlich zum Zerteilen der Tiere genutzt wurden. Außerdem gab es bisher auch noch keine konkreten Hinweise darauf, dass Säugetiere dieser Größe schon so früh für Nahrungszwecke zerlegt wurden. „Es handelt sich also sozusagen um die älteste Großwild-Fleischhauerei, die bisher gefunden wurde“, sagt Finestone.

Die Steinwerkzeuge wurden aber nicht nur für Fleisch verwendet, die Forscherinnen und Forscher haben darauf auch Hinweise auf pflanzliches Material gefunden. Welche Pflanzen damit zerstampft und geschnitten wurden, kann heute aber kaum noch festgestellt werden. „Wir gehen in jedem Fall davon aus, dass auf dem damaligen Speiseplan nicht nur Fleisch stand“, so Finestone.

Ursprung noch unklar

Eine relevante Frage konnte das Forschungsteam aber noch nicht klären – wer die Werkzeuge in Nyayanga vor so langer Zeit erschaffen und genutzt hat. Überreste der Gattung Homo konnten die Forscherinnen und Forscher nicht finden, sehr wohl aber zwei Zähne einer fossilen Gattung der Homini namens Paranthropus. Laut dem Forschungsteam handelt es sich um die ersten Funde dieser Gattung in Südwest-Kenia.

Ob die Werkzeuge aber tatsächlich von Paranthropus stammen, ist noch ungewiss. „Dass die Zähne in der Nähe der Ausgrabungsstätte gefunden wurden, könnte auch nur Zufall sein“, so Finestone. Eigentlich ist man bisher davon ausgegangen, dass die Gattung keine derartige Technologie verwendete. Sie war mit starken Backenzähnen ausgestattet, die den Einsatz von Werkzeugen überflüssig machten – so zumindest die Annahme der Experten. Da die fossilen Zähne in Nyayanga aber zum Teil auf gleicher Ebene wie die Tierknochen gefunden wurden, ist es laut Finestone auf jeden Fall denkbar, dass Paranthropus die Steinwerkzeuge benutzt hat.

Ausgrabungsstätte mit Potenzial

Die Ergebnisse der Untersuchungen in Nyayanga präsentiert das Forschungsteam derzeit im Fachjournal „Science“. Finestone wird auch in den kommenden Jahren das Gebiet um die Ausgrabungsstätte untersuchen. Laut ihr ist die Wahrscheinlichkeit groß, dort noch weitere wichtige Funde zu machen, die eventuell sogar noch älter sind. Das Ziel der Archäologin ist es, so viel wie möglich über die frühe Werkzeugnutzung unserer Urahnen in Erfahrung zu bringen.