Thermometer zeigt 33 Grad Celsius
Getty Images/the_burtons
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Europa

2022: 60.000 Todesfälle durch Hitze

Mehr als 60.000 hitzebezogene Todesfälle hat es laut neuen Berechnungen im Sommer 2022 in Europa gegeben, dem bisher heißesten Sommer auf dem Kontinent seit Beginn der Aufzeichnungen. Die meisten Hitzeopfer hatte Italien (18.010) zu beklagen, gefolgt von Spanien (11.324) und Deutschland (8.173). In Österreich waren es 419 Hitzetote.

Die Gruppe um Joan Ballester vom Barcelona Institute for Global Health (ISGlobal) ermittelte die Werte über Datenanalysen und Computermodelle. Hitzebezogene Todesfälle sind nicht ganz einfach zu erfassen. Denn Hitze als direkte Todesursache, etwa bei einem Hitzschlag oder einem Sonnenstich, wird eher selten angegeben. Deshalb sind Mediziner und Statistikerinnen auf die Auswertung von Todesfällen und den Vergleich zwischen heißen und weniger heißen Sommern angewiesen. Sterben in Wochen mit hohen Temperaturen mehr Menschen als in vergleichbaren Wochen in anderen Jahren, dann wird diese Übersterblichkeit als hitzebezogen angenommen. Zwar sind die meisten Hitzetoten an einer Vorerkrankung gestorben, doch die Hitze hat den Körper zusätzlich belastet.

Ballester und sein Team stützen sich bei ihrer nun im Fachjournal „Nature Medicine“ veröffentlichten Analyse auf eine große Datenbasis: auf mehr als 45 Millionen Todesfälle zwischen Jänner 2015 und November 2022 aus 823 zusammenhängenden Regionen, die über 543 Millionen Europäerinnen und Europäer in 35 Ländern repräsentieren. Die Daten stammen vom Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat), ergänzt um Daten nationaler Statistikbehörden. Die Anzahl der Todesfälle setzten die Forscher und Forscherinnen in Beziehung zu Temperaturanomalien, die als Unterschied zwischen gemessenen Temperaturen und Basistemperaturen definiert wurden. Die Basistemperaturen sind dabei Mittelwerte aus dem Referenzzeitraum 1991 bis 2020.

Mittelmeer-Länder besonders betroffen

Der Analyse zufolge lagen die Temperaturen in Europa im Juni 2022 zwischen 0,78 und 2,33 Grad, im Juli zwischen 0,18 und 3,56 Grad und im August zwischen 0,91 und 2,67 Grad höher als die Basistemperaturen. Die höchsten Temperaturabweichungen gab es in Spanien und Südfrankreich. Spanien gehört mit 237 Hitzetoten pro eine Million Einwohnerinnen und Einwohner zu den am stärksten betroffenen Ländern, neben Italien (295), Griechenland (280) und Portugal (211). In Österreich waren es 47. Im Schnitt der 35 erfassten Ländern waren es 114 hitzebezogene Todesfälle.

Frankreich verzeichnete die höchste Zahl hitzebezogener Todesfälle bei Menschen im Alter bis zu 64 Jahre (1007). Insgesamt lag Frankreich mit 73 Hitzetoten pro eine Million Einwohner eher im europäischen Mittelfeld. Wo diese Daten verfügbar waren, ordneten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die hitzebezogenen Todesfälle Altersklassen zu. Im Sommer 2022 starben demnach 4822 Menschen im Alter von bis zu 64 Jahren durch Hitze, 9226 im Alter von 65 bis 79 Jahren und 36.848 im Alter von 80 oder mehr Jahren. Das bestätigt, dass Hitze für ältere Menschen ein besonders großes Risiko darstellt.

Politische Maßnahmen gefragt

Die Studienautoren und -autorinnen fordern die Politik zum Handeln auf: „Angesichts des Ausmaßes der hitzebedingten Sterblichkeit auf dem Kontinent mahnen unsere Ergebnisse eine Neubewertung und Stärkung von Hitzeüberwachungsplattformen, Präventionsplänen und langfristigen Anpassungsstrategien an.“ Sollten Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel ausbleiben, erwarten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen eine mittlere hitzebezogene Sterblichkeitsbelastung von etwa 68.000 Todesfällen pro Sommer bis zum Jahr 2030, mehr als 94.000 Todesfällen bis 2040 und deutlich über 120.000 Todesfällen bis 2050.

Matthias an der Heiden vom Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin zufolge stehen die Berechnungen der Studie auf einer soliden Basis. Dennoch hat er mit Kollegen und Kolleginnen für Deutschland „nur“ 4.500 Opfer der Folgen von Hitzewellen ermittelt. Den Unterschied zu den 8.173 hitzebezogenen Todesfällen in der aktuellen Studie erklärt er unter anderem mit unterschiedlichen Definitionen von „Hitze“: Während das Team um Ballester eine Wohlfühltemperatur (thermisches Optimum) bei einem Wochenmittelwert von 17 bis 19 Grad annimmt, liegt diese in der RKI-Studie bei 20 Grad. An der Heiden warnt davor, Hitze als Problem zu unterschätzen. „In heißeren Ländern gibt es oft schon mehr Anpassungen an hohe Temperaturen.“