Rosalind Franklin beim Wandern in den 1940er Jahren in Norwegen
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Rosalind Franklin

„Ebenbürtige DNA-Entdeckerin“

Vor 70 Jahren sind jene Artikel erschienen, die zum ersten Mal die Struktur der DNA entschlüsselten. Während drei Männer dafür später den Nobelpreis erhielten, blieb Rosalind Franklin unbedankt. Ein „Opfer der Wissenschaftsgeschichte“ war die Biochemikerin dennoch nicht, wie neu entdeckte Dokumente zeigen – vielmehr ebenbürtig an der DNA-Entschlüsselung beteiligt.

Es ist das Jahr 1953. Und es liegt etwas in der Luft: Mehrere Forschungsteams brüten über ein paar Proben Erbgut. Sie sollen herausfinden, aus welchen Bausteinen diese DNA-Moleküle bestehen und welche Form die Bausteine miteinander bilden. Es geht um nichts weniger als um das „Geheimnis des Lebens“, nämlich wie Lebewesen ihre Erbinformation weitergeben.

Rosalind Franklin ist eine von ihnen: Sie soll eine DNA-Faser immer wieder mit Röntgenstrahlen beschießen. Je nachdem wie die Strahlen dadurch gebeugt werden, lassen sich Schlüsse auf die Bauform der Moleküle ziehen. Am Londoner King’s College ist sie ein Fremdkörper. Erstens als Frau: Wissenschaftlerinnen waren dort Anfang der 1950er-Jahre nicht als ebenbürtig akzeptiert. Zweitens als Hochintellektuelle in einem universitären Umfeld, das nichts über Philosophie oder Theater zu sagen weiß, sondern lieber Gratiszeitungen liest und Abteilungspartys feiert, wie ein langjähriger Freund Franklins, Simon Altman, in der Franklin-Biografie „The Dark Lady of DNA“ von Brenda Maddox erzählt.

Geringgeschätzte Expertin

Zuvor ist sie drei Jahre in Frankreich gewesen und hat dort in sehr kollegialer Atmosphäre gelernt, mit Röntgenstrahlen die innere Struktur von Kohle zu bestimmen. Nach England zurück kommt sie als Expertin für Kristallographie. Statt am Birkbeck College, wofür sie sich beworben hat, landet sie am King’s College, wo es 1951 noch einen „Men-only“-Speisesaal gibt. Frauen dürfen nicht hinein.

Franklins Start im Institut geht daneben: Während der stellvertretende Institutsleiter Maurice Wilkins abwesend ist, übergibt der Chef ihr, der Neuen, dessen Auftrag – und auch gleich dessen Doktoranden. Wilkins wiederum kommt zurück im Glauben, es sei ihm eine Assistentin zur Seite gestellt worden. Stattdessen soll sie hier eine kristallografische Abteilung aufbauen.

Zwischen Wilkins und Franklin entsteht ein dauerhafter Konflikt. Sie arbeiten fortan am selben Projekt, aber getrennt – nämlich an unterschiedlichen DNA-Proben.

Streitbarer Geist

Rosalind Franklin ist bekannt dafür, dass sie nicht dem weiblichen Rollenbild ihrer Zeit entspricht: Sie macht sich äußerlich nicht so zurecht, wie ihre männlichen Kollegen das von ihr erwarten – so liest man es in James Watsons Bestseller „Die Doppelhelix“ von 1968. Und sie sagt es ganz unverblümt, wenn jemand fachlichen Unsinn spricht. So zum Beispiel, als James Watson und Francis Crick ihr 1952 ein fehlerhaftes Modell präsentieren. Es heißt auch, sie hatte Sinn für einen guten Streit – während ihr Kollege Wilkins Auseinandersetzungen verabscheute.

Franklin macht gute Fortschritte: Ihrem Doktoranden Raymond Gosling gelingt eine besonders scharfe Röntgenaufnahme eines DNA-Moleküls. Es heißt schlicht „photo 51“ und erlangt später Weltruhm.

Das „Foto 51“ wies auf die Struktur der DNA hin
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Das „Foto 51“ wies auf die Struktur der DNA hin

Die Konkurrenz schläft nicht

James Watson und Francis Crick tüfteln währenddessen keine zwei Zugstunden entfernt in Cambridge auch an der DNA-Struktur – und zwar mit einem völlig anderen Zugang. Während Franklin systematisch arbeitet, probieren sie herum; basteln aus theoretischen Überlegungen heraus Modelle aus Karton und prüfen sie dann.

Was Franklin (vermutlich) nie erfährt: Ein Bericht zum Stand ihrer Forschung, den sie routinemäßig für das Institut verfasst hat, ist über ein Gremiumsmitglied aus Cambridge an Watson und Crick weitergegeben worden. Und Wilkins hat ihnen das Foto Nr. 51 gezeigt.

Am 6. März 1953 beschreiben Franklin und Gosling in einem Fachartikel in „Acta Crystallographica“ die DNA bereits korrekt als Doppelstrang mit Phosphatgruppen außen und Basen mit Wasserstoffbrücken innen. Auch die Doppelhelix hat Franklin spätestens Ende Februar erkannt. Nur ein genaues, mathematisch und chemisch streng abgesichertes Modell fehlt ihr noch. Dieses schaffen Watson und Crick nun sehr schnell und Wilkins weist die Richtigkeit ihres Konzepts experimentell nach. Zu dritt bekommen sie 1962 den Nobelpreis für Medizin.

