Zwei Hände im Schattenriss halten auf eine weiße Wand
chalyshevae – stock.adobe.com
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Psychologie

Gesellschaften träumen sehr unterschiedlich

Menschen träumen nicht überall gleich: Laut einer neuen Studie unterscheiden sich die Träume indigener Gesellschaften Afrikas deutlich von jenen in westlichen Ländern. Erstere sind bedrohlicher, aber auch erlösender und stärker sozial orientiert als die der westlichen Bevölkerung.

Warum Menschen träumen, ist wissenschaftlich nicht restlos geklärt. Für Sigmund Freud waren Träume die „Hüter des Schlafs“, die halluzinatorischen Vorstellungen in der Nacht schützen ihm zufolge die Schlafenden vor äußerlichen Einflüssen und somit vor dem Aufwachen. In den 1970er Jahren herrschte die Vorstellung „Träume sind Schäume“, sie seien bloße Beiprodukte von rein körperlichen, bedeutungslosen Prozessen im Gehirn.

Seit den 90er Jahren gibt es wieder viel mehr Interesse an der Psychologie von Träumen. In der aktuellen, in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ erschienenen Studie geht ein Team um den kanadischen Anthropologen David Samson von Simulationstheorien des Träumens aus. Träume haben demnach eine biologische Funktion und boten in der evolutionären Entwicklung Fitnessvorteile. Sie simulieren die Wirklichkeit glaubwürdig und bereiten auf Situationen im Wachleben vor – etwa was die Regelung von Gefühlen betrifft.

Jäger und Sammler: Auflösungen sozial orientiert

Diese Situationen im Wachleben können sehr unterschiedlich sein, und deshalb haben die Fachleute zwei sehr verschiedene Menschengruppen miteinander verglichen: auf der einen Seite Jäger und Sammler in Tansania (den Hazda) und der Demokratischen Republik Kongo (den BaYaka), auf der anderen Seite Menschen in der Schweiz, Belgien und Kanada, darunter gesunde, aber auch welche mit psychiatrischen Erkrankungen.

„Wir haben festgestellt, dass die Träume der BaYaka und Hadza sehr dynamisch sind. Oft beginnen sie mit einer gefährlichen Situation, in der das Leben bedroht ist, enden aber mit einer Möglichkeit, diese Bedrohung zu überwinden“, sagte Studien-Mitautor Lampros Perogamvros von der Universität Genf in einer Aussendung.

Die emotionalen Auflösungen waren laut den Fachleuten bei den indigenen Bevölkerungsgruppen stark sozial orientiert. Als Beispiel nannten sie in einen Traum eines indigenen Menschen von einem Angriff eines Büffels mitten im Dschungel. Im Traum wurde er von einem Mitglied seiner Gemeinschaft gerettet.

Wenig kathartische Auflösung im Westen

"Bei den BaYaka und den Hadza sind die sozialen Bindungen notgedrungen sehr stark. Ihr Alltag ist im Vergleich zu den eher individualistischen Gesellschaften in Europa und Nordamerika in der Regel egalitärer“, sagt David Samson. „Es scheint, dass ihr Vertrauen in die Gemeinschaft dazu führt, dass sie mit den Sozialbeziehungen die bedrohlichen Trauminhalte am besten verarbeiten können.“ Beziehungen seien bei den Jägern und Sammlern „emotionale Werkzeuge“, so Samson. Das Forschungsteam vermutet daher, dass es einen engen Zusammenhang zwischen der Funktion von Träumen und den gesellschaftlichen Normen und Werten der jeweiligen untersuchten Gesellschaft gibt.

Das bewahrheitete sich beim Vergleich mit den Träumen der westlichen Bevölkerung. Auch hier wird bedrohlich geträumt, aber deutlich weniger aufgelöst, heißt es in der Studie. Psychisch erkrankte etwa, „die unter Albträumen oder sozialen Ängsten leiden, träumen sehr intensiv, ihre Träume enthalten aber keine kathartische emotionale Auflösung. In diesen Gruppen scheint die Anpassungsfunktion des Träumens mangelhaft zu sein", erklärt Lampros Perogamvros.

„Es scheint mehr als eine Art von funktionalen Träumen zu geben. Die vorliegende Studie zeigt, dass es eine starke Verbindung zwischen unserem soziokulturellen Leben und der Funktion von Träumen gibt“, so Perogamvros.