Plakat „Centralbad“, 1904 von Hermann Grom-Rottmayer. Das Bad war als Schwulentreff bekannt und wird seit den 1980er Jahren als schwule Sauna Kaiserbründl geführt.
ORF.at/Dominique Hammer
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Monarchie

Wie Homosexuelle verfolgt wurden

Während der Habsburgermonarchie sind auf homosexuelle Handlungen schwere Strafen gestanden. Einzelne Intellektuelle wie Sigmund Freud und Karl Kraus setzten sich zwar für Straffreiheit ein, doch für Kaiser Franz Joseph kam das nicht infrage – auch wenn er bei seinem kleinen Bruder ein Auge zudrückte.

Als der junge Kaiser Franz Josef 1852 ein neues Strafgesetz erließ, beinhaltete das den Paragrafen 129 1b, der die „Unzucht“ mit Personen desselben Geschlechts unter Strafe stellte. 119 Jahre lang sollte der Paragraf in Kraft bleiben: bis zur Kleinen Strafrechtsreform von 1971.

Die Rechtslage in der Monarchie enthielt einige Besonderheiten im europäischen Vergleich, sagt Andreas Brunner, Germanist und Theaterwissenschaftler, der am QWIEN – Zentrum für queere Geschichte auch historische Forschung betreibt: „Zum einen ist die Strafandrohung mit bis zu fünf Jahren schweren Kerker ungewöhnlich hoch, zum anderen war der Paragraf geschlechtsneutral formuliert, wodurch auch sexuelle Handlungen zwischen Frauen strafrechtlich pönalisiert waren – auch das ist ungewöhnlich im europäischen Vergleich.“

Nur in der Theorie „geschlechtsneutral“

Was man genau unter „Unzucht“ verstand, wurde im Laufe der Jahrzehnte unterschiedlich ausgelegt. „Am Anfang war die Vorstellung, dass eigentlich nur der Analverkehr pönalisiert werden sollte, doch im Laufe der Zeit fielen immer mehr Handlungen darunter und die Verfolgungsintensität nahm zu“, so Brunner. Die Definition sei mehrmals Verhandlungsgegenstand am Obersten Gerichtshof gewesen. So war es laut einem OGH-Urteil von 1906 möglich, auch den Versuch einer homosexuellen Handlung zu bestrafen.

Zu 95 Prozent waren Männer von der strafrechtlichen Verfolgung betroffen, schätzt der Experte für queere Geschichte. In die Kategorie „Mann“ fielen für die Kriminalpolizei aber auch Transfrauen, die sich ebenfalls der „gleichgeschlechtlichen Unzucht“ strafbar machten, wenn sie mit Männern Sex hatten. Lesben und als Frauen gelesene Transmänner waren auch betroffen, aber in einem geringeren Ausmaß.

Universum History: Verbotenes Begehren – Meilensteine queerer Geschichte

Wien 1919: Die Bürgerstochter Margarethe „Gretl“ Csonka wird von ihrem Vater zu Sigmund Freud geschickt. Er soll sie von ihrem „verbotenen Begehren“ nach der skandalumwitterten preußischen Gräfin Puttkamer „heilen“. Doch Gretl kämpft um ihre Liebe – auch wenn das bedeutet, Sigmund Freud an der Nase herumzuführen.

„Frauen wurde lange Zeit keine eigenständige Sexualität zugestanden und weil die Vorstellung von Sexualität sehr stark auf Penetration beschränkt war, stellten sich viele Strafrechtswissenschaftler die Frage, wie denn Unzucht zwischen Frauen funktionieren solle“, so Brunner. Doch es stand so im Gesetz, also wurde die Kriminalpolizei aktiv, wenn „Unzuchtshandlungen“ zwischen Frauen angezeigt wurden. Generell agierte die Kripo eher auf Zuruf, auch bei Männern. „Es gab zwar ein eigenes zuständiges Sittendezernat, aber wir können nicht von einer systematischen Jagd auf Homosexuelle – wie sie später während des Nationalsozialismus stattfand – sprechen.“

TVthek-Hinweis

Die Doku von Universum History „Verbotenes Begehren – Meilensteine queerer Geschichte“ ist bis 12.12. in der TVthek online.

Queeres Leben um die Jahrhundertwende

Nicht nur die Strafverfolgung, auch das homosexuelle Leben selbst war für Lesben und Schwule sehr unterschiedlich. „Alleine die finanzielle und rechtliche Abhängigkeit von Frauen schränkte das lesbische Leben ein. Und es war nicht üblich, dass Frauen allein in ein Lokal gingen“, so Brunner. Daher seien heute wenig öffentliche Treffpunkte lesbischer Frauen aus der Monarchie belegt, anderes als bei den Männern: „Da gab es eine sehr lebhafte Subkultur um die Jahrhundertwende.

Der deutsche Sexualforscher und Aktivist Magnus Hirschfeld war 1903 in Wien und beschreibt das homosexuelle Wien in seinen Aufzeichnungen als sehr bunt und lebhaft und mit vielen Lokalen, die als Treffpunkte dienten.“ An diesen Orten gab es auch Veranstaltungen, Bälle und Travestiedarbietungen. Ungefährlich war das natürlich auch nicht. Transpersonen wurden wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses angezeigt, wenn sie nicht so gekleidet waren, wie es vom ihnen zugewiesenen Geschlecht erwartet wurde, und Gewerbetreibende konnten ihre Konzession verlieren, wenn sie „Unzuchtshandlungen“ in ihrem Lokal duldeten.

