Indien, Neu Delhi
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Bevölkerungswachstum

Indiens zentrale Rolle bei Klimazielen

Indien ist laut UNO mittlerweile das Land mit den meisten Einwohnerinnen und Einwohnern der Welt. Die Bevölkerung wächst noch weiter – mehr Menschen bedeuten aber auch einen höheren Energiebedarf und eine größere Belastung für die Umwelt. Beim Erreichen globaler Klimaziele spielt Indien mittlerweile daher eine zentrale Rolle.

Genaue Zahlen sind schwer zu erheben, in Indien leben aber mittlerweile mehr als 1,4 Milliarden Menschen. Damit hat es von China den Titel als Land mit den meisten Einwohnerinnen und Einwohnern bereits übernommen bzw. wird es im Laufe des April noch tun. Berechnungen des Bevölkerungsbüros der UNO ergaben Freitag, den 14. April, als statistisch wahrscheinlichsten Tag, an dem Indiens Einwohnerzahl jene von China erstmals übertrifft.

Die Bevölkerung in Indien wächst noch weiter, während sie in China heuer zum ersten Mal seit Jahrzehnten schrumpfte. Ein vergleichbares Ende des Wachstums wird in Indien erst in einigen Jahren erwartet. „Nach den Modellen, die wir haben, wächst die Bevölkerung immer langsamer und wird zwischen 2040 und 2050 auf dem Höhepunkt sein“, sagt Miriam Prys-Hansen vom Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA) in Hamburg. Manche Prognosen zeigen einen möglichen Anstieg auf bis zu 1,7 Milliarden Einwohner. Gegenüber science.ORF.at erklärt die Forscherin aber: „Nach dem Höhepunkt wird die Bevölkerung wahrscheinlich auch wieder auf etwa eine Milliarde zurückgehen.“

Armut fördert Wachstum

Der aktuelle Anstieg der Bevölkerungszahlen ist in Indien unregelmäßig verteilt, was einige Herausforderungen für die Regierung mit sich bringt. „Indien muss mit den Problemen eines Babybooms im Norden zurechtkommen und gleichzeitig aber auch mit einer Überalterungsspirale, die wir eben auch aus Europa kennen, in Südindien“, so Prys-Hansen. Die schiere Größe des Landes erschwere es der Regierung zunehmend, auf die Probleme aller Einwohnerinnen und Einwohner zu reagieren.

Ursachen für das unregelmäßige Bevölkerungswachstum gibt es viele, unter anderem ist aber der wirtschaftliche Fortschritt im Süden ein wichtiger Faktor, während die Armutszahlen im Norden weiterhin relativ hoch sind. Kinderreiche Familien gibt es eher in den ärmeren nördlichen Regionen des Landes – Kinder sind dort oft eine Art Altersvorsorge, da staatliche Systeme versagen. Frauen in südlichen Städten haben laut Prys-Hansen hingegen oft schon kaum mehr Kinder als Frauen in westlicheren Regionen der Erde.

CO2-Ausstoß problematisch

Aktuell ist Indien noch für einen vergleichsweise kleinen Teil der weltweiten Emissionsmengen verantwortlich. „Indien stößt etwa sieben Prozent der globalen Emissionen aus, hat aber gleichzeitig 18–20 Prozent der Weltbevölkerung“, so Prys-Hansen. Aber auch die indische Wirtschaft wächst – zusammen mit den steigenden Einwohnerzahlen führe das dazu, dass sich der Strom- und Energiebedarf im Land bald verdoppeln könnte. Wenn keine Maßnahmen gesetzt werden, ist zu befürchten, dass auch der CO2-Ausstoß rasant ansteigt.

Expertinnen und Experten hoffen, dass der vom Wirtschaftswachstum und den zusätzlichen Einwohnern bedingte Emissionsanstieg nicht so dramatisch ausfallen wird wie vor einigen Jahrzehnten in China. Das Land belegt auf der Rangliste der Staaten mit den höchsten Treibhausgasemissionen seit knapp zwei Jahrzehnten den ersten Platz. Ein Schicksal, dem Indien unbedingt entgegenwirken möchte und muss, meint Prys-Hansen: „Ohne Indiens Bemühungen und ohne die Bemühungen der westlichen Welt, Indien zu unterstützen, ist es überhaupt keine Frage – dann werden wir die Ziele aus dem Pariser Klimaabkommen absolut nicht erreichen.“

Erneuerbare Energien statt Kohle

Eine große Belastung für das Klima sei etwa Indiens Abhängigkeit von Kohle. Rund 70 Prozent des Stroms im Land kommen aktuell noch aus Kohlekraftwerken. Zahlreiche indische Städte wie etwa Neu-Delhi gehören mitunter auch deswegen zu den Orten mit der weltweit stärksten Luftverschmutzung.

