Regentropfen auf einem Ast
AFP – CHRISTOF STACHE
AFP – CHRISTOF STACHE
Katastrophenrisiken

Sechs Bereiche drohen zu kippen

Von Artensterben über Wassermangel bis zu den Gefahren von Weltraumschrott – sechs Schlüsselrisiken können zu unumkehrbaren Schäden führen, wenn nicht gegengesteuert wird. Das ist die Botschaft des Berichts „Interconnected Disaster Risks“ der Universität der Vereinten Nationen (UNU), der am Mittwoch veröffentlicht wurde.

Stirbt die Gopherschildkröte aus, dann gefährdet das auch andere Arten. Die Schildkröte gräbt Höhlen, die von mehr als 350 anderen Arten zur Fortpflanzung, zur Ernährung und zum Schutz vor Raubtieren und extremen Temperaturen genutzt werden. Ihr Verschwinden könnte eine Kettenreaktion auslösen.

Dann würde beispielsweise der Gopherfrosch verschwinden, der wiederum die Insektenpopulation kontrolliert und so Laubkieferwälder vor Schädlingsbefall schützt. Der Bericht warnt: Wenn ein Ökosystem mehrere besonders stark vernetzte Arten verliert, kollabiert es schließlich.

„Pufferkapazitäten der Systeme sinken“

„Wir waren überrascht, an wie vielen unterschiedlichen Punkten auf der Erde wir nahe an Risikokipppunkten stehen“, so Zita Sebesvari, stellvertretende Direktorin des Instituts für Umwelt und menschliche Sicherheit der Universität der Vereinten Nationen (UNU) in Bonn. Ein Risikokipppunkt sei immer dann erreicht, wenn ein System nicht mehr in der Lage ist, Risiken abzufedern und die erwarteten Funktionen zu erfüllen.

„Die Pufferkapazitäten dieser Systeme sinken und damit auch unsere Möglichkeiten, Risiken zu senken. Wenn wir dann diese Punkte überschreiten, verändern sich die Risiken drastisch.“ In unterschiedlichen Regionen der Erde stehe man unterschiedlich nahe an der Klippe. Das habe aber auch einen positiven Aspekt, so die Ökologin gegenüber science.ORF.at. So könne man voneinander lernen und dafür sorgen, dass an jenen Orten, an denen es noch Spielraum gibt, der Kipppunkt nicht erreicht werde.

Grundwasserversorgung in Saudi-Arabien bereits gekippt

Ein System, das laut Bericht zu kippen droht, ist die Grundwasserversorgung. Aus mehr als der Hälfte der großen Grundwasserleiter der Welt wird mehr Wasser entnommen, als sich auf natürliche Weise wieder auffüllen kann. Sinkt der Grundwasserspiegel dauerhaft unter das Niveau der vorhandenen Brunnentiefe, verliert die Landwirtschaft ihre Wasserquelle. Rund 70 Prozent des verwendeten Grundwassers wird in der Landwirtschaft verwendet, unter anderem, um Dürren abzufedern. Ist das Grundwasser erschöpft, gefährdet das wiederum das Lebensmittelsystem.

In Saudi-Arabien ist genau das passiert. Das Land war Mitte der 1990er Jahre der sechstgrößte Weizenexporteur der Welt. Da die Brunnen versiegten, muss das Land mittlerweile Weizen importieren. Ähnliches drohe in Indien, wo die Grundwasserentnahme zur Stromproduktion subventioniert wird, oder in den USA, wo man zugewiesene Wassermengen entnehmen muss, damit das Recht darauf nicht verfällt. „Gemeinschaftlich genutzte Güter brauchen eine bessere Regulierung“, so Sebesvari.

Computergenerierte Bild der European Space Agency (ESA) zeigt Weltraummüll, der neben intakten Satelliten um die Erde kreist.
APA/ESA
Computergeneriertes Bild der European Space Agency (ESA): Weltraummüll, der neben intakten Satelliten um die Erde kreist

Gefahren durch Weltraummüll in der Erdumlaufbahn

„Der Weltraum hat ein Müllproblem“, heißt es zudem im Bericht. Das komme daher, dass Satelliten, die nicht mehr funktionieren, in der Erdumlaufbahn belassen werden. Da sich dieser Weltraummüll mit einer Geschwindigkeit von mehr als 25.000 km/h bewegt, kann schon ein kleines Schrottteil bei einer Kollision enormen Schaden verursachen und dadurch für noch mehr Weltraumschrott sorgen. Die Internationale Raumstation (ISS) und funktionstüchtige Satelliten müssten deshalb regelmäßig Ausweichmanöver vollführen.

Der Bericht sieht das Risiko einer Kettenreaktion, sollten zwei große Objekte kollidieren. Das könne den Betrieb von Satelliten und die damit verbundene Wetterbeobachtung beeinträchtigen. Zudem sind die verschiedenen Risiken auch miteinander verbunden. „Wenn wir unser Satellitensystem verlieren, geht auch ein Werkzeug für das Grundwassermonitoring und unser Katastrophenfrühwarnsystem verloren“, so Sebesvari.

Gletscher ziehen sich zurück

Ein weiteres Schlüsselrisiko ist das Schmelzen der Gletscher. Diese ziehen sich zurück, wenn ihr Eis schneller schmilzt als neues durch Schnee geformt wird. Aufgrund der Klimaerwärmung schmelzen dem Bericht zufolge Gletscher weltweit doppelt so schnell wie in den vergangenen 20 Jahren. Wenn erst einmal der Höhepunkt der Schmelze überschritten ist, weil sich der Gletscher stark verkleinert hat, nimmt die Menge des Schmelzwassers ab – und das hat dem Bericht zufolge erhebliche Folgen für die Wasserversorgung, die in vielen Gebieten davon abhängt. Lange Phasen der Trockenheit können die Folge sein.

Kipppunkt „Unerträgliche Hitze“

Die Erderwärmung wird auch für den Menschen zunehmend zum Problem. In einigen Regionen werden heute schon Temperaturen erreicht, bei denen Menschen kaum noch ohne Hilfsmittel für längere Zeit draußen bleiben können. Das wird laut Bericht durch den menschengemachten Klimawandel in immer mehr Gebieten vorkommen. Kühlung durch Klimaanlagen und Ventilatoren können sich nur reiche Menschen leisten. Zudem verzögern sie den Autorinnen und Autoren zufolge nur den Zeitpunkt, an dem der Kipppunkt „Unerträgliche Hitze“ für Menschen erreicht ist.

Immer schwerwiegendere Katastrophen treiben zudem die Kosten für Versicherungen in die Höhe, bis sie irgendwann nicht mehr bezahlbar sind. Sobald dieser Punkt erreicht ist, haben die Menschen kein wirtschaftliches Sicherheitsnetz mehr.

Verzögerungsmaßnahmen dominieren

Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass sich die heute umgesetzten Lösungen eher auf eine Verzögerung der Kipppunkte konzentrieren als wirklich die Ursachen zu bekämpfen, und nennt als Beispiel dafür die Installation von Klimaanlagen. „Wir fokussieren nicht genug auf Zukunftsgerechtigkeit“, so Sebesvari im Interview. Die Rechte und Möglichkeiten zukünftiger Generationen müssten stärker in die Entscheidungsfindung einfließen, über Ombudsstellen beispielsweise.

Es müsse ein Umdenkprozess stattfinden, plädiert die Forscherin. Derzeit sehe sich die Menschheit als vom Ökosystem getrennte Wesen. „Wir sind aber Teil der Natur und müssen unsere Entscheidungen viel stärker danach ausrichten.“