Mann mit Zopf und Axt vor untergehender Sonne
emerald_media – stock.adobe.com
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Klima

Warum die Wikinger von Grönland verschwanden

Etwa 400 Jahre lang hat eine Gruppe von Wikingern auf Grönland gelebt. Warum sie im 15. Jahrhundert für immer von der Insel verschwanden, ist bis heute nicht restlos geklärt. Eine Studie liefert nun eine mögliche Erklärung: Ein drastischer Anstieg des Meeresspiegels habe die Küstenbewohner vertrieben.

Im Jahr 985 landete Erik der Rote mit 25 Schiffen auf Grönland. Der berüchtigte und wegen Mordes aus Norwegen und Island verbannte Wikinger soll der einige Jahrzehnte zuvor entdeckten Insel auch ihren Namen gegeben haben: „Grünland“ – so wollte er sie für sein Gefolge attraktiv machen. Die Siedler rodeten Land und bauten Gras an, als Futter für ihr Vieh. Ungefähr 2.000 Menschen aus Skandinavien lebten hier zur Blütezeit, bevor sich ihre Spuren im 15. Jahrhundert für immer verlieren. Eine Eheschließung im Jahr 1408 ist das letzte schriftliche Zeugnis aus der östlichen Siedlung, die westlichen Teile der Kolonien sind vermutlich schon früher verlassen worden.

Hypothesen zum Verschwinden

Rund um das Verschwinden der Wikinger gibt es eine ganze Reihe an Hypothesen: wirtschaftliche Schwierigkeiten, Konflikte mit den Inuit, Seuchen, Temperaturstürze, u.v.m. Heute gehen die meisten Forscherinnen und Forscher davon aus, dass das Klima eine wichtige Rolle gespielt hat. Denn die um 1400 beginnende kleine Eiszeit erschwerte vermutlich auch auf der abgelegenen Insel das Leben.

Jüngere Forschungsergebnisse zeigten allerdings, dass sich solche klimatischen Veränderungen nicht überall gleichermaßen abspielen und auswirken müssen. Eine Studie aus dem vergangenen Jahr ergab etwa, dass nicht Kälte, sondern Dürre die Wikinger vertrieben haben könnte. Anhand von Eisbohrkernen konnte das Forschungsteam nachweisen, dass es zur Zeit der Wikinger auf Grönland wahrscheinlich eher warm und zu trocken gewesen ist.

Land unter Wasser?

Eine soeben im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences" erschienene Studie liefert nun eine weitere Erklärung zum Verschwinden der Siedler, auch sie hat mit dem Klima zu tun. Wie die Forscherinnen und Forscher um Marisa Borreggine von der Harvard University schreiben, gebe es bereits einige Hinweise, dass der Meeresspiegel rund um Grönland während und nach Zeit der Wikinger kontinuierlich gestiegen ist.

Modell Grönlandeisschild (Eis weiß bis blau, Wikinger-Siedlungen in grün, überflutete Zonen dunkelblau bis violett)
Konstantin Latychev
Modellierter Meeresspiegelanstieg im südlichen Grönland (Eis weiß bis blau, Wikinger-Siedlungen in grün, überflutete Zonen dunkelblau bis violett)

Die Nähe der Siedlungen zum Eisschild sowie ihre Lage an der Küste machte sie besonders anfällig für Überschwemmungen. Das zeigen unter anderem versunkene Ruinen. Bisherige Berechnungen ergaben einen Anstieg von etwa einem Meter für die östlichen Teile der Wikinger-Kolonie und bis zu drei Meter innerhalb eines Jahrtausends weiter im Norden.

Analysen menschlicher Überreste wie Müllhalden zeigen außerdem, dass sich die Ernährung der ansässigen Wikinger im 12. Jahrhundert verändert hat. Anstelle von Fleisch wurden immer häufiger Fisch und andere Meerestiere verzehrt – für die Forscherinnen und Forscher ein weiterer Hinweis darauf, dass im Lauf der Jahre fruchtbares Land verloren ging und die Menschen alternative Nahrungsquellen suchen mussten.

Küsten versanken

Für die aktuelle Arbeit hat das Team um Borreggine nun auf Basis bekannter geomorphologischer und paläoklimatischer Daten das Wachstum des Eisschilds und den Anstieg des Meeresspiegels rund um Grönland zur Zeit der Wikinger-Kolonien modelliert. Für das Modell wurden bisher vernachlässigte regionale Effekte berücksichtigt, etwa das Absenken der Erdkruste durch die Zunahme an Eis. Der wachsende Schild und das Meer bewegten sich gewissermaßen aufeinander zu. Ozeane füllen sich nicht wie eine Badewanne, heißt es dazu in der Studie. Wenn Eisschilder wachsen oder schmelzen, seien starke verformende und gravitative Kräfte am Werk.

Laut den neuen Berechnungen ist der Meeresspiegel zur Zeit der Wikinger um drei Meter gestiegen, die Küste habe sich vermutlich um hunderte Meter zurückgezogen. Laut den Forscherinnen und Forschern hat der drastische Meeresspiegelanstieg vermutlich eine bisher unterschätzte zentrale Rolle gespielt. Gemeinsam mit anderen ökologischen und sozialen Faktoren habe er dazu geführt, dass die Wikinger ihre Siedlungen auf Grönland für immer aufgeben mussten.