Bemühungen, das zu ändern, gibt es bereits. Die indische Regierung möchte künftig stärker auf erneuerbare Energien setzen und dafür bis 2030 die Infrastruktur installieren, um mindestens 500 Gigawatt aus umweltfreundlicheren Energiequellen zu beziehen.

Infrastruktur erschwert Umstieg

Bei der Umstellung auf erneuerbare Energien hinkt Indien jedoch bereits hinterher. Um das Ziel bis 2030 zu erreichen, müsste sich die Leistung aus erneuerbaren Energieanlagen in den nächsten sieben Jahren fast vervierfachen. Laut Prys-Hansen ist das aktuell kaum realistisch, denn auch andere Faktoren erschweren den Umstieg auf erneuerbare Energieträger.

„Viele Kraftwerke wurden in Indien erst vor Kurzem gebaut und haben also theoretisch noch eine Laufzeit von einigen Jahrzehnten vor sich“, erklärt die Forscherin. Den Betrieb in einem funktionsfähigen Kraftwerk einzustellen, bedeute meist auch große wirtschaftliche Schäden für die beteiligten Unternehmen. Außerdem laufen viele Verträge in der Kohleindustrie über Jahrzehnte, was den schnellen Ausstieg aus dem Markt erschwert.

Im Bereich der erneuerbaren Energien ist Indien auch relativ ressourcenarm. Um den wirtschaftlichen Fokus auf umweltfreundlichere Technologien zu legen, müsste viel Material aus Ländern wie China importiert werden. „Indien möchte da natürlich auch nicht unbedingt zu abhängig sein von China“, sagt Prys-Hansen.

Ambitionierte Ziele nicht genug

Ein großes Ziel der indischen Regierung ist die komplette Klimaneutralität bis zum Jahr 2070. Zum Vergleich: In Österreich möchte man dasselbe Ziel bereits 30 Jahre früher im Jahr 2040 erreichen. Schon allein aufgrund der geringeren Größe und besseren wirtschaftlichen Ausgangslage sei die Klimaneutralität in Ländern wie Österreich aber um ein Vielfaches leichter zu bewerkstelligen als in Indien, so Prys-Hansen.

Dennoch gibt es auch viel Kritik an Indiens Klimapolitik. Nach außen präsentiert sich das Land meist gut und auf dem richtigen Weg, tatsächlich bedeutende Fortschritte blieben bisher aber oft aus. „An Indien wird kritisiert, dass die gesetzten Ziele quasi zu leicht gesteckt wurden und dass sie mit moderner Klimapolitik sehr leicht zu erreichen sind. Sie sind also nicht ambitioniert genug, um das Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen.“

Internationales Unterfangen

Die Forscherin sieht Indiens Lage aber vor allem auch als globale Herausforderung. Historisch habe das Land vergleichsweise wenig zur Emissionsmenge beigetragen – der jährliche Pro-Kopf-Ausstoß ist in Indien mit zwei Tonnen CO2 immer noch relativ gering. In Österreich liegt der Wert bei rund acht Tonnen, in Ländern wie Saudi-Arabien sogar bei knapp 17 Tonnen.

Daher seien vor allem auch westliche Länder mit einem in der Regel sehr viel höheren Emissionsausstoß pro Einwohner gefragt, Indien aktiv bei den Bemühungen zu unterstützen. Internationale Hilfe sei unabdingbar, um dem wachsenden Land das Erreichen der bereits gesetzten und vielleicht auch von noch ambitionierteren Klimazielen zu ermöglichen, meint Prys-Hansen.

Steigenden Bedarf decken

Unbedingt notwendig ist laut der Forscherin aktuell jedenfalls, die negativen Klimafolgen, die durch die zusätzlichen Einwohnerinnen und Einwohner Indiens entstehen, auf irgendeine Weise abzufangen. „Wichtig wäre auf jeden Fall, dass zumindest der zusätzliche Bedarf im Land aus erneuerbaren Energiequellen abgedeckt wird. Da ist Indien aber, glaube ich, tatsächlich auf einem ganz guten Weg.“

Wirtschaftlich habe das Land durch das Bevölkerungswachstum jedenfalls großes Potenzial. Vor allem, wenn schon die jungen Generationen die Bedeutung von Klimaschutz begreifen. Verbunden mit einem wachsenden Fokus auf umweltfreundlichere Technologien könnte Indien künftig den Weltmarkt in diesen Bereichen stark beeinflussen und internationale Preise maßgeblich mitbestimmen. Billigere Produkte auf dem Energiemarkt könnten in Folge auch anderen wirtschaftlich schwächeren Ländern beim Umstieg auf erneuerbare Energien helfen.