Eisberg mit Berg im Hintergrund im Sermilik-Fjord in Ostgrönland
ORF/Paul Sihorsch
ORF/Paul Sihorsch
Arktisstation

Ein sicherer Hafen für die Grönlandforschung

Wind, Wellen, Eisbären – Grönland verzeiht keine Fehler. Die Sermilik-Station der Universität Graz ist kurz vor der Fertigstellung und soll ab kommendem Sommer sicherer Hafen für die Gletscher- und Atmosphärenforschung in der unwirtlichen Arktis sein. Und Grönland bleibt wohl noch länger Schauplatz der Klimaforschung.

Die Arktisgebiete sind besonders von der Klimaerwärmung betroffen – der tauende Permafrostboden, das schmelzende Eis. Der hohe Norden und die Antarktis sind daher übersät mit Forschungsstationen. Obwohl Grönland die größte Insel der Welt ist, ist die Dichte an Forschung noch gering, im Gegensatz etwa zu Spitzbergen – eine Chance für die Universität Graz.

25 Forscherinnen und Forscher finden in der neuen „Sermilik-Station“ der Universität Graz Platz. Der Bau ist fast abgeschlossen – Rohrleitungen und Elektrik fehlen noch. „Das Gebäude hat den ersten ‚Piteraq‘ überstanden und gehalten“, erklärt Stationsleiter Wolfgang Schöner. Der „Piteraq“ ist ein gefürchteter Sturm, der Windgeschwindigkeiten bis zu 200 km/h mit sich bringt und immer wieder Häuser in Grönland zerstört – eine regionale Besonderheit.

Dauerhafte Forschungsstation

TV-Sendungshinweis

Weitere Bilder aus Grönland und von der Station sehen Sie in Mayrs Magazin, 15.09. 18:30, ORF2.

Für grönländische Verhältnisse ist die Station relativ leicht erreichbar – mit dem Flugzeug geht es von Österreich nach Island und weiter nach Kulusuk, das etwa eine Bootsstunde von der Station entfernt liegt. Damit ist die Forschungsbasis auch für Studierende gut erreichbar. „Die Hauptsaison ist der Sommer und wenige Monate davor und danach, technisch möglich ist allerdings ein Ganzjahresbetrieb“, so Robert Galovic, der in der Station für technische Belange zuständig ist. Die Herausforderungen dabei: In Grönland kann es im Winter sehr kalt werden. Frisch- und Abwasser dürfen allerdings nicht einfrieren und die Station muss ausreichend beheizt werden.

Fotostrecke mit 3 Bildern

Sermilik-Station der Universität Graz in Ostgrönland
Universität Graz/Robert Galovic
Rechts im Bild der österreichische Teil der Forschungsstation
Die Sermilik-Station der Uni Graz aus der Nähe
Universität Graz/Roman Vilgut
Die Station steht geschützt in einer Bucht und wird durch einen nahegelegenen Bach mit Trinkwasser versorgt
Wolfgang Schöner, Christian Palmers und Peter Riedler vor der Station
Universität Graz/Roman Vilgut
Von links nach rechts: Stationsleiter Wolfgang Schöner, Spender Christian Palmers, Rektor Peter Riedler

Die Universität Kopenhagen forscht nebenan – die Station ist allerdings kleiner und der Fokus der Dänen liegt ohnehin auf ihrer Arktisstation im Westen Grönlands, für Österreich eine gute Möglichkeit den Standort auszubauen. „Wir haben eine enge Kooperation mit der Uni Kopenhagen. Dass wir die Forschung hier mit unserem Haus verstärken, hat sich angeboten“, so der Rektor der Universität Graz Peter Riedler.

Finanziert wird die Station durch eine Großspende der Palmers AG – sie übernimmt den Löwenanteil der Kosten von knapp zwei Millionen Euro. Der ehemalige Unternehmer Christian Palmers hat die Gespräche mit dem Austrian Polar Research Institut aufgenommen. Das Institut koordiniert die heimische Arktisforschung und ist in die Konzeption der Station eingebunden. Der 81-jährige Palmers war ebenfalls Teil der Delegation nach Grönland. Die Betriebskosten der Station von jährlich rund 100.000 Euro übernimmt die Universität Graz. „Natürlich geht mit dem Projekt eine Verantwortung einher. Wir wollen die Station langfristig absichern, das heißt die Professuren in Graz danach ausrichten“, Riedler.