Und Rosalind Franklin? Sie stirbt 1958, vier Jahre zuvor mit nur 37 Jahren an Eierstockkrebs – der vielleicht mit ihren Röntgenarbeiten zusammenhing. Posthum darf kein Nobelpreis verliehen werden, und auch nicht an mehr als drei Personen. In perfider Weise fügt sich ihr Schicksal in das Reglement. Ob Franklin gewusst hat, dass sie ihre Daten vorher weitergegeben worden waren, dürfte ungeklärt bleiben.

Datenklau oder Zusammenarbeit?

Die beiden Biografen Matthew Cobb (er biografiert Crick) und Nathaniel Comfort (er schreibt über Watson) bringen nun in einem Artikel der Zeitschrift „Nature“ zwei Dokumente ins Spiel, die bisher wenig beachtet worden sind, und die belegen sollen, dass die Datenweitergabe keinen so großen Skandalwert hat wie bisher meist beschrieben.

Erstens: der Brief einer Kollegin von Franklin. Er scheint anzudeuten, dass Franklin davon ausging, dass ihre Zwischenergebnisse auch bei der Konkurrenz die Runde machen würden. Die Kollegin lud im Herbst 1951 Francis Crick schriftlich zu einem Vortrag von Franklin ein, sagte aber dazu, dass für Crick vermutlich nichts Neues dabei sein würde, da der Gremiumsvertreter von Cambridge das Gesagte schon kenne. Sie – und vielleicht auch Franklin – hielten es also für wahrscheinlich, dass diese Berichte nicht vertraulich behandelt wurden.

James Watson (links) und Francis Crick 1953 mit einem DNA-Modell.
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James Watson (links) und Francis Crick 1953 mit einem DNA-Modell.

Zweitens: Der Entwurf eines Artikels für das US-Magazin Time, der in Abstimmung mit Franklin entstand, aber nie veröffentlicht wurde. Darin beschreibt die britische Reporterin Joan Bruce, dass die konkurrierenden Teams – Franklin und Wilkins einerseits, Watson und Crick andererseits – einander auf dem Laufenden hielten, Zwischenergebnisse teilten und Hypothesen abtesteten. Sie sah Franklin und Wilkins auf der experimentellen, Watson und Crick auf der theoretischen Seite eines Viererteams. Diese Erzählung vermittelt eher den Eindruck von Zusammenarbeit als von Konkurrenz und zeigt Franklin als gleichgeachteten Teil des Teams.

Rosalind Franklin beim Wandern in den 1940er Jahren in Norwegen
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Rosalind Franklin beim Wandern in den 1940er Jahren in Norwegen

Dem entgegen steht unter anderem Watsons eigener Bericht davon, wie er an Franklins Arbeitsplatz spioniert habe, dabei von ihr erwischt und anscheinend sogar körperlich bedroht wurde, ehe Wilkins dazukam – wie es etwa zuletzt in einem “Zeit-Podcast“ hieß. Und sein herablassender Ton in der „Doppelhelix“, mit dem er stets von „Rosy“ spricht – eine Verniedlichung, die sie bekanntermaßen hasste.

Foto 51 – eine überschätzte Ikone?

Cobb und Comfort argumentieren weiters, dass das Foto 51 gar nicht den Ausschlag für die Entdeckung der Doppelhelix gegeben habe. Der Durchbruch sei letztlich durch Watsons und Cricks wochenlanges Herumprobieren mit verschiedensten Modellen gelungen. Das Foto 51 weise nämlich gar nicht so eindeutig auf die Doppelhelix-Struktur hin, wie Watson das in seinem Buch als klassischen Heureka-Moment erzählt (und damit Franklin ziemlich unbedarft wirken lässt). Franklins Arbeit habe nur insoweit geholfen, als das letzte, das richtige Modell daran sofort überprüfbar und bestätigbar war.

Francis Crick wiederum, mit dem Franklin zeitlebens recht eng befreundet blieb, sagte später, die Theorie der Doppelhelix sei eine unmittelbare Folge aus Franklins Zwischenergebnissen gewesen.

Too little, too late

Rosalind Franklin soll nicht als „Opfer der DNA-Entdeckung“ in Erinnerung bleiben, so wie es die Populärkultur später oft vermittelt hat – so lautet das Plädoyer von Matthew Cobb und Nathaniel Comfort. Vielmehr habe sie in ebenbürtiger Weise wie Crick, Watson und Wilkins zur Entschlüsselung beigetragen. Unbestritten bleibt für sie, dass Watson und Crick zumindest Franklins Erlaubnis hätten einholen sollen, bevor sie deren Daten zum Abgleich ihrer Theorie verwendeten. Und sie hätten sowohl bei den Nobelpreisreden als auch in späteren Veröffentlichungen den beträchtlichen Beitrag Franklins deutlich würdigen müssen – was nicht bzw. spät geschah.