Mexiko

Wie Kartellgewalt eingedämmt werden kann

Die Rekrutierung von neuen Mitgliedern zu unterbinden ist die einzige Möglichkeit, die durch Kartelle ausgeübte Gewalt in Mexiko einzudämmen. Inhaftierungen führen hingegen zu mehr Morden und steigenden Anwerbungen, wie eine Studie des Complexity Science Hub Vienna (CSH) in Wien zeigt.

In Mexiko tobt seit Jahren ein erbitterter Krieg zwischen rivalisierenden Kartellen. Auf 100.000 Einwohner kommen im Schnitt 27 Morde. Im Jahr 2021 starben so etwa 34.000 Menschen. Im selben Jahr entstanden durch die Gewalt laut Schätzungen Kosten in Höhe von 243 Milliarden US-Dollar (rund 227 Mrd. Euro), das entspricht 20,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) des Landes.

Mit derzeit rund 175.000 Mitgliedern – ein Plus von 60.000 seit 2012 – sind die mexikanischen Kartelle bereits der fünftgrößte Arbeitgeber im Land, so das Forschungsteam um Rafael Prieto-Curiel vom Complexity Science Hub Vienna (CSH). In der Studie wurden neben der Größe der Kartelle auch die Auswirkung verschiedener Maßnahmen zur Verringerung der Gewalt untersucht. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Science“ veröffentlicht.

Prävention schlägt Reaktion

Bisherige Ansätze dürften keine Wirkung gezeigt haben, im Gegenteil: Zwischen 2012 und 2021 sind die kartellbedingten Todesfälle der Studie zufolge um 77 Prozent angestiegen. „Wenn Mexiko diesen Weg fortsetzt, wird es bis 2027 40 Prozent mehr Tote geben als heute, und die Kartelle werden 26 Prozent mehr Mitglieder haben“, so Prieto-Curiel, der unter anderem in Mexico City studiert hat, in einer Aussendung des CSH. Würden doppelt so viele Menschen ins Gefängnis gesteckt, gäbe es im Jahr 2027 immer noch acht Prozent mehr Todesfälle, so die Analyse.

Könnte die Zahl der Rekrutierungen durch Kartelle halbiert werden, ließen sich die Opferzahlen hingegen um 25 Prozent und die Größe der Kartelle bis 2027 um elf Prozent reduzieren – Prävention schlägt also Reaktion. Bei einem völligen Rekrutierungsstopp würde es noch immer drei Jahre dauern, um das Gewaltniveau von 2012 wieder zu erreichen.

Karrierewege „kurz und gewalttätig“

Die Entwicklung der Kartelle wurde anhand von Daten zu Morden, Vermissten und Inhaftierungen in Mexiko zwischen 2012 und 2022 ausgewertet. Es zeigte sich, dass Kartelle viele ihrer Mitglieder durch Morde und Inhaftierungen wieder verlieren. „Die Karrierewege in den Kartellen sind sehr kurz und gewalttätig. In zehn Jahren werden 17 Prozent der von den Kartellen angeworbenen Personen tot sein, und 20 Prozent werden in Gefängnissen sitzen“, so Prieto-Curiel. Um dies auszugleichen, müssten pro Woche mindestens 350 neue Mitglieder rekrutiert werden.

Am Beispiel der Jahres 2021 zeige sich, dass von den Kartellen zwar 19.300 Personen neu rekrutiert wurden, aber 6.500 Mitglieder aufgrund von Konflikten mit anderen Kartellen und 5.700 Mitglieder durch Inhaftierungen wieder verloren gegangen sind. Dennoch bleibe ein Nettozuwachs von rund 7.100 Mitgliedern in diesem Jahr, was für die Rekrutierungsstärke der Kartelle spreche, streichen die Forscher hervor. Deshalb seien rasche und umfassende Maßnahmen erforderlich.