Die Mathematikerin Anna Breger hält ihre Nyckelharpa
Lukas Wieselberg, ORF
Lukas Wieselberg, ORF
Mathematik

Zwischen Nyckelharpa und Algorithmen

Musik und Mathematik haben viel miteinander zu tun. Harmonien etwa gehorchen mathematischen Regeln. Anna Breger ist Spezialistin in beiden Bereichen – und da wie dort mit Außergewöhnlichem beschäftigt. Musikalisch spielt sie die Nyckelharpa, eine Art Mischung aus Geige und Klavier, in der Mathematik entwickelt sie Algorithmen, die medizinische Bilder verbessern.

Die Leidenschaft für beide Bereiche ist ungefähr gleich groß, sagt Anna Breger gegenüber science.ORF.at. „Das Schöne ist, dass ich mit beiden arbeiten kann. Manchmal steht die Mathematik im Vordergrund, dann wieder die Musik.“

Faible für traditionelle Musik

Unterschiede gibt es dennoch. Denn in der Musik greift Anna Breger neben der historischen Violine zu einem ausgefallenen Instrument: Spuren der Nyckelharpa gibt es seit dem Mittelalter, das Streichinstrument mit vier Spiel- und zwölf Resonanzsaiten wurde aber lange vorrangig nur in einem kleinen Gebiet in Schweden gespielt. Im 20. Jahrhundert wurde das Instrument in Schweden weiterentwickelt und verbreitet, heutzutage gibt es sogar Nyckelharpa-Weltmeisterschaften.

Neben historischen Stücken spielt Breger, solo und in verschiedenen Ensembles, auch Eigenkompositionen. Beim Beispiel im Rahmen des ORF-Interviews handelt es sich aber um ein Stück aus einer alten Sammlung von Tanzmusik aus Norddeutschland im 18. Jahrhundert (siehe Video) – die Wiederbelebung traditioneller Musik aus dieser Zeit liegt ihr besonders am Herzen.

Gänzlich in der Gegenwart angesiedelt sind hingegen die mathematischen Projekte, mit denen sich Breger als Postdoc an der Universität Cambridge in Großbritannien und an der MedUni Wien beschäftigt. Im Mittelpunkt stehen dabei medizinische Bilder aus verschiedenen Quellen wie Röntgenstrahlen, Magnetresonanztomographie (MRT) und Computertomographie (CT). Sie ermöglichen den Blick ins Innere von Patienten und Patientinnen – und erleichtern somit Diagnose und Behandlung.

„Digitale Bilder sind mathematische Objekte“

Was das mit Mathematik zu tun hat? „Digitale Bilder sind mathematische Objekte. Und daher beruht die gesamte Bildbearbeitung auf mathematischen Grundlagen“, erklärt Breger.

Podcast-Hinweis

Alle Radiobeiträge zur Mathematik-Sommerserie in „Wissen aktuell“ sind als Podcast auf ORF Sound verfügbar.

Die praktische Herausforderung für Ärztinnen und Ärzte dahinter: Digitale Bilder sind niemals direkte Abbilder „der“ Wirklichkeit. Die Techniken, die sie erzeugen, tragen immer zum Ergebnis bei. Im Fall von MRT wäre die Zeit für ein komplett naturgetreues Abbild des untersuchten Körperteils schlicht zu lange. Patientinnen und Patienten würden es nicht stundenlang „in der Röhre“ aushalten, wenn etwa ein Gehirnscan gemacht wird. Deshalb rekonstruiert eine Software fehlende, nicht gescannte Stücke – „und diese müssen je nach Methode unterschiedlich evaluiert werden“.

Die Mathematikerin Anna Breger beim Interview vor einem Mikrofon
Lukas Wieselberg, ORF
Anna Breger beim Interview

„Solche Rekonstruktionsalgorithmen basieren heute oft auf maschinellem Lernen. In meinem Projekt versuche ich Qualitätskriterien zu entwickeln, die sagen können: Ist der Output von diesem Algorithmus gut oder schlecht?“ Gut heißt dabei nicht automatisch möglichst scharf, detailgetreu oder kontrastreich, wie Breger betont. Auch die individuellen Vorlieben von Ärztinnen und Ärzten können weit auseinander gehen.

Generell gelte: „Perfekte Bilder gibt es nicht. Sie sind immer ein Kompromiss, wenn man etwa die Scanzeit reduzieren will. Deshalb geht es darum, mit den Mitteln, die man hat, das bestmögliche Bild zu erzeugen. Die Frage ist jetzt: In welche Richtung geht der Kompromiss? Was ist wichtig und welche Information kann ich quasi wegschmeißen und ignorieren?“

Brücke zwischen Medizin und Technik

Im Jargon der Mathematik nennt sich das „Dimensionsreduktion“ – die Verringerung der Dimensionen und Menge von Daten, ohne dass wesentliche Informationen verloren gehen. Breger entwickelt deshalb in einem FWF-Projekt Algorithmen, die automatisch Fehler zwischen zwei Bildern – dem Referenzbild auf der einen Seite und dem komprimierten Bild auf der anderen – erkennen.

Die Mathematikerin Anna Breger hält ihre Nyckelharpa
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Breger und Nyckelharpa

Dies ist nur in intensivem Austausch mit jenen möglich, die diese Bilder nutzen, den Ärztinnen und Ärzten. Breger befragt sie, wie gute Bilder allgemein aussehen müssen, auf Basis derer sie Diagnosen stellen und Behandlungen empfehlen, und ob die komprimierten Bilder ihrem Anspruch genügen. Auf der anderen Seite stehen die Entwicklerinnen und Entwickler der Algorithmen und Implementierungen, Breger sieht sich da als Brücke zwischen Medizin und Technik.

Ziel des noch zweieinhalb Jahre laufenden Forschungsprojekts sind Qualitätsmaßstäbe für den Vergleich medizinischer Bilddaten. Für Vorarbeiten dazu hat sie 2021 eines der begehrten „For Women in Science“-Stipendien von L’Oreal erhalten.

Besseres Covid-19-Röntgen – und ein Walzer

In einem weiteren Projekt arbeitet Breger aktuell mit Bilddaten von Patienten und Patientinnen, deren Lungen nach Covid-19 beschädigt sind. An der Universität Cambridge sollen dabei Methoden mit maschinellem Lernen entstehen, die Röntgenbilder von Lungen besser darstellen und somit Diagnosen und Therapien erleichtern.

Auch an der renommierten Harvard Medical School in Boston/USA hat die Mathematikerin bereits gearbeitet. "Ich durfte dort knapp vor der Pandemie spannende Forschung betreiben und habe zusätzlich ganz liebe Musikerinnen kennengelernt, mit denen ich eine Band gegründet habe“, schwärmt Breger – und greift zum Abschluss des Interviews wieder zur Nyckelharpa. Den Walzer, den sie nun spielt, hat sie knapp nach ihrer Rückkehr aus Boston geschrieben.