Eine Frau schläft im Bett
Getty Images/Mladen Zivkovic
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Besser Schlafen

Wann Melatoninmittel helfen

Mehr als ein Viertel aller Menschen in Österreich leidet unter Schlafproblemen. Eine Gegenstrategie sehen viele Betroffene in Produkten, die das Schlafhormon Melatonin enthalten. Diese Mittel erleben derzeit einen Boom. Bei leichten Fällen können sie helfen, bei chronischer Schlaflosigkeit aber nicht, sagen Fachleute – und warnen vor dem Einsatz bei Kindern.

Prinzipiell hilft Melatonin dabei, abends besser einzuschlafen, sagt Neurologe Stefan Seidel, ärztlicher Direktor der Klinik Pirawath und früherer Leiter der Schlafambulanz am Wiener AKH. Doch leidet man bereits unter chronischer Schlaflosigkeit, muss man zuerst den Ursachen dafür auf den Grund gehen. Der Wunsch, mit einer Tablette oder dem einen Spray die Schlafstörung zu heilen, sei wenig realistisch. Chronisch sind Schlafprobleme dann, wenn sie mindestens drei Mal pro Woche über mehr als drei Wochen andauern und man tagsüber müde oder gereizt ist.

Spray erlaubt individuellere Dosis

Wer ab und zu nicht gut einschlafen kann, für den könnten Melatoninprodukte eine Möglichkeit sein. Wer also auf einer Reise den Jetlag vermeiden will, könnte versuchen, sich mit Melatonin zu helfen, so Stefan Seidel. Mit den Sprays könne man die individuelle Dosis genauer einstellen – durch die Anzahl der Hübe. Sogenannte Retard-Tabletten imitieren den natürlichen Melatoninverlauf im Körper und geben das Melatonin verzögert ab. Davon profitieren besonders Menschen, die in der Nacht mehrmals aufwachen und nicht mehr einschlafen können, so Stefan Seidel.

Melatonin macht müde, Tageslicht wach

Noch viel effektiver sei es allerdings, dazu auch ein gewisses Verhaltenstraining durchzuführen: nämlich dass man versucht, richtig müde zu werden. Dabei versucht man, das Schlaffenster stark einzuengen, bis auf etwa fünf Stunden – das ist das Minimum. So gelingt es leichter, einen höheren Schlafdruck aufzubauen. Und wenn man in der Nacht wachliegt, und die Gedanken kreisen, sollte man aufstehen, sich hinsetzen, ein Buch lesen und warten, bis man wieder schläfrig wird. Erst dann sollte man sich wieder ins Bett begeben. Mit dem Bett sollte „schlafen“ verknüpft sein, und nicht „grübeln“.

Der beste Zeitgeber ist allerdings immer noch das Tageslicht: Es empfiehlt sich also auch, möglichst schon in der Früh oder am Vormittag hinauszugehen. Und dann möglichst immer ungefähr zur selben Zeit schlafen zu gehen – auch das kann helfen. Fazit: Ein Melatoninpräparat ab und zu kann maximal einen gewissen – etwa einschlaffördernden – Effekt haben, so der Mediziner. Wer seine Schlafprobleme langfristig in den Griff bekommen will, sollte zusätzlich das eigene Verhalten ändern.

Nichts für Kinder

Besondere vorsichtig sollte man beim Einsatz von Melatoninmitteln bei Kindern sein – entsprechende bunte Gummibärchen sind in den Sozialen Netzwerken gerade Trend. Der Kinderarzt Ekkehart Paditz, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin und Schlafforschung (DGSM), etwa rät davon ab, den eigenen Kindern ohne Absprache mit einem Arzt oder einer Ärztin eines dieser Produkte zu geben. Bisher wisse man noch zu wenig über die Abbauwege von Melatonin bei Säuglingen und kleinen Kindern. Sicher sei, dass der Melatoninstoffwechsel bei ihnen langsamer laufe. Außerdem gebe es bei den in Studien geprüften Nahrungsergänzungsmitteln erhebliche Konzentrationsschwankungen.

In den USA gab es Paditz zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Todesfälle von Kleinkindern, die im zeitlichen Zusammenhang mit stark erhöhten Melatoninwerten standen. In einer US-Studie berichten Fachleute unter anderem von einem Fall, in dem Eltern ihrem drei Monate alten Kind regelmäßig zwischen acht und zehn Dosen eines hoch dosierten Melatoninprodukts pro Tag gaben. Ob eine Überdosis des Hormons zum Tod des Kindes führte, konnte nicht endgültig geklärt werden.

Besser Einschlafroutinen üben

Melatonin kommt in der Praxis bei Kindern nur selten zum Einsatz, sagt Jakob Maske, Sprecher des deutschen Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen (bvkj): „Behandlungsbedürftige Schlafstörungen kommen vor allem bei schwer chronisch kranken Kindern mit geistiger Behinderung vor, die in einem jungen jugendlichen Alter Einschlafschwierigkeiten haben.“ Er warnt davor, Melatonin unkritisch einzusetzen.

Vielmehr sei wichtig, bei einem Arztbesuch herauszufinden, welche Ursache die Schlafstörung haben könne. „Wir sehen immer wieder, dass Kinder und Jugendliche Einschlafprobleme haben, weil sie eine exzessive Handynutzung haben oder Filme vor dem Einschlafen schauen“, so Maske. „Meistens erledigen sich die Probleme, wenn die Eltern sich an die Tipps für die Einführung einer Schlafhygiene halten.“

Dazu gehört laut Paditz, Routinen zu entwickeln und vor dem Schlafen zur Ruhe zu kommen. Schließlich spielten auch Stress, Sorgen und Ängste eine Rolle beim Einschlafen. Eltern könnten Kindern am Bett beruhigend über den Kopf streicheln, ihnen ein Buch vorlesen oder ein Schlaflied singen.