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San Diego Zoo Wildlife Alliance
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„Zoonomia“

Erbgut von 240 Säugetierarten analysiert

Wieso ist der Mensch anfällig für bestimmte Krankheiten? Und warum sind einige Tierarten stärker vom Aussterben bedroht als andere? Das internationale Forschungsprojekt „Zoonomia“ untersuchte das Erbgut von 240 Säugetierarten – der riesige Datensatz liefert neue Erkenntnisse zu diesen und vielen weiteren Fragen.

Mehr als 150 Forscherinnen und Forscher analysierten im Rahmen des Projekts „Zoonomia“ – geleitet von der schwedischen Universität Uppsala und dem Broad Institute der US-Hochschulen Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Harvard – die Genome von 240 Säugetierarten: von Mäusen und Menschen, Giraffen und Elefanten, Fledermäusen und Makaken.

Die bisherigen Forschungsergebnisse, die am Donnerstag in elf Artikeln im Fachjournal „Science“ veröffentlicht wurden, zeigen, wie sich die Genome dieser 240 Arten im Laufe der Evolution entwickelten. Neben den großen Fragen zur Entstehung von Krankheiten und dem Aussterben von Arten zeigen die Daten u. a. auch, welche genetischen Veränderungen dazu geführt haben, dass einige Säugetiere einen außergewöhnlichen Geruchssinn und manche einen Winterschlaf halten und anderen nicht.

Bestimmte Gene vereinen alle Säugetiere

Das Genom, auch Erbgut, ist die Gesamtheit aller Gene eines Individuums. Es dient als Bauplan für die Herstellung bestimmter Moleküle wie etwa Proteine im Körper, und es enthält Anweisungen, wo, wann und in welcher Menge diese gebildet werden. Während sich einige Gene im Laufe der Zeit weiterentwickelt haben, sind andere während des gesamten Evolutionsprozesses der Säugetiere gleich geblieben. So findet man etwa in einigen Bereichen des menschlichen Genoms eine erstaunliche genetische Ähnlichkeit mit Mäusen, Kühen, Hunden, Katzen, Fledermäusen und Delfinen.

Die Annahme der Forscherinnen und Forscher war, dass diese über 100 Millionen Jahre unveränderten Genregionen eine grundlegende Funktion für die Gesundheit haben. Mutationen in diesen Bereichen können demzufolge eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Krankheiten und auch bei der Entstehung von besonderen Merkmalen von Säugetierarten spielen. Durch einen systematischen Vergleich der Genome der 240 Säugetierarten wurde diese Hypothese im „Zoonomia“-Projekt erstmals in großem Maßstab getestet.

DNA
Psychiatric Genomics Consortium
Die meisten Körperzellen haben 46 Chromosomen, die in 23 Paaren angeordnet sind. Jedes Chromosom besteht aus einer Kette von Desoxyribonukleinsäure (DNA), dem genetischen Material, das die Anweisungen für das Wachstum und die Funktionen des Körpers enthält.

Neue Einblicke in Entstehung von Krankheiten

Anhand des Datenmaterials konnten genetische Veränderungen identifiziert werden, die wahrscheinlich die Ursache sowohl für seltene als auch für häufige Krankheiten, etwa Krebs, sind. „Ein großer Teil der Mutationen, die zu häufigen Krankheiten wie Diabetes oder Zwangsstörungen führen, liegt außerhalb der Gene und hat mit der Genregulation zu tun. Unsere Studien machen es einfacher, die Mutationen zu identifizieren, die zu Krankheiten führen, und zu verstehen, was schiefgeht“, so Kerstin Lindblad-Toh von der Universität Uppsala. Sie leitet zusammen mit Elinor Karlsson vom Broad Institute das internationale Forschungskonsortium.

In einer der Forschungsarbeiten wurde beispielsweise das Medulloblastom untersucht, die häufigste Form eines bösartigen Gehirntumors bei Kindern. „Bei Patientinnen und Patienten mit Medulloblastom haben wir viele neue Mutationen an evolutionär konservierten Stellen gefunden. Wir hoffen, dass die Analyse dieser Mutationen den Grundstein für neue Diagnosen und Therapien legen wird“, so Karin Forsberg-Nilsson, Professorin für Stammzellforschung an der Universität Uppsala.

Bedrohte Arten schneller erkennen

Neben den Gemeinsamkeiten unterscheiden sich die 240 im Projekt „Zoonomia“ untersuchten Säugetiergenome teils sehr stark in ihren Merkmalen. Die Forscherinnen und Forscher entdeckten etwa Bereiche, die dazu führen, dass einige Arten einen besseren Geruchssinn haben und dass bestimmte Arten Winterschlaf halten.

Die Forschungsergebnisse können laut Lindblad-Toh zudem wichtige Informationen darüber liefern, ob eine Tierart vom Aussterben bedroht ist. Denn die Artenvielfalt geht rasant zurück, und es sei ein langwieriger und kostspieliger Prozess herauszufinden, welche der Zehntausenden vom Aussterben bedrohten Tierarten am meisten von Schutzmaßnahmen profitieren und wie diese gezielt eingesetzt werden können.

Seeotter
Marcos Amend
Auch der Seeotter ist laut den Forscherinnen und Forschern vom Aussterben bedroht

Eines der „Zoonomia“-Forschungsteams trainierte Modelle, die auf der Grundlage von Demografie, Diversität und Mutationen, die sich auf die Fitness auswirken, schnell zwischen bedrohten und nicht bedrohten Arten unterscheiden können. Die Ergebnisse zeigen u. a., dass jene Arten, deren Populationen in der Vergangenheit kleiner waren, heute stärker vom Aussterben bedroht sind. Als Beispiel für Tausende bedrohte Arten hob das Forschungsteam unter der Leitung der San Diego Zoo Wildlife Alliance und der Universität von Kalifornien, Santa Cruz, den Seeotter, den Steppenläufer und den Orca hervor.

Studie auch zu Schlittenhund „Balto“

Die veröffentlichten Forschungsergebnisse von „Zoonomia“ beinhalten u. a. auch, wie der berühmte Schlittenhund Balto in den 1920er Jahren im kalten Alaska überlebte und welche Bereiche des Erbguts mit der Gehirngröße einer Art zusammenhängen. Laut den Forscherinnen und Forschern von „Zoonomia“ zeigen die elf nun vorliegenden Forschungsarbeiten nur einen Bruchteil dessen, was mit den neuen Daten möglich ist und wie wichtig große Forschungskonsortien und grundlegende Datensätze sind.

„Die elf Artikel, die wir jetzt in ‚Science‘ veröffentlichen, liefern zusammen eine enorme Menge an Informationen über die Funktion und Entwicklung von Säugetiergenomen“, so „Zoonomia“-Leiterin Lindblad-Toh. „Außerdem haben wir Daten gewonnen, die noch viele Jahre lang für Evolutionsstudien und die medizinische Forschung genutzt werden können.“ Eines der größten Probleme in der Genomik sei, dass der Mensch ein wirklich großes Genom habe und man nicht wisse, was es alles kann, ergänzte ihre Kollegin Karlsson. Das nun veröffentlichte Forschungspaket zeige, was mit dieser Art von Daten alles möglich ist und „wie viel wir aus der Untersuchung der Genome anderer Säugetiere lernen können“.