Poldi, der fliegende Wal
Wien Museum
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„Walfisch“ und Co.

Vorgeschmack auf neues Wien Museum

Nach drei Jahren Umbau wird das Wien Museum Anfang Dezember wieder öffnen – mit doppelter Nutzfläche, einer neuen Dauerausstellung und neuen Objekten, die von der Geschichte Wiens erzählen. Einen ersten Vorgeschmack auf diese Objekte liefert diese Woche „Ö1 Betrifft: Geschichte“ – allem voran mit dem legendären „Walfisch“.

Im Wiener Wurstelprater ist alles anderes. Da wird ein Wal zum Fisch, obwohl er bekanntlich ein Säugetier ist. Ob das an den vielen Krügerln liegt, die in den Gastgärten gestemmt werden und dabei den Blick verwässern, wer weiß? Bis vor zehn Jahren stand hier jedenfalls das Gasthaus „Zum Walfisch“ – darauf eine Skulptur, ein Wal, ein riesiges Ding, wahrlich ein Wahrzeichen des Praters.

Diese Wirtshausinstitution wurde bereits im 18. Jahrhundert gegründet und wie damals üblich, um Publikum anzulocken, war sie mit einem Ringelspiel verbunden, später mit einem Panorama, ab 1898 befand sich hier auch die Walfisch-Grottenbahn, die erste elektrisch betriebene Grottenbahn Europas. Auf Aufnahmen um 1900 ist zu sehen, dass das Gasthaus über einen imposanten Torbogen verfügte, dessen Gerüst aus einer Walrippe und dem Kieferknochen dieser imposanten Meeressäuger gebildet wurde.

Die Glanzzeit des „Walfisches“ waren die 1920er- bis 1930er Jahre, 2.000 Personen konnten zu den Öffnungszeiten verköstigt werden. 1945, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, wurde das Gasthaus zerstört, doch der beliebte Betrieb feierte ein Comeback: Die Wienerin, der Wiener und das Wirtshaus, das ist eine nicht endende Geschichte. Die Gaststätte wurde wieder belebt, eine Absolventin der Akademie für Angewandte Kunst, Maria Benke, entwarf eine Walskulptur. Zwei Restauratoren gestalteten aus Holz und Eisen das Skelett des Wals, das sie mit patinierten Kupferblechplatten überzogen.

Poldi, der fliegende Wal
Wien Museum
Der „Walfisch“

Beinahe zehn Meter groß war der eindrucksvolle Prater-Wal, ein Bartenwal, um genau zu sein. Diese Größten der Großen besitzen keine Zähe, sondern Hornplatten im Oberkiefer, um Krill und andere Kleinstlebewesen aus dem Wasser zu filtern. Im April 1951 wurde das Gasthaus mit dem Wal auf dem Dach wiedereröffnet, nach dem Schweizerhaus, das zweitgrößte des Wiener Praters. Die Augen der Skulptur leuchteten in der Nacht, und wie ein echter Meeressäuger stieß er in regelmäßigen Intervallen Wasserfontänen in den Himmel aus.

Ö1 Sendungshinweis

Ö1, Betrifft: Geschichte 7.-11.8.2023, 17:55 Uhr „Objekte mit Wiener Lokalkolorit“ (Gestaltung Andreas Wolf)

Mitunter sterben auch Gasthäuser, sogar im Prater. So war es auch beim „Walfisch“, 2013 erfolgte der Abriss. Die mit der Abtragung beauftragte Firma erkannte jedoch den symbolischen Wert der Skulptur, die für die Lokalgeschichte der Stadt große Bedeutung hat, er wurde auf das Firmengelände südlich von Wien gebracht, das ist dem beherzten Bauunternehmer Güner Ayaz zu verdanken. Der Wal strandete auf der Wiese. Schließlich wurde er dem Wien Museum angeboten, dessen Vizedirektorin, Ursula Storch, eine – um nicht zu sagen – die Prater-Kennerin ist, sich begeistert über die Rettung der eindrucksvollen Figur zeigte.

