Indigenes Volk: Mitglied der Aeta  schneidet das Blatt einer Heilpflanze
Rodolph Schlaepfer
Rodolph Schlaepfer
Analyse

In Jäger- und Sammlerkulturen jagen viele Frauen

Männer jagen, während Frauen Kinder erziehen und Beeren sammeln – so stellen sich viele die Lebensweise moderner Jäger- und Sammlerkulturen vor. Ganz so klar ist die Rollenverteilung dort aber nicht geregelt: Aktuelle Studiendaten zeigen, dass sich mehr Frauen aktiv an der Jagd beteiligen als gedacht.

Die Zahl der Jäger- und Sammlergemeinschaften, die noch weitgehend unberührt von westlichen Einflüssen und Technologien leben, ist mittlerweile sehr gering. „Wenn man von noch funktionierenden Gesellschaften spricht, dann reden wir nur noch von circa einer Handvoll. Wir schätzen, dass es noch fünf bis zehn davon auf der ganzen Welt gibt“, so der Sozialanthropologe Khaled Hakami von der Universität Wien gegenüber science.ORF.at.

Heute gibt es Jäger und Sammler vor allem noch in Regenwaldgebieten. Hakami besuchte zwei dieser Gemeinschaften in Indonesien und Thailand mehrmals. Wer dort welche Aufgaben übernimmt, ist laut dem Sozialanthropologen nicht immer klar geregelt. Das Bild der ausschließlich männlichen Jäger und der weiblichen Sammlerinnen entspreche jedenfalls meist nicht der Realität.

Gleichberechtigung im Regenwald

„Tendenziell gibt es zum Beispiel bei den Gruppen in Thailand die Rollenverteilung, dass Männer eher jagen und Frauen eher sammeln“, sagt Hakami. Klare Abgrenzungen zwischen den Geschlechtern gebe es aber oft nicht. Die Frauen in den Gemeinschaften stellen ebenso Jagdwaffen wie zum Beispiel Blasrohre her und erlegen Beute. Umgekehrt gibt es laut Hakami auch Männer, die Beeren und Pflanzen sammeln. „Generell herrscht in diesen Gruppen oft eine extreme Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern.“

Davon zeugt auch eine aktuell im Fachjournal „PLoS One“ präsentierte Studie von US-amerikanischen Forscherinnen. Das Team um die Biologin Cara Wall-Scheffler von der Seattle-Pacific-Universität in Washington analysierte darin Daten über Jäger- und Sammlergesellschaften aus den vergangenen hundert Jahren. Die Forscherinnen kamen zu dem Ergebnis, dass Frauen in 79 Prozent der untersuchten Gruppen aktiv an der Jagd beteiligt waren und es in modernen Jäger- und Sammlergemeinschaften oft immer noch sind.

Die Forscherinnen konnten auch zeigen, dass die Frauen sehr stark in die Bildung jüngerer Gruppenmitglieder involviert sind – auch, wenn es um das Erlernen von Jagdtechniken geht. Außerdem nutzten Frauen in den untersuchten Gemeinschaften oft mehr unterschiedliche Waffen und Strategien als die männlichen Jäger.

Jagdbeteiligung variiert

Wie häufig Frauen in den Gemeinschaften aber tatsächlich auf die Jagd gehen, konnten die Forscherinnen anhand der untersuchten Daten nicht bestimmen. „Es macht natürlich einen Unterschied, ob von rund 50 Frauen in einer Gruppe zwei auf die Jagd gehen oder 25“, sagt Hakami. Wie groß der weibliche Anteil ist, hänge von vielen Variablen ab und unterscheide sich von Gruppe zu Gruppe: „Welche Jagdtechnologie gibt es, welche Tiere werden gejagt und auf welchem Breitengrad leben die Menschen – je nachdem gibt es dann mehr oder weniger Frauen, die sich an der Jagd beteiligen.“

Die von Hakami besuchte Gemeinschaft in Thailand ernährt sich etwa zu rund 80 Prozent vegetarisch – das Sammeln von Beeren und Pflanzen ist demnach wichtiger als die Jagd auf Tiere. Weiter entfernt vom Äquator gibt es hingegen weniger essbare Pflanzen. Für nördlichere Jäger- und Sammlergemeinschaften ist die Jagd daher meist relevanter und es ist wahrscheinlicher, dass sich mehr Frauen daran beteiligen.

Falsches Bild durch Medien

Die US-amerikanischen Forscherinnen wollten anhand ihrer Untersuchung aufzeigen, dass viele Annahmen über moderne Jäger- und Sammlerkulturen nicht der Realität entsprechen. Damit möchten sie verhindern, dass Forscherinnen und Forscher voreingenommen an Untersuchungen herantreten und so die Ergebnisse verfälschen. Laut ihnen wurden etwa archäologische Funde von Jagdwerkzeugen in der Vergangenheit immer wieder falsch interpretiert, weil Frauen nicht als Jägerinnen, sondern ausschließlich als Sammlerinnen angesehen wurden.

In Wissenschaftskreisen ist laut Hakami allerdings schon länger bekannt, dass die Rollenverteilung in steinzeitlichen, aber auch modernen Jäger- und Sammlergesellschaften nicht unbedingt etwas mit dem Geschlecht zu tun hat. Dass sich das Bild der ausschließlich männlichen Jäger und der weiblichen Sammlerinnen in der Öffentlichkeit bis heute hält, liege nicht an wissenschaftlichen Fehlinterpretationen, sondern vielmehr an medialen Inhalten: „In den Medien, in Hollywood-Filmen und in Schulbüchern sind solche Bilder noch sehr stark vorhanden.“