Molekularbiologie

Neues Organoidmodell für Hirnforschung

Ein Wiener Forschungsteam hat im Labor ein dreiteiliges Gehirn-Organoid geschaffen, an dem man Therapien gegen die Parkinson-Erkrankung und Drogensucht testen kann. Es wächst aus menschlichen Stammzellen heran und verkörpert das dopaminerge System im Gehirn, das für die Feinmotorik und als Belohnungszentrum lebenswichtig ist.

Zunächst entwickelte das Team um Jürgen Knoblich und Daniel Reumann des Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien einzelne Organoide, die drei Gehirnbereichen nachempfunden sind: Der Vorderseite des Mittelhirns, des „Streifenkörpers“ (Striatums) im Vorderhirn und der Großhirnrinde. Sie sind bei Menschen (und anderen Säugetieren) durch Nervenleitungen verknüpft und bilden das dopaminerge System. Charakteristisch und namensgebend für dieses System ist, dass die beteiligten Nervenzellen Dopamin als Botenstoff senden und empfangen.

Als sie die drei Gehirnregionenorganoide zusammenschlossen, „funkte“ es. Die Nervenzellen (Neuronen) des Mittelhirnorganoids klinkten sich quasi in die anderen beiden Gehirnzonen ein: „Wie im menschlichen Gehirn sendeten die dopaminergen Neuronen des Mittelhirnorganoids Projektionen ins Striatum- und Kortex-Gewebe aus“, heißt es in einer Aussendung des IMBA zu der im Fachjournal „Nature Methods“ veröffentlichten Studie. Auch Reizübertragungsstellen (Synapsen) zwischen den Nervenzellen entstanden. Das im Labor geschaffene Organoid bildet demnach nicht nur die Struktur des dopaminergen Systems nach, sondern die Zellen seien auch korrekt verdrahtet und das ganze System funktioniere als neuronales Netzwerk wie im menschlichen Gehirn, so Reumann.

Menschliche Merkmale

Das dopaminerge System ist für die Feinmotorik zuständig. Bei der Parkinson-Erkrankung sterben seine Nervenzellen eine nach der anderen ab, deswegen werden die Bewegungen der Betroffenen zunehmend unkontrolliert und zittrig. Warum diese Zellen verloren gehen, weiß man nicht, deswegen gibt es auch keine Therapien oder Vorbeugemaßnahmen gegen die Krankheitsursache. In Tierversuchen könne man dazu schlecht forschen, weil die entsprechenden Nervenzellen bei Labortieren wie Ratten und Mäusen seltener und anders verdrahtet sind. Diese Nagetiere erkranken von Natur aus auch nicht an Parkinson.

Organoidmodell des dopaminergenen Systems im Gehirn
Daniel Reumann
Organoidmodell des dopaminergenen Systems im Gehirn

Mit den Hirnorganoiden könne man die menschlichen Merkmale aber sehr gut nachstellen, so die Forscher. Sie werden aus menschlichen Stammzellen gebildet. Dies funktioniert sowohl mit embryonalen Stammzellen als auch mit induzierten pluripotenten Stammzellen, erklärte Reumann der APA. Erstere stammen aus der frühen Embryonalentwicklung, letztere sind Körperzellen, die in einen früheren Entwicklungszustand zurückversetzt werden.

Therapien testen

Mit den Organoiden könne man viele verschiedene Vorgehensweisen bei Zelltherapien testen, heißt es zu der Studie. Dabei werden Vorläuferzellen von dopaminergen Neuronen in das menschliche Gehirn injiziert. Sie sollen dort heranreifen und die verloren gegangenen Hirnzellen ersetzen. In klinischen Studien gab es mit dieser Methode bisher keine wiederholbaren Erfolge. Bei den Gehirnorganoidmodellen habe man jedoch schon geschafft, dass injizierte dopaminerge Vorläuferzellen zu vollständigen Neuronen heranreifen, heißt es in der Aussendung.

Dopaminerge Nervenzellen sind auch Hauptakteure im „Belohnungssystem“ des Gehirns, berichten die Forscher. Verschiedene Drogen manipulieren es. Zum Beispiel steigert Kokain die Konzentration von Dopamin zwischen den Reizübertragungsstellen von Nervenzellen und führt dadurch zu einer erhöhten Erregung der nachfolgenden Nervenzelle. So wie im menschlichen Gehirn wird auch bei den Labor-Gehirnmodellen die Signalübertragung durch die Droge gestört: Als die Organoide chronisch über 80 Tage hinweg Kokain ausgesetzt waren, veränderte sich der dopaminerge Schaltkreis auf verschiedensten Ebenen, berichten sie. Diese Veränderungen waren auch nach 25 Tagen Kokain-Entzug in den Gehirnorganoiden persistent. Dementsprechend könne man bei ihnen die langfristigen Effekte von Überstimulation untersuchen, so Reumann.