Im Depot des Wien-Museums in Himberg wurde der Wal restauriert, das betraf vor allem die Holzteile des Skeletts, und bald wird „Poldi“, diesen Namen erhielt die wehrlose Skulptur, in luftiger Höhe im neueröffneten und vergrößerten Haus ab Dezember 2023 schweben: Von den Krügerln und Stelzen in der Leopoldstadt in die unmittelbare Nähe des Barockjuwels Karlskirche. Wale kommen weit herum.

Spülküche aus Beton

Eine Antwort auf die Nahrungs- und Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg war die Siedlerbewegung. Angetrieben von der sich zunehmend verschlechternden Nahrungsmittelversorgung und der prekären Wohnungslage in Wien begannen Bewohner und Bewohnerinnen gegen Ende des Ersten Weltkrieges in den Außengebieten Grundflächen zu besetzen, zu roden, mit Hütten zu bebauen und mit Obst- und Gemüseanbau zu bewirtschaften. Aus diesen wilden Landbesetzungen in Form von „Bretteldörfern“ entstand Anfang der 1920er Jahre eine genossenschaftlich organisierte Siedlerbewegung mit zahlreichen Verbänden der unterschiedlichsten sozialen und ideologischen Gruppen. Die damalige Wohnbaubewegung „von unten“ hat bis heute unübersehbare Spuren im Wiener Stadtgebiet hinterlassen, etwa 50 Siedlungsanlagen mit 15.000 Wohneinheiten – meist in Reihenhausarchitektur – sind dabei entstanden.

Spülküche aus Beton der Architektin Margarete Lihotzky
Wien Museum
Die Spülküche aus Beton von Schütte-Lihotzky

Die fortschrittlichsten Architekten dieser Zeit, Adolf Loos, Josef Frank und Margarete Schütte-Lihotzky unterstützen diese Bewegung, ein wichtiger Akteur war auch der Nationalökonom Otto Neurath. Schütte-Lihotzky entwarf für die Siedlerbewegung den Prototyp einer kleinen Betonküche für alle Nass-Funktionen im Haushalt, mit Waschbecken, Badewanne und Kochkessel. Der ungewöhnliche Werkstoff, Beton, sollte Modernität signalisieren. Schütte-Lihotzky ging stets von praktischen und zweckmäßigen Überlegungen aus. Ihre Spülküche blieb Utopie, ein Prototyp dieser Betonküche ist jedoch im Wien Museum zu sehen.

Als 1923 die Wohnbausteuer eingeführt wurde und der Übergang zum öffentlichen Wohnbau einsetzte, der die auch heute noch bewundernswerten Gemeindebau-Burgen hervorbrachte, ebbte die Siedlerbewegung und ihre Unterstützung durch die Gemeinde ab. Schütte-Lihotzky ging 1926 nach Frankfurt/Main. Dort entwarf sie die erste Einbauküche der Welt, die berühmt gewordene „Frankfurter Küche“. Das Konzept dafür hatte sie jedoch schon mit der im Prototyp steckengebliebenen Spülküche entworfen: kostengünstig, weil in Serienproduktion; bei geringen Bewegungsabläufen, ein Maximum an Komfort.

Zum Schmeckenden Wurm

Bis ins späte 18. Jahrhundert boten Hausnamen eine Orientierungshilfe in der Residenzstadt Wien. Erst 1770 wurde die Konskription nach preußischem Vorbild eingeführt, bis dahin gab es keine Hausnummern. Im renovierten und vergrößerten Wien Museum wird auch ein legendärer Wurm zu sehen sein. Er war einst Namensgeber und optischer Anziehungspunkt einer Material- und Spezereienhandlung im ersten Wiener Gemeindebezirk.

