Kohlekraftwerk stößt Gase aus
AFP – PATRIK STOLLARZ
AFP – PATRIK STOLLARZ

Noch weniger Spielraum für 1,5 Grad-Ziel

Die Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles aus dem Klimaabkommen von Paris könnte noch schwieriger werden als bisher angenommen. Neue Daten und Prognosemodelle zeigen: Um das Ziel nicht zu verfehlen, dürfte deutlich weniger Kohlendioxid (CO2) ausgestoßen werden als noch im Sechsten Weltklimabericht geschätzt.

Bei weltweiten CO2-Emissionen auf dem Niveau von 2022 wäre diese Menge in etwa sechs Jahren aufgebraucht, schreibt eine Forschungsgruppe um Robin Lamboll vom Imperial College London im Fachjournal „Nature Climate Change“.

Nur noch knapp 250 Gigatonnen C02 erlaubt

Das Pariser Klimaabkommen von 2015 zielt darauf ab, die Erderwärmung einzudämmen: Eine Begrenzung der Treibhausgasemissionen soll dafür sorgen, den Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. In den vergangenen Jahren hat die Klimaforschung immer wieder anhand von Computermodellen und Berechnungen geschätzt, welche Menge an CO2 zu einer Erwärmung von maximal 1,5 Grad führt.

Im Sechsten Weltklimabericht von 2021 lag diese Schätzung bei 494 Milliarden Tonnen (Gigatonnen) CO2. Bei einer Neuberechnung kamen Lamboll und sein Team nun zu einer verbleibenden CO2-Menge von 247 Gigatonnen CO2. Allerdings bezog sich im Weltklimabericht die Restmenge auf die Zeit ab Anfang 2020, während die aktuelle Studie Bezug auf die Zeit ab Anfang 2023 nimmt.

Aktuellere Daten

Großen Anteil an dem Unterschied zur früheren Schätzung hat die Verwendung eines neuen Computermodells, das den durch Treibhausgase verursachten Klimawandel simuliert. Zudem verwendete das Forschungsteam aktuellere Daten über tatsächliche CO2-Emissionen und über tauende Permafrostböden. Denn nach dem Rückgang des Ausstoßes im ersten Jahr der Coronavirus-Pandemie – also 2020 – lag die Menge der weltweiten CO2-Emissionen 2022 wieder auf Vor-Pandemie-Niveau bei rund 40 Milliarden Tonnen pro Jahr.

Falls in Zukunft nicht mehr als 247 Gigatonnen CO2 ausgestoßen wird, dann besteht eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, dass die Erderwärmung nicht über 1,5 Grad steigt. Für die Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels wären es der Schätzung von Lamboll und Kollegen zufolge noch 1.220 Gigatonnen bei einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent.

“Unangenehme Lektüre“ für die Politik

In einem Kommentar, ebenfalls in „Nature Climate Change“, schreibt Benjamin Sanderson vom Centre for International Climate and Environmental Research in Oslo: „Die Arbeit von Lamboll und Kollegen ist für politische Entscheidungsträger eine unangenehme Lektüre.“ Ihm zufolge verdeutlichen die Studienergebnisse, dass sich jede noch so strenge Berechnung mit überarbeiteten Daten und Erkenntnissen ändern könne.

“Klimawandel lässt nichts wie bisher“

Die Klimaforscherin Tatiana Ilyina von der Universität Hamburg hält die Resultate des Teams um Lamboll für seriös und belastbar. Die Studie zeige erneut, wie dringend eine schnelle Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen sei.

„Wir werden voraussichtlich in diesem Jahr wieder die höchsten CO2-Emissionen aller Zeiten haben. Ich weiß nicht, was wir als Wissenschaftler noch tun sollen, damit die globale Politik sich wirklich anstrengt.“ Zwar gebe es immer weniger Klimawandelleugner; aber immer häufiger heiße es, man könne den Klimawandel ohnehin nicht verhindern, also könne man so weiterleben wie bisher. „Der Klimawandel lässt aber nichts wie bisher“, betont Ilyina.

Jede Einsparung zählt

Niklas Höhne, Leiter des New Climate Institutes in Köln, sagt, dass die Studienergebnisse keinesfalls so gedeutet werden sollten, dass Anstrengungen zur Senkung der Treibhausgasemissionen aufgegeben werden könnten. Im Gegenteil: „Selbst wenn 1,5 Grad im mehrjährigen Mittel überschritten werden, ist es gut, vorher so viele Emissionen wie möglich eingespart zu haben, da jede eingesparte Tonne zu geringerer globaler Temperaturerhöhung führt und damit zu geringeren Schäden.“