Psychische Erkrankungen

Mangelnde Versorgung vor und nach Geburt

Jede fünfte Frau ist in der Schwangerschaft oder im ersten Jahr nach der Geburt des Kindes von psychischen Erkrankungen betroffen. Diese frühzeitig zu erkennen und zu behandeln wäre zentral. Die Versorgung ist in Österreich jedoch mangelhaft – eine Spezialambulanz gibt es nur in Wien.

Es wird erwartet, dass man sich freut und überglücklich ist, doch man fühlt sich traurig, erschöpft und überfordert: Zwar fehlen Zahlen zur psychischen Gesundheit von frischgebackenen Eltern, Schätzungen gehen aber davon aus, dass in Österreich jährlich bis zu 16.000 Mütter und 8.000 Väter von psychischen Problemen rund um die Geburt betroffen sind. Die Erkrankungen reichen von Depressionen bis zu Psychosen und können sich negativ auf die Entwicklung des Kindes und die Eltern-Kind-Beziehung auswirken.

„In dieser Zeit wird der Fahrplan festgelegt, wie es mit der Familie weitergeht“, erklärt die Sozialwissenschaftlerin Jean Paul von der Medizinischen Universität Innsbruck. Daher sei es so wichtig, psychische Erkrankungen frühzeitig zu erkennen und zu intervenieren. Wird interveniert, dann könnten die eingeschlagenen Wege noch verlassen, starke Beziehungen etabliert und die Kindesentwicklung unterstützt werden.

Systematische Früherkennung fehlt

Im Rahmen des Mutter-Kind-Passes werden in Österreich zwar viele Früherkennungsuntersuchungen durchgeführt, ein Screening auf psychische Probleme ist aber nicht Teil des Programms. Der Pass sei prädestiniert, um eine flächendeckende Früherkennung einzuführen, sagt die Gesundheitsökonomin Ingrid Zechmeister-Koss vom Austrian Institute for Health Technology Assessment: „Es gibt jetzt mit dem Eltern-Kind-Pass eine Neuauflage. Man sollte die Chance nutzen, um endlich ein flächendeckendes Früherkennungsprogramm zu implementieren.“

Derzeit werden psychische Belastungen nur im Rahmen des Programms „Frühe Hilfen“ systematisch erhoben, ein Programm, das jedoch nur von einer kleinen Gruppe von Eltern in Anspruch genommen wird.

Regionale Versorgungslücken

Zwar gibt es in mehreren Bundesländern niederschwellige Angebote für Eltern mit psychischen Erkrankungen bzw. deren Kinder, meist sind diese jedoch nicht für die erste Phase nach der Geburt ausgelegt. Je schwerer die Erkrankung, desto eklatanter die Versorgungssituation.

Die aktuelle Analyse (PDF) der Forscherinnen zeigt, dass es derzeit nur in Wien eine Spezialambulanz gibt. In drei Bundesländern gibt es fix gewidmete Mutter-Kind-Betten auf der Erwachsenenpsychiatrie. Im Burgenland, in Tirol und in Kärnten fehlt so ein Angebot.

Müssen Frauen ihre Kinder abgeben, um eine Behandlung zu bekommen, sei das eine große Barriere, sagt Zechmeister-Koss. „Wir haben auch mit Betroffenen gesprochen, die haben gar keine Möglichkeit, dass das Baby versorgt wird.“ Zudem sei keine spezifische Behandlung möglich. Es könne dann nicht mit Baby und Mutter gearbeitet werden, wie das internationale Standards vorsehen.

Fachkräfte ausbilden und Versorgungspfade festlegen

Neben Früherkennungsprogrammen und stationären Kapazitäten sollten auch spezifische Ausbildungsprogramme aufgebaut werden, empfehlen die Wissenschaftlerinnen. In anderen Ländern übernehmen beispielsweise Hebammen mit Spezialausbildung eine wichtige Rolle in der Versorgung.

Das Bewusstsein für psychische Erkrankungen müsse geschärft und das Stigma, das immer noch damit einhergeht, abgebaut werden, sagt Paul. Zudem brauche es klare Versorgungspfade: „Derzeit ist es für Eltern, aber auch für das medizinische Personal schwierig zu wissen, was es an Angebot gibt und wo man es bekommt.“

Auch Männer können betroffen sein

Psychische Probleme um die Geburt sind kein reines Frauenthema. Männer sind ebenfalls betroffen, wenn auch seltener. Es sei wichtig, die Angebote nicht nur für Frauen auszulegen, sondern für alle zu öffnen. „Ansonsten wird das Geschlechterstereotyp, dass Frauen für die Versorgung des Babys verantwortlich sind, verstärkt, und der Druck auf Frauen, die beste Mutter sein zu müssen, steigt.“