Gletscherforschung vor der Haustüre

Wissenschaftlich ist der Standort in der Nähe des Ortes Tasiilaq besonders interessant. Einerseits können Forscherinnen und Forscher mehr über den Grönland-Sturm „Piteraq“ herausfinden, andererseits ist der Mittivakkat-Gletscher fußläufig erreichbar. Seit rund 90 Jahren steht der Gletscher auf der vorgelagerten Insel im Fokus der Forschung.

„Dem Gletscher geht es in diesem Jahr besonders schlecht. Der Mittivakkat-Gletscher ist sehr weit ausgeapert – hat damit fast keinen Schnee mehr darauf liegen. Es fehlt die Ernährung des Gletschers und damit schmilzt er sehr schnell ab“, erklärt Gletscherforscher Wolfgang Schöner neben dem Gletscherbach.

Im Wesentlichen ist der Temperaturanstieg durch die Klimaerwärmung die Ursache für die starke Schmelze. Sieben Millimeter pro Jahr steigt der Meeresspiegel laut Schöner durch das schwindende Grönlandeis. Diese Zahl werde steigen. Die wissenschaftlichen Hintergründe sind allerdings nicht trivial.

Fotostrecke mit 2 Bildern

Mittivakkat-Gletscher in Ostgrönland 1933
Keld Milthers
Aufnahme des Mittivakkat-Gletschers aus dem Jahr 1933
Mittivakkat-Gletscher in Ostgrönland 2019
Jakob Abermann
Aufnahme vom gleichen Punkt 2019

Es gehe nicht nur um die Effekte des schmelzenden Eises auf die Ozeane, die Auswirkungen auf die Atmosphäre spielen eine ebenso wichtige Rolle, so Schöner neben dem Grönlandeis (siehe Foto unten): „Das ist wie eine riesengroße, sehr kalte Fläche und die wirkt natürlich auf die Atmosphäre zurück. Das heißt, es wird sehr viel von der Strahlung reflektiert. Wenn sich das verändert, ist es ganz relevant, wie sich auch das Klima verändern wird.“

Quelle: Iris Hansche Die Veränderung des Mittivakkat-Gletschers im Zeitverlauf

Grönland – Paradies für Klimaforscher

An Gletschern werden die Veränderungen durch die Klimaerwärmung sichtbar – so auch an den unzähligen Eiszungen in Grönland. Die Insel ist daher ein Paradies für Forscherinnen und Forscher auf der Suche nach aussagekräftigen Daten. Teilweise werden historische Expeditionen wiederholt um alte und neue Daten vergleichen zu können. So forscht die Universität Graz aktuell auch im Nordwesten Grönlands – auf den Spuren des bekannten Polarforschers Alfred Wegener, der in den 1930er Jahren dort Messungen durchgeführt hat.

