Junge Frau spricht online mit einer älteren Frau
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Studie

Das Geheimnis guter Gespräche

Ein gewisses Redetempo, die richtige Mischung aus neuen und bekannten Inhalten und ein freundlicher Gesichtsausdruck – das sind nur drei Faktoren, die darüber entscheiden, wie gut das Gespräch zwischen zwei einander fremden Personen verläuft. Das ergab die Analyse von mehr als 1.600 aufgezeichneten Onlinegesprächen.

Ob Smalltalk oder tiefgründige Gespräche – miteinander zu reden, ist für die meisten Menschen essenziell. Dabei geht es um viel mehr als um die einfache Weitergabe von Informationen. Der koordinierte Austausch von Worten ist das wichtigste Instrument, um Beziehungen aufzubauen und zu pflegen, schreiben die Forscherinnen und Forscher um Gus Cooney von der University of Pennsylvania und Andrew Reece vom Coaching-Unternehmen BetterUp im Fachmagazin „Science Advances“. Schon ein einfaches Gespräch sei ein höchstkomplexer Vorgang: Ob es gelingt, hängt nicht nur vom Gesagten ab, sondern unter anderem von der Mimik und der Gestik, und davon, wie gut zwei Menschen aufeinander eingehen können. Hinzu kommt noch der Kontext des Gesprächs, die sozialen Rollen der Sprecherinnen und Sprecher sowie die Absichten, die hinter dem Austausch stehen.

Gespräche wissenschaftlich betrachtet

Um all diese Ebenen zu analysieren und um herauszufinden, was ein gutes Gespräch ausmacht, hat das US-Forschungsteam den nach eigenen Angaben bisher größten multimodalen Datensatz (CANDOR Conversation Corpus) zu Gesprächen zwischen zwei Personen erstellt. Die Onlinetreffen fanden zwischen Jänner und November 2020 statt. Teilgenommen haben 1.456 englischsprachige Menschen aus den USA. Sie waren zwischen 19 und 66 Jahren alt, ihre demografischen Hintergründe laut Studie sehr vielfältig. Insgesamt wurden mehr als 1.650 Gespräche aufgezeichnet, das sind mehr als 850 Stunden Material.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhielten eine recht offene Aufgabenstellung: „Sprecht, worüber ihr wollt. Stell dir einfach vor, du bist deinem Gegenüber gerade zufällig bei einer Veranstaltung begegnet und ihr lernt euch gerade kennen!“ Mindestens 25 Minuten sollte das Gespräch dauern. Vor und nach dem Austausch wurden alle zu ihrer Stimmung und ihren subjektiven Eindrücken befragt. Für die nun erschienene Studie hat das interdisziplinäre Team alle irgendwie fassbaren Merkmale dieser Gespräche dokumentiert: vom Sprechtempo über den Gesichtsausdruck bis zum persönlichen Eindruck, teilweise automatisiert und teilweise von Hand. Anschließend wurde außerdem analysiert, wie die verschiedenen Ebenen miteinander zusammenhängen, etwa das Sprechtempo mit dem subjektiven Eindruck.

Schnelle Verbindung

Obwohl die Gesprächspartner einander zuvor nicht kannten, redeten viele deutlich länger miteinander als vorgegeben. Die meisten Personen hatten auch kein Problem, ins Gespräch zu kommen, betont Gus Cooney gegenüber science.ORF.at: „Es überraschte uns, wie schnell die Leute eine Verbindung aufbauen und sinnvolle Gespräche führen konnten, obwohl sie oft völlig verschiedene Hintergründe hatten, beim Alter, beim Job oder soziokulturell.“ Als Beispiel für solche ungewöhnliche Paarungen werden in der Studie etwa eine 40-jährige Dreifachmutter aus Louisiana und die 20-jährige Tochter einer polnischen Immigrantin aus Chicago genannt. „Zu Beginn war manchmal eine gewisse Zurückhaltung zu spüren, aber dann zeigten die Menschen eine bemerkenswerte Fähigkeit, das Trennende zu überwinden und Gemeinsamkeiten zu finden“, so Cooney.

Zwei Frauen sprechen miteinander, gestikulieren
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Gesprächen beginnen oft mit bestimmten Ritualen, erklärt der Sozialpsychologe: „Blickwechsel und Gesten helfen Aufmerksamkeit füreinander aufzubauen. Erst dann kommt der erste Gruß, die Menschen sagen ‚Hallo‘.“ Zusätzlich folgen oft Kommentare zum äußeren Setting, dem Ort und dem Zeitfenster, so können sich beide auf die Umstände einstellen.

