Zeichnung der Elfenbeinfrau
Miriam Lucianez Trivino
Miriam Lucianez Trivino
Kupferzeit

„Elfenbeinmann“ entpuppte sich als Frau

Vor 15 Jahren ist nahe Sevilla das Grab der ranghöchsten Person der kupferzeitlichen Gesellschaft auf der Iberischen Halbinsel entdeckt worden. Den Status belegten luxuriöse Grabbeigaben. Zahnschmelzanalysen entlarvten den vermeintlichen „Elfenbeinmann“ nun aber als Frau, berichten österreichische und spanische Forscherinnen.

In der kleinen Gemeinde Valencina nordwestlich von Sevilla in Spanien wird seit Jahren eine große, 450 Hektar umfassende kupferzeitliche „Megastätte“ mit mehreren aus großen Steinblöcken errichteten Gräbern mit Deckplatten (Dolmen) erforscht. 2008 wurde ein seltenes Einzelgrab mit den Überresten einer Person gefunden, die nach anthropologischen Standardanalysen als wahrscheinlich junger Mann identifiziert wurde, der im Alter zwischen 17 und 25 Jahren starb.

Strontiuma-Analysen zeigten, dass die Person aus der Gegend kam. Die Knochen wiesen auffallend hohe Quecksilberwerte auf, was auf intensiven Kontakt mit Zinnober hindeutet, ein Farbstoff, der damals häufig verwendet wurde. Als Grabbeigaben fanden sich ein großer Keramikteller mit Spuren von Wein und Cannabis, Bernstein aus dem Norden, Straußeneier, mehrere Gegenstände aus Feuerstein und Elfenbein, darunter ein kompletter Stoßzahn eines afrikanischen Elefanten.

Etwa zwei oder drei Generationen später wurden der bestatteten Person weitere Opfer dargebracht: Auf das Grab wurden Schieferplatten und darauf Keramikplatten und weitere Elfenbeinobjekte gelegt, etwa ein Dolch mit einer Klinge aus Bergkristall und einem reich mit Perlmutt verzierten Griff aus Elfenbein.

„Sozial prominentestes Individuum“

Quantität und Qualität der Grabbeigaben lassen vermuten, dass es sich bei dem jungen Menschen „um das sozial prominenteste Individuum“ der Kupferzeit auf der Iberischen Halbinsel (3.200 bis 2.200 v. u. Z.) gehandelt hat, schreibt das Forschungsteam um Marta Cintas-Peña von der Universität Sevilla und Katharina Rebay-Salisbury vom Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität Wien in der nun im Fachjournal „Scientific Reports“ veröffentlichten Arbeit.

Grab mit Artefakten
Miriam Lucianez Trivino
Skizze des Grabes der „Iron Lady“ mit einigen der Grabbeigaben

„Aufgrund der spektakulären, von weit her stammenden Beigaben ging man bisher davon aus, dass es sich um einen Mann gehandelt hat“, so Rebay-Salisbury. In ersten Publikationen zu dem Fund sei immer von einem „Elfenbeinhändler“ die Rede gewesen. Übliche Analysen zum Geschlecht, etwa anhand der Becken- oder Kopfform, seien gerade in den kupfer- und bronzezeitlichen Gesellschaften nicht so einfach, weil die Geschlechtsunterschiede damals nicht so groß gewesen seien wie heute. Zudem sei eine genaue Untersuchung aufgrund der klimatischen Bedingungen im Mittelmeerraum oft schwierig. Das betrifft sowohl DNA-Analysen, als auch den schlechten Erhaltungszustand der Knochen.

Status womöglich erarbeitet und nicht geerbt

Die Wissenschaftlerinnen setzten daher auf eine von ihnen gemeinsam mit Wiener Chemikern und Gerichtsmedizinern in der Archäologie eingesetzte Methode zur Analyse des Zahnschmelzes. „Das Gen Amelogenin ist für die Ausbildung von Zahnschmelz verantwortlich, und kommt in geschlechterspezifischen Varianten vor“, so Rebay-Salisbury. Entsprechend unterscheiden sich bei Mann und Frau auch die nach den Bauplänen dieses Gens aus Aminosäuren hergestellten Moleküle (Peptide), die im Zahnschmelz eingebaut werden.

