Steinzeitliche Abbildungen von menschlichen Fußspuren und Tierspuren in Doro! nawas in Namibien.
Andreas Pastoors, CC-BY 4.0
Andreas Pastoors, CC-BY 4.0
Tausende Jahre alt

Wie Spurenleser Felsmalerei lesen

Steinzeitliche Felsdarstellungen von Tier- und Menschenspuren im heutigen Namibia sind so detailliert, dass gegenwärtige indigene Spurenleser die zugehörigen Lebewesen bestimmen können – und zwar deren Art, Geschlecht und Alter. Das zeigt eine neue deutsch-namibische Forschungsarbeit.

Die untersuchten Abbildungen wurden im letzten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung in Sandstein gehauen und sind im Doro !nawas-Gebirge im nordwestlichen Zentralnamibia noch gut erhalten. „Bis jetzt haben diese Spuren wenig Aufmerksamkeit bekommen, weil es Forscherinnen und Forschern an Wissen fehlte, diese zu interpretieren“, heißt es in der Studie.

Mit einem Forschungsansatz der besonderen Art hat sich ein Forschungsteam nun im Rahmen des „Tracking in Caves Project“ der Felskunst gewidmet. Sie kooperierten mit indigenen Spurensuchern, die den Spuren nicht nur die jeweiligen Arten zuordnen, sondern sogar Geschlecht und Alter der Tiere bestimmen konnten.

Die Spurenleseexperten Tsamgao Ciqae, /Ui Kxunta und Thui Thao aus dem Nyae Nyae Konservat in Tsumkwe haben für die Arbeit insgesamt 513 der spätsteinzeitlichen Abbildungen untersucht. „Während unsere wissenschaftlichen Methoden mathematisch berechenbar sind, erfassen die Fährtenleser Zusammenhänge, die wir zwar sehen, aber statistisch nicht ausdrücken können“, so Hauptautor Andreas Pastoors gegenüber science.ORF. „Voraussetzung ist Vertrauen und Verlässlichkeit.“

Viel Informationen in Stein gehauen

Für die steinzeitlichen Jäger und Sammler war es laut den Studienautoren überlebenswichtig, so viele Informationen wie möglich aus den Spuren herauszulesen. „Die Felskünstler ließen ihr Spezialwissen in jede der Abbildungen einfließen“, schreiben sie.

Steinzeitliche Abbildungen von Tieren und Menschen in Doro! nawas in Namibien.
Andreas Pastoors, CC-BY 4.0
Steinzeitliche Felskunst in Doro !nawas in Namibia zeigt Tiere und Menschen

Genau diese Informationen können die heutigen Fährtenleser den Darstellungen wieder entnehmen. Obwohl sie oft nicht der realistischen Größe entsprechen, können die Experten anhand der Spuren sogar feststellen, um welches Bein der Lebewesen es sich jeweils handelt.

Abbildungen von 39 Tierarten

Die Analyse der Experten sei immer einstimmig und entschlossen gewesen, so die Autoren. Ein großer Teil der Spuren gehört zu menschlichen Füßen – abgesehen davon haben Tsamgao Ciqae, /Ui Kxunta und Thui Thao die Abbildungen insgesamt 39 verschiedenen Tierarten zugeordnet. Die Bilder zeigen laut den Fährtenlesern keine generalisierten Formen, sondern stellen jeweils realistisch dargestellt ein spezifisches Lebewesen dar – von gewissem Alter und Geschlecht.

Die am häufigsten vertretenen Tiere sind Giraffen, Kudus und Springböcke, etwas weniger oft sind Löwen und verschiedene Affen gezeigt, selten auch Geparde, Schakale und einige Vogelarten. Die Forscher stellten fest, dass besonders räuberische Vierbeiner vielfach abgebildet sind.

Abdrücke von Tieren mit Namen und Details
Lenssen-Erz et al. 2023
Die Arten, zu denen die Darstellungen am häufigsten zugeordnet werden konnten

Die dargestellten menschlichen Spuren stammen meist von noch nicht erwachsenen Männern. Auch bei den Tieren sind bei den meisten Arten mehr männliche Individuen vertreten, nur bei einer Handvoll Arten – wie Perlhuhn, Büffel und Vogelstrauß – sind es mehr weibliche.

Hinweise auf Klimaveränderungen?

Die meisten abgebildeten Arten sind heute noch in der Region um Doro !nawas zu finden. Einige wenige, z. B. Büffel, Buschschwein und die Südliche Grünmeerkatze kommen dort jetzt aber nicht mehr vor, diese gibt es nur noch in feuchteren Habitaten – 300 Kilometer nördlich oder östlich. Die Forscher schlagen zwei mögliche Erklärungen für diesen Umstand vor:

„Entweder hatten die Leute gute Kenntnisse über diese weit entfernten feuchten Regionen oder es war zu der Zeit, in der die Felskunst geschaffen wurde, in Doro !nawas deutlich feuchter als heute. Dann hätten die Arten auch dort leben können.“

Bedeutung unklar

Die Archäologen schlussfolgern jedenfalls, dass die prähistorischen Felskünstler diese Abbildungen mit demselben Wissen schufen, das auch heutige Spurenexperten mitbringen. „Es wurde auch deutlich, dass diese Motive kulturell geprägt waren“, so Pastoors. Für welche Zwecke die Felskunst gemacht wurde, können die Fachleute nicht ableiten. „Was genau dahintersteckt, werden wir nicht herausbekommen“.

Auf die indigenen Experten wirken die in Stein festgehaltenen Spuren wie eine Art Schaubild, das verwendet werden könne, um Neulingen etwas beizubringen. Das Forschungsteam bewertet diese Idee grundsätzlich als schlüssig – die Vielfalt der gezeigten Tierarten und die Detailliertheit der Abbildungen würden dazu passen. Bestätigen könne man das aber nicht – direkte Belege gibt es keine. Eine solche Art „Klassenzimmer“ wäre für Jäger-Sammler-Kulturen außerdem untypisch.

„Was immer die zugrundeliegende Bedeutung dieser Abbildungen ist, könnte nur durch ein Gespräch mit den Künstlern geklärt werden.“ Die Forscher sehen indes bestätigt, dass indigenes Wissen und westliche Archäologie sich gut ergänzen.