Im Spiegelkabinett des neuen Kindermuseums im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden blickt am Donnerstag (01.12.2005) eine junge Frau auf ihr tausendfach reproduziertes Ebenbild.
dpa/dpaweb/dpa-Zentralbild/Z1006 Matthias Hiekel
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Symmmetrien

Mathematik im Spiegelkabinett

Zwischen zwei Spiegeln lässt sich eine schwindelerregende Erfahrung machen: Das eigene Abbild wird immer wieder hin- und hergespiegelt – unendlich lange. Wie ein Spiegelkabinett zum Ausgangspunkt für die Erforschung von Symmetrien werden kann, erklärt die Mathematikerin Alexandra Edletzberger.

„Zwischen zwei Spiegeln verdoppelt sich das Bild unendlich-fach. D. h. wir haben hier zwei Spiegelungen, die gemeinsam eine unendliche Menge an Symmetrien bilden“, erklärt sie gegenüber science.ORF.at.

Alexandra Edletzberger ist PhD-Studentin an der Fakultät für Mathematik der Uni Wien und Expertin für Geometrische Gruppentheorie – einem Teilgebiet der Algebra, bei dem es immer auch um Symmetrien geht.

Die Mathematikerin Alexandra Edletzberger vor einer grünen Tafel
Lukas Wieselberg, ORF
Alexandra Edletzberger

Symmetrien in der Natur – und im Achteck

Symmetrien sind in der Natur weit verbreitet. Schneeflocken und Moleküle sind symmetrisch, die Körper der meisten Tiere und Pflanzen ebenso, in der Biologie gilt die Symmetrie von Gesichtern als Zeichen von Attraktivität.

„Die Gruppentheorie versucht, all diese Phänomene, die wir zum Teil schon aus der Volksschule kennen, zu abstrahieren – und zu verstehen, was all diese Symmetrien miteinander gemeinsam haben und wie wir sie in einer universellen Sprache beschreiben können“, sagt Edletzberger.

Konkret beschäftigt sie sich mit sogenannten Coxeter-Gruppen. Der britisch-kanadische Mathematiker Harold Coxeter hatte 1934 eine allgemeine Beschreibung für Spiegelungsgruppen gegeben. Ein anschauliches Beispiel liefert ein achteckiges Stoppschild – und die Fragen, welche Symmetrien es enthält.

16 Konfigurationen der Stopptafel
Gemeinfrei

"Wir können das Achteck erstens rotieren, nach links oder nach rechts. Und wir können es zweitens spiegeln“, sagt Edletzberger. „Wenn wir ausprobieren, wie viele verschiedenen Rotationen und Spiegelungen wir durchführen können, dann kommen wir am Ende auf 16 verschiedene Konfigurationen.“ (siehe Bild) Diese 16 Konfigurationen bilden die Symmetriegruppe eines regelmäßigen Achtecks. Eine Gruppe besteht also immer aus einer Menge (im Beispiel die 16) und aus einer Verknüpfungsoperation (hintereinander Ausführen von Rotationen und Spiegelungen).

Endliche und unendliche Gruppen

Offensichtlich handelt es sich bei dem Achteck um eine endliche Symmetriegruppe. Es gibt aber auch Gruppen mit einer unendlichen Menge an Symmetrien – erzeugt etwa im schwindelerregenden Spiegelkabinett. „Bei den endlichen Gruppen können wir die Konfigurationen konkret nennen“, erklärt Edletzberger. „Bei den unendlichen Gruppen können wir sie hingegen nur noch abstrakt und theoretisch beschreiben, weil wir ja keine unendliche Menge auflisten können.“ Was dafür fehlt, wäre quasi eine unendlich große Tafel.

Bei deutlich abstrakteren Objekten als einem Achteck sei es oft nicht einmal möglich, klar zu sagen, ob es sich dabei um endliche oder unendliche Gruppen handelt. „Bei Coxeter-Gruppen können wir das aber sehr wohl sagen, und ich versuche mit geometrischen Methoden ihre Eigenschaften zu beschreiben“, sagt die Mathematikerin.