Typische Gesprächsmuster

Schon auf der rein technischen Ebene konnten die Forscherinnen und Forscher in den Aufzeichnungen einige typische kommunikative Muster identifizieren: Der Gesprächswechsel dauerte im Schnitt 200 Millisekunden, ungefähr die Dauer eines Wimpernschlags. Diese Pause dürfte in allen Sprachen und Kulturen ähnlich sein, wie bereits frühere Untersuchungen zeigten. Diese Kürze sei erstaunlich, heißt es in der aktuellen Studie, denn es bleibe sehr wenig Zeit, um eine Antwort zu formulieren. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen müssen den Gesprächswechsel also bis zu einem gewissen Grad vorausahnen, heißt es in der Studie.

Besonders wichtig für den gesamten Verlauf ist laut den Autoren auch das Feedback des Gegenübers, in Form von „Mmmh“, „Aha“ oder „Ja“. In 40 Prozent der Fälle wurde dafür im untersuchten Datensatz ein umgangssprachliches „Ja“ – englisch „Yeah“ – verwendet, oft sogar mehrmals hintereinander.

Gute und schlechte Gespräche

Tatsächlich ließen sich einige Zusammenhänge zwischen solchen „mechanischen“ Merkmalen und der empfundenen Qualität von Gesprächen feststellen. Ein wesentlicher Faktor war das Tempo. Je schneller das Gegenüber antwortete, umso besser fanden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Austausch. Tendenziell positiver empfunden wurde es auch, wenn der Gesprächspartner oder -partnerin die Lautstärke variierte und wenn die Stimme emotionaler klang.

Bei den Kopfbewegungen scheint es ebenfalls auf die richtige Mischung anzukommen. Gute Gesprächspartner nicken regelmäßig, schütteln aber auch einmal den Kopf. Den Forschern zufolge ist das wohl ein Zeichen von echter Anteilnahme. Ein freundlicher Gesichtsausdruck dürfte außerdem helfen.

Auch inhaltliche Aspekte entscheiden laut der Studie darüber, ob ein Wortwechsel gelungen erscheint. So empfinden es die meisten als angenehm, wenn ab und zu neue Themen eingeführt werden, aber nicht zu häufig. Beliebt ist also ein Mix aus vertrauten und neuen Inhalten. „Gute Gesprächspartner sprechen schneller, zeigen ihr Engagement im Gesicht, durch Gesten und den Tonfall. Und schließlich wissen sie, wann man das Gespräch in eine neue Richtung lenken sollte, bevor es langweilig wird“, so fasst Cooney die konkreten Ergebnisse zusammen. Einiges bestätigen frühere Studien. Dass die jetzigen Gespräche ausschließlich online geführt wurden, habe daher womöglich gar keine so großen Auswirkungen, erklärt Cooney, müsste aber gesondert untersucht werden.

Themen und Menschen

Anhand von Begriffen ließen sich im Textkorpus auch die häufigsten Gesprächsthemen ausmachen: Oft ging es um Joe Biden, Donald Trump und den Wahlkampf – 2020 wurde in den USA gewählt. Auch die Pandemie war oft Thema, Richtung Sommer dann die Polizeigewalt gegen Schwarze. Sehr häufig drehten sich die Gespräche einfach um Kinder, Familie und Eltern. Eine Rolle gespielt habe hierbei vermutlich, dass zwei einander fremde Menschen miteinander redeten, so das Team. Klatsch und Tratsch sowie sehr persönliche Inhalte waren daher grundsätzlich nicht sehr wahrscheinlich.

Soziale Einflüsse

Abschließend haben sich die Forscherinnen und Forscher mit dem Hintergrund der Teilnehmer und Teilnehmerinnen befasst und sich angesehen, ob und inwiefern das die Gespräche beeinflusst hat. Dabei zeigte sich beispielsweise, dass die ältesten Personen länger sprachen, wenn sie mit jungen Menschen zusammentrafen als mit Gleichaltrigen. Frauen verliehen ihrer Stimme mehr Ausdruck, wenn sie Frauen begegneten. Weiße Gesprächspartner gaben um 15 Prozent seltener Feedback, wenn sie mit Schwarzen sprachen.

Manche Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen führten mehrmals Gespräche, allerdings immer mit neuen Personen. Ob sich aus den Begegnungen auch bleibende Kontakte entwickelten, wissen die Autoren nicht, da die Menschen nach dem Ende der Studie nicht mehr begleitet wurden. „Aber wenn man bedenkt, wie positiv manche Gespräche verlaufen sind, wären wir nicht überrascht, wenn unsere Studie manche dauerhafte Freundschaft hat entstehen lassen“, sagt Cooney. Was trotz der freiwilligen Teilnahme überraschte: So richtig schlechte Gespräche oder Abbrüche habe es nicht gegeben. „Vielleicht waren manche etwas weniger engagiert oder müde, aber die allermeisten Leute waren freundlich und froh, reden zu können.“