Fotostrecke mit 10 Bildern

Wolfgang Schöner am Fuße des Hann-Gletschers
ORF/Paul Sihorsch
Gletscherforscher Wolfgang Schöner am Fuße des Hann-Gletschers
Wolfgang Schöner steht für Messungen im Gletscherbach
Universität Graz/Robert Galovic
Schöner bei Messungen im Bach des Mittivakkat-Gletschers
Bild von der Gletscher-Moräne des Hann-Gletschers
ORF/Paul Sihorsch
Der Hann-Gletscher mit Blick auf den Innlandseisschild
Eisberg im Sermilik-Fjord
ORF/Paul Sihorsch
Ein mächtiger Eisberg auf dem Weg von Kulusik nach Tasiilaq
Ein besonders schöner Eisberg im Sermilik-Fjord
ORF/Paul Sihorsch
In den Fjorden ist eine Bootsfahrt ein Slalom zwischen den Eisbergen
Blick von oben auf einen grönländischen Sandstrand
ORF/Paul Sihorsch
Grönland hat viele Sandstrände, Temperaturen im September von maximal 15 Grad lassen keine Bade-Stimmung aufkommen
Ikateq, ein verlassender Ort mit Blick auf das Meer
ORF/Paul Sihorsch
Landflucht in Grönland bedeutet, dass Orte aufgelassen werden
Paul Sihorsch vor der Kamera
APRI/Christoph Ruhsam
TV-Berichterstattung in Grönlands Natur ist technisch eine besondere Herausforderung
Paul Sihorsch beim Sammeln von TV-Bildern
APRI/Christoph Ruhsam
An Bildern mangelt es in der Arktis allerdings nicht
Schwache Nordlichter am Himmel über Tasiilaq
ORF/Paul Sihorsch
Die Nordlichter waren nur sehr schwach zu sehen über Tasiilaq

Die Universität Graz möchte heute auch die Bevölkerung einbinden. So sollen sich etwa Einwohnerinnen und Einwohner in Tasiilaq mit ihrem Wissen über die Natur und die regionalen Besonderheiten einbringen. Områdechefin (vergleichbar mit einer Bezirkshauptfrau) Hjørdis Viberg: „Für uns ist es wichtig, dass unsere Kinder einen Ort haben, um hinauszugehen und mehr über die Klimaerwärmung zu lernen.“

Außerdem können die Menschen in der Region viel zurückgeben – einerseits eben durch Naturbeobachtungen, andererseits als Arbeitskräfte für den Erhalt der Station, so Viberg. Die Gespräche laufen. Zwei Treffen im Zuge der Grönlandreise haben gezeigt, dass sich die Bevölkerung auch einbringen möchte. „Bindet man die Menschen ein, werden sie automatisch Teil davon.“ Und die Forschung ist auch für die Menschen wichtig. So wollen die Grazer Forscherinnen und Forscher die Mechanismen rund um die Piteraqs entschlüsseln – immer wieder werden Häuser durch die unvorhersehbaren Stürme zerstört.

Fotostrecke mit 3 Bildern

Austausch mit der Gemeinde Tasiilaq zur Forschungsstation
ORF/Paul Sihorsch
Treffen mit Gemeindevertretern aus Tasiilaq zur Zusammenarbeit zwischen Forschung und Bevölkerung
Uni Rektor Peter Riedler und Omradschefin Hjørdis Viberg
Universität Graz/Roman Vilgut
Geschenkübergabe zwischen Omradschefin Hjørdis Viberg und Rektor Peter Riedler
Der Chor von Tasiilaq hat für die Österreich-Delegation musiziert
Universität Graz/Roman Vilgut
Grönländischer Abend für mehr Austausch zwischen Forschung und Bevölkerung. Es singt der Chor von Tasiilaq

Die Kehrseite des Paradies Grönland sind die sozialen Probleme innerhalb der Bevölkerung. Alkoholismus ist ein großes Thema. Die Hälfte der rund 900 Kinder in Tasiilaq und den Umlandgemeinden lebt nicht im Elternhaus, berichtet Hjørdis Viberg. Es gehe allerdings auch vorwärts: Im Ort soll eine Fischdosenfabrik entstehen, die unmittelbar bis zu acht Arbeitsplätze schafft, und durch die der Fischfang einen Aufwind erleben könnte – ein Motor für das soziale Gefüge.

Der Tourismus ist ebenfalls eine wichtige Einnahmequelle für den Ort – bis zu 4.000 Touristinnen und Touristen kommen jährlich. Dennoch sind grönländische Gemeinden stark von Subventionen abhängig. Durch eine Bezirkszusammenlegung von Tasiilaq mit Grönlands Hauptstadt Nuuk (knapp 700 km entfernt) ist allerdings ein Streit um Geldmittel entbrannt.

Die Reise zur Forschungsstation nach Grönland wurde auf Einladung der Universität Graz durchgeführt.