Illustration: Rekonstruktion eines Jägers und Sammlers aus der Gravettien-Kultur (vor 32.000-24.000 Jahren), inspiriert von den archäologischen Funden der Fundstätte Arene Candide (Italien)
Tom Bjoerklund
Tom Bjoerklund
Europa

Eiszeit prägte Besiedelung in der Steinzeit

Klimaflüchtlinge gab es schon in der Steinzeit, wie neue Erbgutanalysen der frühen Jäger und Sammler in Europa zeigen. Die Besiedelung des Kontinents wurde demnach von verschiedenen Bevölkerungsgruppen angetrieben – die letzte Eiszeit erschwerte ihre Ausbreitung zum Teil aber enorm.

Vor dem Höhepunkt der letzten Eiszeit vor rund 25.000 Jahren war Europa bereits von Jägern und Sammlern bewohnt. Wie die Menschen damals aber konkret auf das kälter werdende Klima reagierten und wie sie sich nach der Eiszeit wieder auf dem Kontinent ausbreiteten, beschäftigt die Forschung schon lange.

Größte Erbgutanalyse bisher

Anhand des Erbguts von knapp 360 Jägern und Sammlern, die vor 35.000 bis 5.000 Jahren Europa und Teile Asiens bevölkerten, hat ein internationales Forschungsteam nun die steinzeitliche Besiedlung des Kontinents genauer nachgezeichnet. Insgesamt 125 Forscherinnen und Forscher – darunter auch zwei Österreicherinnen – waren an der Studie beteiligt, die derzeit im Fachjournal „Nature“ präsentiert wird. „Es handelt sich um die bisher umfangreichste Erbgutanalyse aus einer Periode, zu der es sonst nur wenige aussagekräftige Daten gibt“, so der Erstautor, Cosimo Posth von der Universität Tübingen gegenüber science.ORF.at.

Die vom Forschungsteam untersuchte Zeitspanne umfasst eine Periode, die in Europa unter anderem vom Vordringen und dem Rückzug eiszeitlicher Gletscher geprägt war. „Aus dieser Zeit stammen aber auch die ersten genetischen Spuren im Erbgut der Menschen, die wir bis zu den heutigen Bewohnern von Westeurasien zurückverfolgen können“, sagt Posth. Für den Genetiker war daher klar, dass die Periode trotz der widrigen Klimabedingungen von großer Bedeutung für die Besiedelung Europas sein musste.

Frühe genetische Vielfalt

Die Analyse des Erbguts zeigte unter anderem, dass schon vor dem Höhepunkt der letzten Eiszeit in Europa eine größere genetische Vielfalt am Kontinent herrschte, als gedacht. Die auf den Zeitraum vor 32.000 bis 24.000 Jahren datierte Gravettien-Kultur bestand demnach aus mehreren unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, und nicht, wie bisher oft vermutet, aus weit miteinander verwandten Familien.

Die Vertreter der verbreiteten Kultur nutzten europaweit eine relativ übereinstimmende Herangehensweise beim Anfertigen von Steinwerkzeugen und Kunstwerken. „Genetisch unterscheiden sich die einzelnen Gruppen aber stark voneinander“, so Posth, der vom Resultat der Erbgutanalyse selbst überrascht war. Die Menschen im Westen Europas wiesen demnach kaum genetische Gemeinsamkeiten mit den frühen Bewohnern von Zentral- und Südeuropa auf.

Bekannter Fund neu zugeordnet

Der Gravettien-Kultur wurden bisher auch die vor rund 31.000 Jahren unter einem Mammutschulterblatt am Wachtberg in Krems bestatteten Säuglinge zugeschrieben, die im Jahr 2005 entdeckt wurden und seither im Naturhistorischen Museum Wien (NHM) untersucht werden. Es handelt sich dabei um den weltweit ältesten Nachweis einer Zwillingsbestattung.

