Seismograph
vchalup/stock.adobe.com
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Erdbebenwarnung

GPS-Daten könnten vor Erdbeben warnen

Wirksame Erdbebenwarnungen brauchen Daten und Signale, die schon vor den Beben klar messbar sind. Fanzösische Forscher suchten nun mit globalen GPS-Daten nach solchen Vorläufersignalen und wurden fündig. Das Ergebnis ist laut Fachleuten zwar „aufregend“, um daraus tatsächlich Frühwarnsysteme zu entwickeln, fehle derzeit aber noch die Technik.

Sie sind der „heilige Gral der Erdbebenforschung“, sagt der Geophysiker Roland Bürgmann von der Universität von Kalifornien (USA). Die Rede ist von messbaren Vorläufersignalen, die eine bestimmte Zeit vor einem Erdbeben auftreten, deutlich messbar sind und klar darauf hinweisen, dass bald ein Beben bevorsteht. Expertinnen und Experten sind sich bis heute nicht sicher, ob es solch einheitliche und klar zu bestimmende Signale überhaupt gibt, erklärt Bürgmann gegenüber science.ORF.at.

Da Erdbeben bei geologischen Verwerfungen und Verschiebungen entstehen, hoffen Forscherinnen und Forscher schon lange auf den Beweis kleiner tektonischer Bewegungen, die von den Verwerfungen ausgehend vorab Informationen über das bevorstehende Beben preisgeben – über die genaue Zeit, die Stärke und die Größe. In bisherigen Laboruntersuchungen deutete viel darauf hin, dass es bei großen Beben mehrere kleine Wellen dieser Verschiebungen gibt. Die oft winzigen Signale auch im realen Leben aussagekräftig nachzuweisen, sei das Ziel vieler aktueller Forschungsarbeiten und könnte Frühwarnsysteme in Zukunft deutlich effektiver machen, so Bürgmann.

GPS-Analyse von 90 großen Beben

Zwei Forscher der Côte d’Azur-Universität (FR) nutzten nun GPS-Daten, um Informationen von über 3.000 Messnetzwerken weltweit zu analysieren. Die bereits in der Vergangenheit erhobenen Daten wurden in der Nähe von 90 großen Erdbeben aufgezeichnet – alle davon mit einer Stärke von mindestens sieben auf der Richterskala.

Die Forscher untersuchten, ob und wie stark sich bestimmte Messpunkte in verschiedenen zeitlichen Abständen vor dem Beben bewegten. Außerdem verglichen sie die Daten mit den Richtungen der erwarteten Wellen tektonischer Bewegungen, die sie anhand von Informationen der späteren Epizentren berechneten.

Es zeigte sich, dass viele der großen Erdbeben ein bestimmtes Merkmal gemein hatten: Rund zwei Stunden vor dem Beginn zeigten sich beim Durchschnitt der untersuchten Beben schneller werdende horizontale Bewegungen in der Nähe der Epizentren, die von langsamen Verschiebungen des Erdreichs herrührten. Anhand weiterer Analysen kamen die Forscher zu dem Schluss, dass es sich bei den horizontalen Bewegungen wahrscheinlich um messbare Vorläuferphasen handelte, aus denen künftig viele Informationen gewonnen werden könnten.

“Aufregend“, aber…

Die französischen Forscher präsentierten das Ergebnis ihrer Untersuchung aktuell im Fachjournal “Science“. Laut Bürgmann ist die neue Erkenntnis und die dafür verwendete Untersuchungsmethode beachtlich. Der Geophysiker war an der Forschungsarbeit nicht beteiligt, hat sie aber genau begutachtet und einen Begleitkommentar verfasst. „Das Ergebnis ist aufregend, weil es zumindest nahelegt, dass es natürliche Prozesse und damit auch verlässliche Merkmale gibt, die vor den meisten Erdbeben auftreten und eventuell messbar sind“, erklärt er.

Dennoch sei ein zuverlässiges Frühwarnsystem, mit dem bereits mehrere Stunden vor einem Erdbeben Alarm geschlagen werden könnte, noch in weiter Ferne. Aktuell gebe es zu viele Beschränkungen der Methode, was auch die Forscher in der Studie selbst klarstellen.

Fehlende Netzwerke und Forschung

Ein großes Problem liegt laut Bürgmann in den unzureichenden technischen Möglichkeiten, die es aktuell nicht erlauben, alle Erdbebenregionen anhand von GPS-Daten in Echtzeit zu überwachen. Auch das GPS-Netzwerk müsse stark erweitert werden. „Die meisten Erdbeben entstehen auf dem Meeresgrund und dort sind GPS-Signale noch kaum vorhanden“, so der Geophysiker. Eine Ausnahme bilde dabei Japan – nach dem großen Tōhoku-Erdbeben im Jahr 2011 wurde dort stark in die seismische Überwachung des Meeresgrunds investiert.

Fehlender Nachweis

Laut Bürgmann ist es im Nachhinein immer einfacher, aussagekräftige Signale als solche zu erkennen. „Was wir jetzt auf jeden Fall tun müssen, ist diese Vorläufersignale bei aktuellen Beben tatsächlich in Echtzeit zu messen, um daraus noch genauere Modelle erstellen zu können“, erklärt er.

Außerdem stellt sich für ihn noch die Frage, wie viele Informationen die gefundenen Vorläufersignale tatsächlich beinhalten. „Man muss in weiteren Untersuchungen klar aufzeigen, dass sie genug über die Größe, Stärke und den Ort des anstehenden Erdbebens verraten“, so Bürgmann.

Mehr Zeit = mehr Schutz

Das Potenzial sei trotzdem enorm, stellt der Geophysiker klar. Er selbst lebt im US-Bundesstaat Kalifornien, wo Erdbeben keine Seltenheit sind. „Aktuell bekomme ich ein paar Sekunden vor einem Beben oder erst wenn es schon angefangen hat eine Nachricht auf mein Mobiltelefon. Sollte der Ansatz des Forschungsteams irgendwann tatsächlich in der Praxis eingesetzt werden können, würde die Nachricht schon zwei Stunden früher kommen."

Auch wenn eine zweistündige Warnung vor einem großen Erdbeben kaum genug Zeit für umfangreiche Evakuationen ist, liegen die Vorteile laut Bürgmann auf der Hand. „Chirurgen könnten wichtige Operationen verschieben und Feuerwehren und andere Einsatzkräfte könnten sich schon auf das Beben und die anstehenden Einsätze einstellen“, erklärt er. Generell gebe es sehr viele Schutzmaßnahmen, die innerhalb einer Bevölkerung in zwei Stunden eingeleitet und umgesetzt werden könnten.