Starlink-4-Satelliten am 26. März 2020
AP Photo/Stocktrek Images
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Starlink & Co.

Prognose: Bald 100-mal mehr Satelliten

Schon jetzt umrunden Tausende Satelliten die Erde. Werden alle existierenden Pläne umgesetzt, könnten es bald über 100-mal mehr werden. Das erhöht das Risiko für Kollisionen und Kommunikationsprobleme, warnen nun Forscher – und fordern strengere Regulierungsmaßnahmen.

Das US-amerikanische Unternehmen SpaceX hat mit Starlink aktuell über 5.000 Satelliten im All – mindestens 7.000 weitere sollen folgen und immer mehr Menschen mit schnellem Internet versorgen. Nicht zuletzt wegen des in der Öffentlichkeit sehr präsenten Firmengründers Elon Musk handelt es sich dabei wahrscheinlich um die derzeit bekannteste Satellitenkonstellation in der Erdumlaufbahn.

Aber auch andere Unternehmen haben die Vorteile großer Weltraumflotten bereits für sich entdeckt und planen umfangreiche Investitionen. Das westafrikanische Land Ruanda hat im Jahr 2021 etwa verkündet, mit der Hilfe internationaler Unternehmen die Konstellation „Cinnamon-937“, und damit knapp 340.000 Satelliten, in die Umlaufbahn schicken zu wollen. Ein riesiges Unterfangen, das aber nur einen Teil der weltweiten Bemühungen um einen der begehrten Plätze in der Erdumlaufbahn darstellt.

Anträge für eine Million neuer Satelliten

Insgesamt könnte sich die Satellitenmenge in den kommenden Jahren um mehr als das 115-Fache erhöhen, erklären kanadische Forscher in einem aktuellen Bericht im Fachjournal „Science“. Zu der Erkenntnis kam das Team von der Universität von British Columbia, indem es die offiziellen Anträge an die Internationale Fernmeldeunion (ITU) von 2017 bis 2022 überprüfte.

In dem Zeitraum wurden Ansuchen für über eine Million neue Satelliten gestellt, die in den kommenden Jahren ihren Weg in die Erdumlaufbahn finden sollen. Die meisten davon werden in vergleichsweise niedrigen Höhen von bis zu 2.000 Kilometern zum Einsatz kommen – einer Region, die im Englischen auch als „Low Earth Orbit“ bekannt ist.

Nationale und internationale Kontrolle

Das Team konnte auf die Daten zugreifen, weil die ITU die wichtigste internationale Regulierungsinstanz für den Einsatz von Satelliten in der Umlaufbahn ist. Als erster Ansprechpartner für Unternehmen dient aber die Weltraumbehörde des jeweiligen Landes oder vergleichbare Institutionen. In Österreich reguliert das Umweltministerium die Genehmigung und die Kontrolle von Weltraumaktivitäten, wie auch bei dem Miniatursatelliten „PRETTY“, der vor wenigen Tagen ins All gebracht wurde.

Eine Reihe von SpaceX StarLink-Satelliten überfliegt ein altes Steinhaus in der Nähe von Florence, Kanada, 6. Mai 2021
AP
Starlink-Satelliten, aufgenommen im Mai 2021 in Kanada

Die ITU moderiert hingegen den internationalen Funkwelleneinsatz mit den Satelliten und kontrolliert damit gleichzeitig ihre Positionierung. Nur wenn sich die Satelliten in den von der ITU vorgegebenen Slots befinden, ist die Verbindung zur Erde garantiert. „Eine intakte Kommunikation mit dem Satelliten ist extrem wichtig. Die ITU hat daher die Aufgabe, bestimmte Regeln und Anforderungen zu bestimmen, die auf nationaler Ebene umgesetzt werden müssen und die dabei helfen, die Ansuchen und Interessen aus der ganzen Welt zu koordinieren“, erklärt Tomas Hrozensky vom European Space Policy Institute (ESPI) in Wien gegenüber science.ORF.at.

Zugriff auf Klimadaten

Der Experte war an dem Bericht der kanadischen Forscher nicht beteiligt, teilt aber einige ihrer Bedenken an dem enormen Wachstum im All. Das Team kritisiert, dass die Umlaufbahn noch zu oft als unlimitierte Ressource angesehen wird, was die Nutzung des „Low Earth Orbit“ künftig deutlich erschweren könnte. Je mehr dort los sei, desto größer sei das Risiko für folgenschwere Kommunikationsprobleme, meint auch Hrozensky. Die Gefahr von Kollisionen steige mit jedem weiteren Satelliten ebenfalls.

