Mikroskopische Aufnahme einer Photorhabdus-Virulenzkassette
Joseph Kreitz, Broad Institute of MIT and Harvard, McGovern Institute for Brain Research at MIT
Joseph Kreitz, Broad Institute of MIT and Harvard, McGovern Institute for Brain Research at MIT
Biotechnologie

„Molekülspritze“ trifft Zellen punktgenau

US-Fachleuten ist ein wichtiger Schritt für künftige Gentherapien gelungen. Sie entwickelten eine „Molekülspritze“, die ausgesuchte Proteine punktgenau in Zellen liefern kann. Auf diese Weise lassen sich etwa Krebszellen ausschalten.

Das Injektionssystem beruht auf Bakterien, wie ein Team um Feng Zhang vom Broad Core Institute in Boston aktuell in der Zeitschrift „Nature“ berichtet. „Therapeutische Moleküle zu verabreichen, ist bisher schwierig, und wir werden eine Reihe von Methoden brauchen, um sie an die richtigen Zellen im Körper zu bringen“, sagt Zhang in einer Aussendung. „Indem wir gelernt haben, wie Proteine auf natürliche Weise transportiert werden, konnten wir eine neue Plattform entwickeln, die diese Lücke schließen könnte“, so der Mikrobiologe.

Vorbild aus der Natur

Zhang hat maßgeblich an der Entwicklung der „Genschere“ Crispr-Cas-9 mitgearbeitet. Mit der Methode lässt sich Erbgut gezielt beschneiden und verändern. Erste Therapien, die auf der „Genschere“ beruhen, stehen kurz vor der Zulassung. Eine große Herausforderung war es aber bisher, das benötigte Protein (Cas-9) ans richtige Ziel – etwa eine Krebszelle – im Körper zu bringen.

Die neue „Molekülspritze“ soll genau diese Funktion erfüllen. Ihre Nadel kann mit verschiedenen Proteinen beladen werden und diese zielgerichtet an der gewünschten Zelle wieder entladen werden. Grundlage dafür ist ein Proteintransport, den Bakterien natürlicherweise nutzen. Für die aktuelle Studie verwendeten die Fachleute die „Nanospritze“ des Bakteriums Photorhabdus asymbiotica, mit dem dieses an Insektenzellen bindet und Proteine injiziert.

Dieses „extrazelluläre kontraktile Injektionssystem (eCISs)" besteht aus einem starren Röhrchen in einer Hülle, die sich zusammenziehen und damit einen Stachel am Ende des Röhrchens durch die Zellmembran treiben kann. Dies zwingt die Proteinladung im Inneren des Röhrchens, in die Zelle einzudringen.

KI erkannte gewünschte Zellen

Um die „Molekülspritze“ auf Zielzellen anderer Organismen umzuprogrammieren, veränderten die Fachleute ihre Struktur mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz (KI) „Alphafold“ von Google so, dass sie erstmals menschliche Zellen und Mäusezellen als Zielzellen erkannten – und dies laut Studie mit hoher Effizienz.

Mit der Methode sei es gelungen, menschliche Tumorzellen zu töten und menschliche Zellkulturen genetisch an vorab definierten Stellen im Erbgut zu verändern. In einem Experiment im Gehirn von Versuchsmäusen ließen sich mit der „Molekülspritze“ sogar gentechnisch veränderte Nervenzellen im Hippocampus nachweisen. Die Methode sei eine Art Werkzeugkasten, aus dem sich etwa Gentherapien und Krebsbehandlungen bedienen könnten.

Kann „nur“ ein Protein liefern

Forscherinnen und Forscher sehen erhebliches Potenzial für diesen Werkzeugkasten, seine tatsächliche Wirksamkeit müsse aber noch bestätigt werden. „Die Arbeit ist sehr innovativ, aber von einem Durchbruch im Bereich der Proteinübertragung würde ich noch nicht sprechen“, kommentiert etwa der Strukturbiochemiker Stefan Raunser vom deutschen Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie.

Die neue „Molekülspritze“ weise einige Vorteile auf, ihr Einsatz sei aber auch begrenzt – da sie immer nur ein Protein liefern kann. „Bei der Übertragung von einzelnen Enzymen oder Toxinen ist das okay, aber wenn man mehrere Proteine pro Zelle braucht, ist das sicher nicht mehr so praktikabel. Dann müssten viele dieser ‚Spritzen‘ an die Zelle andocken und ihre Fracht entladen“, so Raunser. „Dadurch würden auch viele Löcher in die Zelle gebohrt werden.“ Die Größe der verwendeten Proteine hätte den Nachteil, „dass dadurch das Vordringen in dichte Gewebe, wie zum Beispiel bei soliden Tumoren, erschwert wird. “

“An der Schwelle einer neuen Entwicklung“

„Beeindruckend“ findet die Ergebnisse hingegen Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin München Klinik Schwabing. Mit der neuen „Molekülspritze“ könnten bestehende Proteintransportmethoden verbessert und etwa künftige mRNA-basierte Krebsimpfungen punktgenau verabreicht werden.

„Es sieht so aus, dass wir an der Schwelle einer neuen Entwicklung stehen, die eine ähnlich große Bedeutung haben könnte, wie wir dies vor zehn Jahren mit der CRISPR/Cas-Technologie bereits erlebt haben – kein Zufall, dass auch hier dieselbe Gruppe den entscheidenden Aufschlag für diese revolutionäre Technologie gemacht hat.“