Ein Blick auf das IceCube-Labor mit sternenklaren Nachthimmel, auf dem die Milchstraße und grüne Polarlichter zu sehen sind
Yuya Makino, IceCube/NSF
Yuya Makino, IceCube/NSF
Astronomie

Die Milchstraße, gesehen mit Neutrino-Augen

Mit Hilfe zehnjähriger Messungen an der einen Kubikkilometer großen Detektoranlage „IceCube“ im Eis der Antarktis ist es einem internationalen Forschungsteam erstmals gelungen, Neutrinos, hochenergetische Elementarteilchen, aus unserer Milchstraße nachzuweisen. Zuvor hatte „IceCube“ ausschließlich Neutrinos aus fernen Galaxien registriert.

Zwar hatten theoretische Überlegungen eine ähnliche Teilchenstrahlung auch aus der Milchstraße vorhergesagt, jedoch gelang bisher kein Beweis. Erst der Einsatz moderner Methoden des maschinellen Lernens hat das Signal jetzt in den gesammelten Daten des Detektors sichtbar gemacht, berichten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Fachjournal „Science“.

Neutrinos sind recht scheue Gesellen: Sie treten mit gewöhnlicher Materie kaum in Wechselwirkung. Um die flüchtigen Partikel nachzuweisen, sind große Materiemengen nötig, die aus möglichst reinen Stoffen bestehen, die mit Neutrinos reagieren können.

Riesiger Eiswürfel

Ein solcher Stoff ist beispielsweise Wasser – und im Eis der Antarktis liegt es in großen Mengen in ausreichend reiner Form vor. Reagiert ein Neutrino mit einem Wassermolekül, was selten vorkommt, so entstehen elektrisch geladene Teilchen, die mit nahezu Lichtgeschwindigkeit durch das Eis rasen und dabei Licht aussenden: die Tscherenkow-Strahlung. Nach diesem Licht suchen die Forscher mit „IceCube“. Das ist – der Name sagt es bereits – ein Eiswürfel.

Eine künstlerische Komposition der Milchstraße, betrachtet aus einer Neutrinolinse (blau)
IceCube Collaboration/U.S. National Science Foundation (Lily Le & Shawn Johnson)/ESO (S. Brunier)
Eine künstlerische Komposition der Milchstraße, betrachtet aus einer Neutrinolinse (blau)

Ein riesiger Eiswürfel: Seine Kantenlänge beträgt einen Kilometer. Insgesamt 5.160 Lichtverstärker haben die Physikerinnen und Physiker des „IceCube“-Projekts bis zu 2,5 Kilometer tief in einem Kubikkilometer des antarktischen Eises versenkt. So können sie das Tscherenkow-Licht nicht nur einfangen, sondern auch die Richtung bestimmen, aus der es kommt – und damit auch die Herkunftsrichtung der Neutrinos.

Neutrinos spielen eine wichtige Rolle in der Kernphysik, so etwa auch bei der Kernfusion im Inneren der Sonne. Doch die Neutrinos, nach denen mit „IceCube“ gefahndet wird, sind millionen- bis zu milliardenfach energiereicher und entstehen bei Sternexplosionen und in der Umgebung supermassereicher Schwarzer Löcher in fernen Galaxien.

Rauschen überlagert Signal aus Milchstraße

Aber auch in unserer Milchstraße sollten durch die Wechselwirkung der kosmischen Strahlung mit Gas und Staub hochenergetische Neutrinos entstehen, zusammen mit Gammastrahlung. Doch während diese Gammastrahlung von Satellitenobservatorien aus nachgewiesen werden konnte, blieb die Suche nach den galaktischen Neutrinos bisher erfolglos.

Das Problem: Die kosmische Strahlung produziert auch in der Atmosphäre der Erde Neutrinos – und dieses Rauschen überlagert das gesuchte Signal aus der Milchstraße. Durch eine Verbesserung ihrer Methoden ist es dem „IceCube“-Forschungsteam jetzt jedoch gelungen, die Neutrinos aus der Milchstraße sichtbar zu machen. Zum einen filterten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler solche Ereignisse heraus, die vom Südhimmel und damit aus Richtung des Zentrums der Milchstraße stammen.

Unterstützung durch maschinelles Lernen

Und zur Bestimmung der genauen Herkunft der registrierten Neutrinos kam ein maßgeblich an der TU Dortmund entwickeltes, auf maschinellem Lernen basierendes Verfahren zum Einsatz. „Diese verbesserten Methoden führten dazu, dass wir etwa zehnmal mehr Neutrinos für die Auswertung verwenden konnten als zuvor, und das mit einer besseren Richtungsauflösung“, so Mirco Hünnefeld von der TU Dortmund. „Insgesamt war unsere Analyse damit dreimal empfindlicher als frühere Suchverfahren.“

Neutrino-„Augen“ (blaue Himmelskarte) vor einer künstlerischen Darstellung der Milchstraße
IceCube Collaboration/Science Communication Lab for CRC 1491
Neutrino-„Augen“ (blaue Himmelskarte) vor einer künstlerischen Darstellung der Milchstraße

Die so ausgewerteten „IceCube“-Daten liefern erstmals ein Bild der Milchstraße, wie sie mit „Neutrino-Augen“ betrachtet aussehen würde. „Und dieses Bild bestätigt unser bisheriges Wissen über die Milchstraße und die kosmische Strahlung“, so „IceCube“-Forscher Steve Sclafani. Doch das sei erst der Anfang.

„IceCube“ sammelt weiter Daten und die Methoden sollen weiter verbessert werden. „So erhalten wir ein Bild mit immer besserer Auflösung“, so Denise Caldwell vom „IceCube“-Projekt. So wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler herausfinden, wo genau die Neutrinos entstehen. „Und wir hoffen natürlich auch, dabei bisher unbekannte, nie zuvor gesehene Strukturen unserer Milchstraße zu entdecken.“