Das Forschungsteam ordnete den österreichischen Fund anhand des Erbguts nun aber dem „Věstonice-Cluster“ zu – benannt nach Funden aus Dolní Věstonice im heutigen Tschechien. Dieser wird von Posth als eine der beiden zentralen Gruppen angesehen, die die Gravettien-Kultur früher verkörperte.

Die zweite wichtige Gravettien-Untergruppe war der „Fournol-Cluster“, dessen Vertreter vor allem in West- und Südwesteuropa anzutreffen waren. Vor dem Höhepunkt der letzten Eiszeit in Europa vermischten sich die Mitglieder beider Gruppen zwar vereinzelt, danach ging man laut den Erkenntnissen des Forschungsteams aber getrennte Wege.

Flucht vor der Kälte

Mit der Ausbreitung der Gletscher zogen sich die beiden Bevölkerungsgruppen in verschiedene Teile Südeuropas zurück. Die „Fournol“-Vertreter flüchteten sich auf die iberische Halbinsel, während der „Věstonice-Cluster“ eher auf der italienischen Halbinsel Schutz vor der Kälte suchte.

Die Menschen, die sich auf die iberische Halbinsel flüchteten, überdauerten dort die härteste Periode der Eiszeit. Die Bevölkerungsgruppen in Italien hatten hingegen weniger Glück – in der Periode nach der Eiszeit konnten die Forscherinnen und Forscher ihr Erbgut nicht mehr nachweisen. Stattdessen sieht es danach aus, dass sich nach der Eiszeit vereinzelte Gruppen vom Balkan aus über Italien in ganz Europa verbreiten konnten.

Ausbreitung, Ersetzung und Vermischung

Aus den überlebenden Gruppen von der iberischen Halbinsel entstand später die Solutréen-Kultur, deren genetisches Erbe in der Folge auch in der weit verbreiteten Magdalénien-Kultur nachgewiesen wurde. Vertreter dieser Gruppe besiedelten weite Teile Süd-, West- und Zentraleuropas im Zeitraum vor rund 18.000 bis 12.000 Jahren. In dieses Bild passt auch eine im Fachjournal „Nature Ecology & Evolution“ veröffentlichte neue DNA-Analyse eines rund 23.000 Jahre alten Fundes aus der „Cueva del Malalmuerzo“ im Süden Spaniens.

Die Nachfahren der vom Balkan über Italien gekommenen Menschen gehören laut den Forscherinnen und Forschern hingegen zum „Villabruna-Cluster“. Sie machten sich laut den neuen Erkenntnissen vor rund 14.000 Jahren in weitere Teile Europas auf, und ersetzten dort sukzessive die Magdalénien-Vertreter.

Die Menschen der Magdalénien- und Villabruna-Kultur vermischten sich in einigen Teilen Europas aber auch. Das Erbgut dieser von Posth und dem Team als „Oberkassel-Gruppe“ bezeichneten Menschen kann heute noch über weite Teile des Kontinents nachgewiesen werden. Auch die DNA eines Zahnfundes aus dem im Bezirk Wiener Neustadt gelegenen Wöllersdorf-Steinabrückl lässt sich laut den Experten dieser „Oberkassel-Gruppe“ zuordnen.

Auslöser weiterhin unklar

Die genauen Gründe für die umfangreichen Wanderbewegungen der frühen Europäer sind den Forscherinnen und Forschern weiterhin ein Rätsel. „Es könnte natürlich sein, dass die Flucht und das Überleben bestimmter Bevölkerungsgruppen nur von der Kälte und dem daraus resultierenden Mangel an Nahrungsmitteln geprägt waren. Es wären aber auch weitere Gründe denkbar“, sagt Posth.

Einen möglichen Faktor könnte etwa auch der sich aus der heutigen Türkei langsam in Richtung Europa ausbreitende landwirtschaftliche Lebensstil darstellen, der die Jäger-Sammler-Gruppen in andere Teile des Kontinents trieb. Auch Konflikte zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen seien möglich – um die Gründe genauer zu klären, sind laut Posth aber noch weitere Untersuchungen nötig.