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Geschäftsschild der Material – und Spezereihandlung „Zum schmeckenden Wurm“ (Haus Hof Nr. 722, heute 1., Wollzeile 5/Lugeck 5)
Wien Museum / Peter Kainz
Geschäftsschild der Material – und Spezereihandlung „Zum schmeckenden Wurm“ (Haus Hof Nr. 722, heute 1., Wollzeile 5/Lugeck 5)
Hauszeichen „Zum schmeckenden Wurm“ (ehemals Hof Nr. 772, heute 1., Lugeck 5/Wollzeile 5)
Wien Museum / Peter Kainz
Hauszeichen „Zum schmeckenden Wurm“
Hauszeichen „Zum schmeckenden Wurm“ (ehemals Hof Nr. 772, heute 1., Lugeck 5/Wollzeile 5)
Wien Museum
Hauszeichen „Zum schmeckenden Wurm“

Der Sage nach soll dort im Keller ein stinkender Lindwurm gehaust haben. Das Geschäft warb mit einem etwa zweieinhalb Meter langen krokodilähnlichen Fabelwesen mit geöffnetem Maul aus Eisenblech. Die Material- und Spezereienhandlung hieß „Zum schmeckenden Wurm“. Das Geschäft selbst erinnerte an eine Apotheke, bot Kräuter, Gewürze, Öle und Fette, aber auch Zucker, Kaffee, Reis, Mandeln und Zitronen an. Inserate des Geschäftseigentümers in der Wiener Zeitung warben mit wohlfeilem türkischem Kaffee. Angesprochen wurde eine adlige und bürgerliche Konsumentenschicht, die sich Produkte aus Übersee leisten konnte.

Vindobona und das Stadtrecht

Auf noch ein weiteres Objekt mit Wiener Lokalkolorit soll ab Dezember 2023 im wiedereröffneten Wien Museum das Augenmerk gelenkt werden: Es handelt sich um den Rest eines Bronzetäfelchens aus römischer Zeit. Lange Zeit wurde in der Altertumsforschung gerätselt, ob Vindobona, wie das Legionslager zur Römerzeit hieß, überhaupt ein Stadtrecht besaß. Immerhin lebten hier – rechnet man auch die zivilen Einrichtungen hinzu – gut 30.000 Menschen. Das Stadtrecht wurde von Rom aus vergeben, es regelte alle Bereiche des Zusammenlebens und war auf Bronzetafeln verfasst. Das waren zehn Tafeln mit einem hohen Metallwert. So ein Stadtrecht musste sich eine Gemeinde erst einmal leisten können.

Römische Stadttafel
Wien Museum
Die römische Stadttafel

Wie stand es nun um Vindobona? 1913 wurde bei Abrissarbeiten der päpstlichen Nuntiatur Am Hof im ersten Wiener Gemeindebezirk ein Bronzefragment entdeckt, das von der Forschung als Rest eines Gesetzestextes eingestuft wurde, doch wegen der geringen Größe, 13,2 mal 5,5 Zentimeter, schlummerte es seit 1913 in wechselnden Depots des Wien Museums dahin. 2020 nahm sich der Doktorand, Niklas Rafetseder, ein Althistoriker, des Täfelchens an. Er erweckte es aus seinem Dornröschenschlaf, weil er darin den lang gesuchten Beweis für die Gewährung des Stadtrechts erkannte.

Auf das Recht, wie jede Jus-Studentin und jeder Jus-Student weiß, verstanden sich die Römer besonders gut, Gesetzestexte blieben lange Zeit hindurch fast unverändert. Mit Hilfe eines Fundes im andalusischen Irni nahe Sevilla ließen sich die fehlenden Buchstaben und Zeilen im Wiener Bronzetäfelchen einigermaßen vervollständigen. Die Entzifferung von Epigraphen lässt einen schnell ans Ende seines Lateins kommen. Rafetseder schaffte es.

Ende des 3. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung kam diese Praxis der römischen Gesetzestafeln, die das Stadtrecht gewähren und an einer zentralen Stelle der Gemeinde ausgestellt wurden, nicht mehr zur Anwendung. Was ist mit ihnen geschehen? Man vermutet, dass sie wegen des hohen Metallwerts eingeschmolzen wurden, doch immerhin, was Wien betrifft, ein kleines Restl davon hat „überlebt“ und wird im Wien Museum ausgestellt. Da lohnt es sich doch, wieder einmal den alten Stowasser hervorzuholen und nachzuschlagen, was municipia, edicta etc. heißen. Das Wien Museum wird ab der Neueröffnung auch das Bronzetäfelchen mit dem ältesten Stadtgesetz Wiens ausstellen.