Diese Unterschiede sind auch nach Tausenden von Jahren noch im Zahnschmelz konserviert. Bei der Analyse eines Backen- und eines Schneidezahns stellten die Forscher fest, dass das Individuum nicht männlich, sondern weiblich war. „Die ranghöchste Person in der iberischen Gesellschaft der Kupferzeit war also eine Frau, der ‚Ivory Man‘ entpuppte sich als ‚Ivory Lady‘“, so Rebay-Salisbury.

Zeichnung der Elfenbeinfrau
Miriam Lucianez Trivino
Rekonstruierte Zeichnung der „Elfenbeinfrau“

Weil in Valencina bei Kinderbestattungen keine Grabbeigaben gefunden wurden, gehen die Wissenschaftlerinnen davon aus, dass den Menschen der soziale Status nicht durch Geburt zugewiesen wurde. Man könne daher davon ausgehen, dass die „Elfenbeinfrau“ „eine herausragende soziale Stellung durch Verdienst und persönliche Leistung erlangt und sie nicht durch Geburt ererbt hat“. Es sei unwahrscheinlich, dass ihre Verbindung zu Substanzen wie Zinnober, Wein und Cannabis auf ausschließlich weltliche Praktiken zurückzuführen ist – weshalb Rebay-Salisbury vermutet, dass sie beispielsweise als Priesterin gelebt haben könnte.

Elfenbein, Bergkristall, Gold, Bernstein, Feuerstein

Die Funde zeigen, welch hohen Status Frauen zu einer Zeit haben konnten, in der kein Mann eine auch nur annähernd vergleichbare soziale Stellung einnahm. Nur andere Frauen, die zwei bis drei Generationen später in rund 100 Meter Entfernung von der „Elfenbeinfrau“ im Dolmen von Montelirio bestattet wurden, scheinen eine ähnlich hohe soziale Stellung gehabt zu haben. Von den 25 dort begrabenen Personen waren laut Knochenanalysen mindesten 15 Frauen, überwiegend im Alter zwischen 20 und 35 Jahren.

Auch bei ihnen wurden wertvolle Grabbeigaben gefunden, darunter Elfenbein, Bergkristall, Gold, Bernstein und Feuerstein. Einige Frauen trugen Gewänder, die aus Tausenden durchlöcherten Perlen gefertigt waren. So wie die „Elfenbeinfrau“ wiesen auch die meisten dort bestatteten Frauen außerordentlich hohe Quecksilberwerte in den Knochen auf, was auch bei ihnen auf eine intensive Zinnober-Exposition in ihrem Leben schließen lässt.

„Geschlechterstereotypen über Bord geworfen“

Die zweiten Opfergaben, die die „Elfenbeinfrau“ Jahre nach ihrem Tod erhalten hat, wurden zu jener Zeit hergestellt, in der der Dolmen von Montelirio errichtet wurde. Offensichtlich wollten dessen Erbauer ihre Verbindung mit der „Elfenbeinfrau“ unterstreichen, schreiben die Wissenschaftlerinnen. „Auf der Iberischen Halbinsel wurde bisher kein anderes Grab aus der Kupferzeit gefunden, das auch nur annähernd mit Reichtum und Raffinesse dieser beiden Gräber vergleichbar ist.“

Für Rebay-Salisbury erzählen die Forschungsergebnisse nicht nur über das mögliche Leben der „Elfenbeinfrau“, sondern auch darüber, wie Vorstellungen der Gegenwart die Interpretation der Vergangenheit prägen: "Häufig dominieren Bilder, wonach in der frühesten Epoche der Menschheitsgeschichte sämtliche Führungspositionen von Männern besetzt gewesen seien.

Mit diesem Fund werden viele unserer Geschlechterstereotypen über Bord geworfen", so die Archäologin. Die Ergebnisse würden dazu einladen, etablierte Interpretationen über die politische Rolle der Frauen am Beginn jener Zeit, in der Gesellschaften komplexer wurde, zu überdenken und traditionell vertretene Ansichten über die Vergangenheit in Frage zu stellen.