Herbtliche Landschaft: Bäume mit roten und braunen Blättern im Gegenlicht
Lilya – stock.adobe.com
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Hitzerekorde

Heißer Herbst gibt Klimaforschung Rätsel auf

Der September hat die bisherigen Temperaturrekorde förmlich pulverisiert – der Zuwachs ist so groß, dass selbst Klimamodelle in Erklärungsnöte kommen. Wahrscheinlichste Ursache des Temperatursprungs: Die Verbesserung der Luftqualität hat die Atmosphäre eines Kühleffekts beraubt.

Laut Angaben von Geosphere Austria war der vergangene September der wärmste, der hierzulande je gemessen wurde. Im Tiefland lagen die Messwerte 3,2 Grad über der Vergleichsperiode 1991–2020, in alpinen Regionen waren es sogar 4,2 Grad. So extreme Temperatursprünge gibt es freilich nur in lokalen Messreihen, doch auch im globalen Mittel übertraf dieser September den bisherigen Rekordmonat aus dem Jahr 2020 um einen halben Grad. Das sei der „Monat mit der stärksten abnormalen Hitze“ seit Beginn der Datenreihe im Jahr 1940 gewesen, diagnostizierte kürzlich das europäische Erdbeobachtungsprogramm Copernicus.

Mit Rekorden ist aufgrund des globalen Erwärmungstrends alle paar Jahre zu rechnen. Doch das Ausmaß kommt auch für Fachleute überraschend. „Das Ungewöhnliche ist der große Sprung nach oben, den dieser September gemacht hat. In der Größe haben wir das noch nie gesehen“, sagt der deutsche Klimaforscher Stefan Rahmstorf.

Der US-amerikanische Energie- und Klimaforscher Zeke Hausfather hat kürzlich auf Twitter (X) darauf hingewiesen, dass selbst die etablierten Klimamodelle angesichts dieses Sprungs in Erklärungsnöte kommen. Zumindest ruft die Temperaturspitze nach einer gesonderten Erklärung – nach Einflussgrößen, die das System aus der erwartbaren Norm des Treibhauseffekts hinaustreiben.

„El Nino“-Effekt?

Kandidaten dafür gibt es. Naheliegend ist etwa die Vermutung, das Klimaphänomen „El Nino“ könnte etwas damit zu tun haben. Diese sehr spezielle Temperaturverteilung im Pazifik tritt alle drei bis sieben Jahre auf und hat schon in der Vergangenheit ihren Teil zu Hitzerekorden beigesteuert, etwa im Jahr 1998, weil der warme Ozean auch einen Teil seiner Energie wieder an die Atmosphäre abgibt. So gesehen spräche einiges für einen „El Nino“-Effekt auch im heurigen Jahr.

Doch die Erklärung hat einen Schönheitsfehler. Denn normalerweise zeigen sich die Auswirkungen von „El Nino“ im Jahresverlauf deutlich später, oft erst im Folgejahr. Warum sich der Effekt nun früher bemerkbar machen sollte, noch dazu in diesem Ausmaß, bliebe noch zu zeigen.

Saubere Luft sorgt für Erwärmung

Wahrscheinlicher ist wohl Erklärung Nummer zwei: die Emissionen der Weltschifffahrt. Durch eine im Jänner 2020 in Kraft getretene Verordnung (IMO 2020) ist es in den letzten drei Jahren gelungen, den Ausstoß von Schwefelverbindungen durch die Schifffahrt um 80 Prozent zu reduzieren. Ein durchschlagender Erfolg im Kampf gegen die Luftverschmutzung – allerdings einer, für den es auch einen Preis zu zahlen gilt. Denn die Emissionen tragen auch zur Bildung von Wolken bei, die ihrerseits das Sonnenlicht reflektieren, also die Erwärmung bremsen.

Containerschiff, Port Botany in Sydney
AFP/SAEED KHAN
Weniger Luftschadstoffe bedeuten auch weniger Kühlung durch Wolken

Dass reine Luft der Klimaerwärmung einen zusätzlichen Schub gibt oder geben kann, wurde schon mehrfach nachgewiesen. Sollte dies nun der Hauptgrund für die Hitzerekorde im September sein, wäre das „eine schlechte Nachricht. Dann wäre die zusätzliche Erwärmung wohl von Dauer“, sagt Rahmstorf im Ö1-Interview. Was der Wissenschaftler vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) damit meint: Es wäre natürlich absurd, wieder mehr Luftverschmutzung zuzulassen, nur weil damit ein gewisser Kühleffekt für die Atmosphäre einhergeht.

Klimamodelle warten auf Update

Ganz verstanden ist das Phänomen allerdings noch nicht. Die IMO-Verordnung datiert wie erwähnt aus dem Jahr 2020, diese jüngste Entwicklung wurde in der sechsten Generation der IPCC-Klimamodelle (CMIP 6) noch nicht „eingepreist“. Womit auch es auch noch Spielraum für alternative Erklärungen der herbstlichen Temperaturrekorde gibt.

So wäre es theoretisch denkbar, dass das Weltklima einen bisher unbekannten Kipppunkt überschritten hat und sich das System nun quasi aus sich heraus beschleunigt. Erst im Februar hatte ein internationales Forschungsteam darauf hingewiesen, wie mächtig die selbstverstärkenden Zyklen im Weltklima sind – und wie wenig man noch immer darüber weiß. Rahmstorf will diese Option „nicht ausschließen“, sieht aber keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Klimaerwärmung gerade jetzt verselbstständigen sollte.

Wahrscheinlich ist jedenfalls, dass im Verlauf des Jahres noch weitere Höchstwerte folgen. Laut Geosphere Austria wurde am 3. Oktober mit 30,3 Grad in Langenlebarn (NÖ) ein neuer Rekord für diesen Monat gemessen. Global gesehen könnte 2023 durchaus das heißeste Jahr der Messgeschichte werden, Fachleute halten es auch für möglich, dass heuer erstmals die 1,5-Grad-Marke überschritten wird, auf die man die Klimaerwärmung laut Pariser Abkommen eigentlich begrenzen wollte.