Die Mathematikerin Alexandra Edletzberger schreibt auf einer grünen Tafel
Lukas Wieselberg, ORF

Diagramme wie ein Kinderspiel

Eine Besonderheit dieser Gruppen ist es, dass sie nicht mit mathematischen Formeln notiert werden müssen, sondern auch durch Diagramme dargestellt werden können. „Diese Diagramme sind sehr einfach, vergleichbar mit dem ‚Haus vom Nikolaus‘, dem Rätselspiel für Kinder“, sagt die Mathematikerin. Bei dem Spiel gilt es, ein Haus in einem Zug zu zeichnen, ohne Linien zweimal zu durchlaufen und ohne den Stift vom Papier abzusetzen – das geht nur mit acht Strecken, begleitet vom achtsilbigen Reim „Das ist das Haus vom Nikolaus“.

Ähnlich einfach sehen auch die Diagramme aus, die Edletzberger und ihre Zunft für die Darstellung der Coxeter-Gruppen zeichnet. „Wir können das Bild anschauen und sofort sehen, welche Eigenschaften die Gruppe hat. Das empfinde ich persönlich als intuitiv sehr befriedigend, weil wir keine langen Berechnungen machen müssen, sondern ein Blick genügt“, so Edletzberger.

Die Gruppen, die zu den beiden oberen Diagrammen gehören, haben den gleichen geometrischen Raum; die beiden unteren einen unterschiedlichen
Alexandra Edletzberger
Die Gruppen, die zu den beiden oberen Diagrammen gehören, entsprechen dem gleichen geometrischen Objekt; die beiden unteren einem unterschiedlichen.

Sie forscht daran, wie man nur anhand von einem solchen Diagramm erkennen kann, ob zwei Gruppen den gleichen – sehr komplizierten und abstrakten – geometrischen Objekten entsprechen oder nicht. Denn wie die zwei Beispiele zeigen (siehe Bild), können ähnlich aussehende Diagramme das gleiche geometrische Objekt beschreiben – müssen aber nicht.

Die Diagramme lassen sich in kleinere Teile „zerschneiden“, wie Edletzberger ausführt. Diese Teildiagramme gehören wieder zu Coxeter-Gruppen, die aber kleiner und damit leichter zu verstehen sind. Ob dabei Information über die größeren Gruppen verloren geht, ist eine der aktuellen Forschungsfragen der Mathematikerin.

Form, Funktion und Wirkung hängen zusammen

Die Beschäftigung mit den Symmetriegruppen ist gar nicht so weit von möglichen Anwendungen entfernt, wie man das auf den ersten Blick vielleicht glaubt. Denn: „Überall, wo man sich in der Wissenschaft mit Spiegelungen eines Objektes beschäftigt, dort ist eine Coxeter-Gruppe am Werk. Das gilt in einer abstrakten Form wie in der Mathematik genauso wie in der konkreten Form etwa eines Virus“, erklärt Edletzberger.

Viren könnten mit Hilfe dieser Symmetriegruppen ebenso besser beschrieben werden wie bestimmte Moleküle in der Chemie oder Kristalle in der Physik. Mit einer besseren Beschreibung ihrer Form sind auch Funktion und Wirkung von etwa Viren oder Molekülen besser zu verstehen – dahinter stecken Anwendungsmöglichkeiten von Pharmazie bis Materialwissenschaft.

Die Mathematikerin Alexandra Edletzberger vor einer grünen Tafel
Lukas Wieselberg, ORF

Anderer Zeithorizont als im Sport

Vor der Mathematik hat Edletzberger übrigens als Sportjournalistin bei einer österreichischen Tageszeitung gearbeitet. Viel miteinander zu tun haben diese beiden Bereiche nicht, findet sie, „außer, dass beide männerdominiert sind“.

Einen Hauptunterschied sieht sie im Zeithorizont: „Wenn man bei einer Tageszeitung arbeitet, ist der Artikel, das Produkt am Ende des Tages – wenn man nach Hause geht – fertig. Am nächsten Tag kommt man wieder und die Seite ist wieder leer. In der Mathematik hingegen beschäftigt man sich mit Fragen, die teilweise schon Jahrzehnte, manchmal Jahrhunderte ungelöst sind. Es kann zermürbend sein, wenn man weiß, dass manchmal zehn Jahre Arbeit in etwas fließen, ohne dass man am Ende die Frage beantworten kann.“