Badeanstalten als Treffpunkte

Beliebte schwule Treffpunkte waren in der Hauptstadt Wien und seinen Vorstädten vor allem die Badeanstalten, so Brunner: „Da gab es einerseits die Nobelbäder wie das Dianabad am Donaukanal und das Centralbad in der Innenstadt, das heute noch als Kaiserbründl-Sauna ein schwuler Treffpunkt ist. Und in den Vorstädten waren das Margaretenbad und das Esterházy-Bad bei proletarischen Männern beliebt, um andere Männer kennenzulernen.“

Kennenlernen im Bad, das hatten schwule Männer quer durch alle Schichten gemeinsam, wenn auch nicht in den gleichen Bädern. Aber es gab auch wesentliche Unterschiede: „Bessergestellte konnten es sich oft gut einrichten. Wer mit seiner Familie auf Gang, Küche und Kabinett zu sechst oder zu acht lebte, konnte natürlich weder einen Liebhaber mit nach Hause nehmen noch ein Hotelzimmer bezahlen.“ Man hatte Sex an öffentlichen Orten wie Bädern, Parks und Toilettenanlagen und war dadurch einem größeren Risiko ausgesetzt, angezeigt und verurteilt zu werden.

Plakat „Centralbad“, 1904 von Hermann Grom-Rottmayer. Das Bad war als Schwulentreff bekannt und wird seit den 1980er Jahren als schwule Sauna Kaiserbründl geführt.
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Plakat „Centralbad“, 1904 von Hermann Grom-Rottmayer

Prinzipiell kann man davon ausgehen, dass Menschen aus unteren Schichten überproportional von Verurteilungen betroffen waren, die entsprechenden Strafakten existieren allerdings nicht mehr. Sie sind erst ab dem Jahr 1936 erhalten und für die Zeit danach sprechen die Akten eine klare Sprache, so Brunner: „Für die NS-Zeit können wir nachweisen, dass Homosexuellenverfolgung blanke Klassenjustiz war.“

Skandal um den Erzherzog

Im Centralbad war auch der jüngste Bruder des Kaisers, Erzherzog Ludwig Viktor ein gern und oft gesehener Gast. Am Hof wussten vermutlich alle über seine Homosexualität Bescheid, als Mitglied des Erzhauses brauchte er aber keine strafrechtliche Verfolgung zu fürchten. Brunner erzählt: „Es gab Gerüchte, aber die öffentliche Wahrnehmung war reduziert, denn es bestand Hofzensur und darüber wurde natürlich nicht berichtet.“

Ludwig Viktor konnte seine Homosexualität jahrzehntelang fast ungehindert ausleben, bis es 1904 zum Skandal kam: Der Erzherzog kassierte eine Watsche, als er einen anderen Badegast im Centralbad sexuell belästigte. Der Vorfall wurde zum Stadtgespräch und Kaiser Franz Josef musste handeln. Für seinen Bruder ging es aber nicht in den Kerker, sondern auf ein Schloss: Er wurde aus Wien verbannt und verbrachte die letzten 15 Jahre seines Lebens auf Schloss Kleßheim in Salzburg.

Kleiner Kreis für Straffreiheit

Sexualität war im 19. Jahrhundert und um die Jahrhundertwende generell ein viel diskutiertes Thema und so auch die Homosexualität. In der Medizin, der Psychiatrie und der Sexualforschung machte man sich Gedanken darüber, woher Homosexualität kam, und das brachte auch das Strafrecht in die Kritik. Die Ärzte Richard Krafft-Ebing und Sigmund Freud setzten sich beispielsweise für die Abschaffung des Paragrafen 129 1b ein, denn in der Wissenschaft pathologisierte man Homosexuelle und definierte ihre Sexualität als psychische oder angeborene „Störung“. Eine „Störung“ bedeutete aber auch, dass man dafür nicht juristisch belangt werden konnte.

Diese Argumentation stand im Gegensatz zur weit verbreiteten und von der Kirche propagierten Sichtweise, wonach Homosexualität eine lasterhafte, unmoralische Lebensweise sei, zu der viele weitere verführt werden könnten, und die daher auch ein bevölkerungspolitisches Problem darstellen würde. Demnach musste man insbesondere Schwule bestrafen, damit sich ihr Lebensstil nicht ausbreitete.

Universum History: „Verbotenes Begehren – Meilensteine queerer Geschichte“, Andreas Brunner, Leiter von QWien (Zentrum für Queere Geschichte)
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Andreas Brunner, Leiter von QWien (Zentrum für Queere Geschichte)

Diese Sichtweise sei in rechten, konservativen und linken Kreisen weit verbreitet gewesen, so Brunner: „Es gab nur eine sehr dünne gesellschaftliche Schicht, die sich für Homosexuellenrechte einsetzte: Eine urbane, gebildete, künstlerische Schicht, die auch grundsätzlich eine offene Gesellschaft propagierte.“ Zu ihr gehörte unter anderem auch der Wiener Publizist Karl Kraus, der in seiner Zeitschrift „Die Fackel“ jahrelang immer wieder die Abschaffung des Paragrafen 129 1b forderte. Es gab auch immer wieder Petitionen für die Abschaffung, die von Prominenten aus Kunst und Kultur unterschrieben wurden, aber, so Brunner: „Ihre Wirksamkeit war gleich null.“

Als die Erste Republik ausgerufen wurde, änderte sich nichts an der Rechtslage, denn keine Partei interessierte sich für Homosexuellenrechte. Es folgte die systematische Verfolgung durch die Nazis und erst vor gut 50 Jahren wurde der Paragraf 129 1b aus dem Strafrecht gestrichen.