Rauch steigt aus Schornsteinen auf
Reuters/Peter Andrews
Reuters/Peter Andrews

Kaum CO2-Kompensation durch Waldschutz

Die CO2-Wirksamkeit von Emissionszertifikaten aus Waldschutzprojekten wird offenbar deutlich überschätzt. Was Expertinnen und Experten schon länger vermuten, bestätigt nun eine Studie, die am Donnerstag im Fachjournal „Science“ erschienen ist: Rund 70 Prozent der untersuchten Zertifikate reduzierten keine Emissionen.

Sich von „Klimasünden“ freizukaufen, indem Unternehmen CO2-Zertifikate erwerben, klingt nach einer praktischen Lösung für das Emissionsproblem. Der freiwillige Kohlenstoffmarkt, dessen Wert auf 1,3 bis zwei Milliarden Dollar geschätzt wird, hat in den letzten Jahren an Beliebtheit gewonnen – ganz so einfach ist es aber nicht.

Die Forschungsarbeit bewertet Projekte des US-amerikanischen Unternehmens Verra, dem größten Zertifizierer am freien Kohlenstoffmarkt. Verra bietet Zertifikate für Waldschutz in Lateinamerika und Afrika. Zu den Kunden des Unternehmens zählen etwa die Konzerne Shell, Boeing und Bayer. Die Firmen kaufen Zertifikate und wollen damit ihre Klimabilanz verbessern – ein Zertifikat entspricht dabei einer Tonne vermiedenem CO2.

Dabei handelt es sich nicht etwa um Aufforstungsprojekte, die tatsächlich CO2 aus der Atmosphäre holen würden. Vielmehr geht es darum, bestehende Wälder zu schützen. Diese Zertifikate sind nicht zu verwechseln mit dem Emissionshandelsystem EHS der EU, das seit 2005 in Betrieb ist. Die bei Verra beteiligten Organisationen schätzen selbst, wie viel Wald sie schützen werden, woraufhin Verra dann ausrechnet, wie vielen CO2-Äquivalenten das entspricht.

Dreimal mehr Emissionen verkauft als verhindert

Die Studie vergleicht 18 Kompensationsprojekte aus fünf Ländern: Peru, Kolumbien, Kambodscha, Tansania und der Demokratischen Republik Kongo. Diese Länder sind durch Flächenbedarf für die industrielle Land- und Viehwirtschaft besonders stark von Entwaldung betroffen. Statt sich wie frühere Arbeiten allein auf historische Abholzungstrends zu stützen, analysierten die Fachleute die Wirkung der Projekte auch mittels Vergleichsflächen, die in der Umgebung der Wälder liegen und einem ähnlichen Entwaldungsdruck ausgesetzt sind.

„Wir haben festgestellt, dass die meisten Projekte die Entwaldung nicht signifikant verringert haben. Bei den Projekten, bei denen dies der Fall war, waren die Reduzierungen wesentlich geringer als behauptet“, so das Resultat der Studienautorinnen und -autoren.

Die untersuchten Projekte hatten bis November 2021 insgesamt 62 Millionen Zertifikate ausgestellt, wobei 14,6 Millionen davon verkauft wurden. Zwei Drittel der Zertifikate stammt laut der Studie aus Projekten, die die Entwaldung verglichen mit den Kontrollflächen nicht verringerten. Nur ein Projekt vermied tatsächlich so viele Emissionen, wie angegeben, ein anderes sogar etwas mehr. In Summe gaben die Projekte jedoch dreimal mehr vermiedene Emissionen an, als sie tatsächlich reduzierten.

Flächen mit geringem Entwaldungsdruck

Warum Verra so viel höhere Werte für die vermiedenen Emissionen angibt, wird laut Studie durch mehrere Faktoren erklärt. Erstens könnten sich die Entwaldungsraten in den betroffenen Gebieten schneller ändern, als dass sie Eingang in die Bewertung der Projekte finden, die nur alle zehn Jahre stattfindet. Zweitens seien die Daten oft veraltet.

