Künstlerische Illustration
DAIRYCULTURES Project
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Xiongnu

Frauen als „Klebstoff“ fürs Imperium

Mit ihren berittenen Raubzügen haben sie China vor rund 2.000 Jahren das Fürchten gelehrt und zum Bau der Großen Mauer veranlasst: die Nomadenstämme der Xiongnu. Zusammen bildeten sie ein riesiges Imperium, in dem Frauen sehr mächtig waren. „Prinzessinnen“ dienten an den Grenzen als eine Art Klebstoff fürs Imperium, wie neue DNA-Analysen von Knochen zweier Gräberfelder zeigen.

Unter den 18 Bestatteten stachen einige wenige besonders hervor: Sie lagen in prächtigen Grabstätten, eingefasst von Rechtecken aus Steinen. Ihre Särge waren aus Holz – ein Luxus in der nahezu baumlosen Gegend im Altai-Gebirge am Westrand der heutigen Mongolei. Umgeben waren sie von Grabbeigaben wie Pferden, Gürtelschnallen, Teilen von Wägen – und von anderen Menschen in sehr einfachen Erdgruben, die man für ihre Dienerschaft hält.

Die Anthropologin Christina Warinner von der Harvard-Uni hat für die soeben im Fachmagazin „Science“ erschienene Studie die DNA der Bestatteten ausgewertet: nach Geschlecht, Verwandtschaft und Herkunft. „Die Leute, die am luxuriösesten begraben waren , haben gemeinsame Vorfahren am Ursprungsort des Xiongnu-Reiches im Norden der Mongolei, etwas südlich vom Baikalsee“, erzählt sie gegenüber science.ORF.at . Das spricht für eine Art adeliger Schicht im Reich. Die noch überraschendere Erkenntnis: In den einfachen Satellitengräbern lagen Männer, in den prächtigsten Gräbern Frauen.

“Prinzessinnen“ mit langer Tradition

„In nomadischen Kulturen konnten Frauen mehr politische Macht haben“, so Warinner. „Vermutlich wurden in diesem Fall Eliten aus dem Kernland an den Rand des Reiches entsandt, um es zu vergrößern. Und während die Männer weiter auszogen – ihre Gräber liegen vielleicht auf entfernten Schlachtfeldern –, haben die Frauen dieser Schicht die Randgebiete verwaltet.“

„Wirklich faszinierend ist, dass das eine lange Tradition in der Steppe hat“, sagt Warinner. „Wir sehen es hier in diesem ersten Nomadenreich der Xiongnu, und es scheint noch 1.000 Jahre später ein sehr erfolgreiches Modell gewesen zu sein, als sich das mongolische Reich erhob, das ja bekanntermaßen im Inneren von den Mongolenköniginnen regiert wurde.“ Es könnte also sein, dass es in nomadischen Reichen mehr Kontinuität gibt, als solchen nicht schriftbasierten Kulturen üblicherweise zugetraut wird.

Eine der Begräbnisstätten im Altai-Gebirge
J. Bayarsaikhan
Eine der Begräbnisstätten im Altai-Gebirge

Dass diese „Prinzessinnen“ nicht nur hochverehrt, sondern tatsächlich mächtig waren, beweisen für Warinner ihre Grabbeigaben: „Eine der Frauen war zum Beispiel mit Reitausrüstung begraben. Das ist etwas, was man bei einem männlichen Anführer erwarten würde. Es steht für Macht und Status, für Geschick und Reitkunst. Oder eiserne Gürtelschnallen – auch sie verband man mit einer Führungsrolle.“ Die chinesischen lackierten Schalen, die man ebenfalls bei den Frauen fand, gelten als typische Geschenke an Personen von diplomatischem Rang.

Rückschlüsse auf Einzelschicksale

Auch berührende Einblicke in Einzelschicksale gab es: Neben einer der Frauen war ein kleines Kind begraben. Die Mutter dürfte bei der Geburt gestorben sein. Bei ihr fand man eine Perle, die Bes gewidmet ist, dem ägyptischen Schutzgott für die Schwangeren und Neugeborenen . Sie zeugt also davon, was die Frauen emotional beschäftigt hat, aber auch davon, aus welch entfernten Gegenden die Güter und auch das Wissen der Xiongnu stammten.

Grabbeigaben: Pfeil und Bogen eines Kindes
Bryan K. Miller
Grabbeigaben: Pfeil und Bogen eines Kindes

Wie die Kinder der Xiongnu in ihre Geschlechterrollen schlüpften, zeigen die Gräber mehrerer Knaben: Ein ca. Elfjähriger war mit Pfeil und Bogen bestattet, so wie erwachsene Männer auch. Bei einem Fünf- oder Sechsjährigen fehlten diese Beigaben. Die Erziehung zum Krieger begann also in den Jahren dazwischen. Solche Informationen können nur Ausgrabungen wie diese liefern, denn die Xiongnu haben kaum schriftliche Zeugnisse hinterlassen, und ihre Feinde berichten nichts über solche gesellschaftlichen Details.

Genetik der Männer völlig anders

Bei den männlichen Begrabenen der Dienstbotenschicht ergab sich ein völlig anderes Bild der DNA als bei den vornehmen Frauen. Diese Männer stammten teilweise aus Gebieten weit im Osten oder im Westen; sogar von außerhalb des Reiches, das sich vom heutigen Nordchina über die Mongolei und Teile Sibiriens bis nach Kasachstan hinein erstreckte. Ob die Männer verschleppt wurden – und daher so niedrigen Standes waren – oder auf andere Weise so weite Strecken zurücklegten, ist laut Warinner noch rätselhaft.

Goldene Symbole der Sonne und des Mondes – wichtige Symbole der Xiongnu – schmücken einen Sarg
J. Bayarsaikhan
Wichtige Symbole der Xiongnu: Sonne und Mond schmücken einen Sarg

Manche der hochrangigen Männer aus der lokalen Elite hatten die typischen Symbole der Xiongnu, Sonne und Mond aus Gold, als Grabbeigaben. Dennoch waren sie etwas bescheidener bestattet als die Frauen des Reichsadels. Christina Warinner sieht darin einen Hinweis, dass diese Frauen im Rahmen strategischer Heiraten hierher an den Rand des Imperiums entsandt wurden, um die neuen Gruppen ans Reich zu binden.

Aufgeschlossen für Vielfalt

Was Warriner daraus schließt: „Die Xiongnu waren sehr offen für neue Ideen, sie blickten stets nach außen und waren sehr aufgeschlossen dabei, neue, sehr verschiedene Gruppen in ihr politisches System zu integrieren – auf verschiedensten gesellschaftlichen Stufen. Sie haben offenbar auf viele Arten und Weisen weit auseinanderliegende und vorher unverbundene Gruppen miteinander verbunden.“

Die Vielfalt dieser Strategien und die geistige Offenheit der Eliten könnten es gewesen sein, die der auffallenden Langlebigkeit dieses Reiches zugrunde liegen. Erstmals erwähnt wurde es, als der erste chinesische Kaiser Qin Shihuangdi ab ca. 215 v. Chr. hunderte Kilometer an Mauern errichten ließ – für viele gilt dies als Baubeginn der heutigen Großen Mauer. Das nützte gegen die Angriffe aber ebenso wenig wie Heiratspolitik und Tributzahlungen. Schließlich setzte die folgende Han-Dynastie auf aggressiven Kampf und Gegeneroberung, bis sich um 100 n. Chr. ein Teil der Reiternomaden unterwarf, der andere kämpfend unterging.