Nicht nur im All werden die kommerziell orientierten Satelliten künftig für Probleme sorgen. Auch die Forschung könnte unter der enormen Anzahl leiden. Schon jetzt kritisieren Expertinnen und Experten erschwerte Bedingungen in Bereichen der Astronomie, weil die Satelliten unter anderem ihre Sicht stören und den Nachthimmel zu stark erhellen.

„Viele Satelliten bedeuten potenziell auch viele Vorteile – es muss jetzt also vor allem darum gehen, die richtige Balance zwischen den sozioökonomischen Vorteilen und den Risiken im Weltraumverkehr zu finden“, stellt Hrozensky klar. Zu den größten Vorteilen gehören laut ihm unter anderem der Zugriff auf umfangreiche Daten über das Klima und andere Bereiche, die für die Wissenschaft von Bedeutung sind, detaillierte Ortungs- und Navigationssysteme und schnellere Verbindungsmöglichkeiten zum Internet.

Regeln werden oft umgangen

Die kanadischen Forscher weisen in ihrem Bericht auf einige Punkte hin, die bei der Regulierung vonseiten der ITU verbessert werden sollten. Vor allem bei der Vergabe der Slots in der Umlaufbahn sei es derzeit zu einfach, wichtige Regeln zu umgehen – etwa bei der maximalen Anzahl an Satelliten, mit der Unternehmen für bestimmte Positionen im Orbit ansuchen dürfen. Um die Maximalgrenze zu umgehen, reiche es dabei oft schon aus, mehrere kleine Anträge aus verschiedenen Ländern zu stellen. SpaceX stellte laut dem kanadischen Bericht etwa bereits Ansuchen aus den USA, Norwegen und Deutschland.

Da Unternehmen und Länder die Satelliten nicht sofort losschicken müssen, führt das aktuelle System laut dem Forschungsteam auch immer öfter dazu, dass bestimmte Regionen in der Erdumlaufbahn gewissermaßen nur reserviert und freigehalten werden, mit der Hoffnung, dass sich dort künftig Profit generieren lässt. In weiterer Folge führe das zu noch mehr Ansuchen an die ITU und dem Schwinden der verfügbaren Plätze für Forschungszwecke. „Wir müssen ganz klar einen effektiveren Weg finden, um mit dem wachsenden Weltraumverkehr klarzukommen“, sagt Hrozensky.

„Genauere Ortung nötig“

Laut dem Experten haben neben strengeren Regeln aber auch technische Verbesserungen das Potenzial, die Risiken im Orbit zu senken. Zum Beispiel: „Eine verbesserte Ortung der Satelliten würde ihren Einsatz sehr viel sicherer machen“, erklärt Hrozensky. Derzeit sei es nicht möglich, die Position einzelner Satelliten in ihrer Umlaufbahn exakt zu bestimmen. „Man macht das aktuell mit Vorhersagen, die oft Bereiche von mehreren Kilometern umspannen. Hier genauere Informationen zu haben, könnte die Kollisionswahrscheinlichkeit deutlich senken.“

Eine verbesserte Ortungsmöglichkeit von Satelliten sei dabei nur ein Ansatzpunkt von vielen. Große technische Fortschritte würden es laut Hrozensky potenziell sogar erlauben, noch mehr Satelliten in die Erdumlaufbahn zu schicken, ohne dabei die Risiken und negativen Effekte zu erhöhen.

Verhandlungen im November

Ob sich an den allgemeinen Regulierungsmaßnahmen der ITU etwas ändert, könnte sich schon bald zeigen – im November treffen sich die Verantwortlichen der 193 Mitgliedsstaaten bei der Weltfunkkonferenz in Dubai. Hrozensky geht davon aus, dass dort neben vielen anderen Themen auch über den enormen Satellitenzuwachs diskutiert wird.

Dennoch seien die Satelliten nur ein Teil der derzeit relevanten Themen im Weltraumverkehr. Neben der Erforschung großer Himmelskörper und Überlegungen über den potenziellen Nutzen von touristischen Aktivitäten und einer Mondbesiedelung habe die sichere Navigation in der Erdumlaufbahn aber jedenfalls hohe Priorität. „Wir müssen daher auch klären, wie wir abseits der Satelliten mit den steigenden Mengen an Weltraummüll umgehen, und wie man ihn effektiv aus der Umlaufbahn entfernen kann“, sagt Hrozensky.