Außerdem würden auch gerne Flächen ausgewählt, auf denen der Entwaldungsdruck sowieso gering ist. „Dies sind Flächen, die ökonomisch unattraktiv sind, weit entfernt von Straßen liegen, in Gebirgen oder Sümpfen“, so Jonas Hein vom German Institute of Development and Sustainability in Bonn, der an der Studie nicht beteiligt war. Er meint, das werde in den Berechnungen nicht ausreichend berücksichtigt.

Bereits zuvor Kritik an Zertifikatshandel

Verra wurde bereits im Jänner 2023 in einer Recherche von „The Guardian“, der „Zeit“ und „SourceMaterial“ belastet, sogar mit noch drastischeren Zahlen: 90 Prozent der Zertifikate seien wertlos. Die Kritik der Medien basierte auf drei Studien, die mittels Satellitendaten die tatsächliche Entwaldung in den betroffenen Gebieten verfolgten. Das Resümee: Die Bedrohung der Wälder würde von Verra im Schnitt um 400 Prozent überschätzt, in manchen Fällen sogar um 950 Prozent.

Abholzung im Madre de Dios Regenwald in Peru
Eleanor Warren-Thomas
Abholzung im Madre de Dios Regenwald in Peru

All diese Indizien stellen laut Fachleuten die Vertrauenswürdigkeit von Waldschutzzertifikaten in Frage. „Flexibilitäten in den Methoden werden ausgenutzt, um möglichst hohe Emissionsreduktionen auf dem Papier zu erzeugen“, erklärt Hannes Böttcher vom Öko-Institut Berlin. „Die Projekte sind ineffektiv für den Klimaschutz, aber ökonomisch effektiv für die Betreiber“, sagt auch Michael Köhl, Professor für Weltforstwirtschaft an der Universität Hamburg.

Bessere Methoden für Zertifizierung

Die Studienautorinnen und -autoren plädieren für eine Verfeinerung der Methoden, mit denen Zertifizierungsprojekte bewertet werden, um deren Vertrauenswürdigkeit zu erhalten. „Bewusstes ,Greenwashing‘ ist nicht zu entschuldigen, aber die Misserfolge aus den freiwilligen Projekten können auch als Chance gesehen werden, robuste Methoden der Verifikation zu entwickeln“, meint dazu Julia Pongratz, Professorin für physische Geographie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Der methodische Ansatz der Studie wäre laut Fachleuten ein Schritt in die richtige Richtung, um das Schutzpotenzial der Waldflächen besser bewerten zu können. Dabei sei es jedenfalls wichtig, dass unabhängige Institutionen Referenzwerte für Entwaldungsraten zur Verfügung stellen – und diese regelmäßig, in nicht zu langen Abständen, angepasst werden. Unabhängige Instanzen müssten zudem die Bewertungen von Firmen wie Verra überwachen. „Es werden Watchdog-Stellen eingerichtet, aber viele davon sind selbst in Kohlenstoffzertifizierung involviert – so werden die ihre eigenen Hausaufgaben bewerten“, sagt Andreas Kontoleon von der Universität Cambridge, der die Studie mitverfasst hat.

Zweifel an Sinnhaftigkeit von Kompensation

Das Unternehmen Verra kündigte selbst im Mai 2023 an, seine Bewertungskriterien für die Emissionswirksamkeit der Wälder zu überarbeiten. Im selben Monat legte auch CEO David Antonioli sein Amt nieder. Die EU-Kommission schlug im März mit der „Green Claims“-Verordnung Kriterien vor, die sicherstellen sollen, dass „etwas, das als umweltfreundlich verkauft wird, auch tatsächlich umweltfreundlich ist“.

Einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zweifeln jedoch generell an dem Ansatz, dass Unternehmen ihre Emissionen durch den Kauf von Zertifikaten kompensieren können. „Die Klimakompensation sollte auf keinen Fall dazu genutzt werden, klimaschädliche Geschäftsmodelle länger aufrecht zu erhalten“, sagt etwa Böttcher vom Öko-Institut Berlin. „Unvermeidbare“ Emissionen sollten nicht einfach durch Zertifikate ausgeglichen werden, weil dadurch der Anreiz zur Emissionsvermeidung genommen würde. Stattdessen solle direkt in Klimaschutz investiert werden.