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Barrington – stock.adobe.com
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Studie

Warnsignale für Gewalt in Beziehungen

Eine Studie hat Warnsignale in Beziehungen identifiziert, die auf spätere häusliche Gewalt hinweisen können. Die Anzeichen sollen dabei helfen, sich frühzeitig aus Missbrauchsbeziehungen zu befreien. Eine weitere aktuelle Studie untersuchte indes die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen von Gewalt durch den Partner – darunter ein erhöhtes Risiko für Depressionen.

Schläge, Drohungen und Demütigungen stehen in den allermeisten Fällen nicht am Anfang – häusliche Gewalt beginnt subtil und leise und Betroffene stellen sich dann oft die Frage: Ist das schon Gewalt? Denn in der zugrundeliegenden Gewaltspirale steigert sich nicht nur die Gewalt, dazwischen gibt es auch Phasen, in denen die andere Person sich liebevoll gibt. Eine Dynamik, die es für viele schwer macht, sich aus der Missbrauchsbeziehung zu befreien.

In der Öffentlichkeit wird Gewalt, die vom Partner ausgeht, immer öfter thematisiert: in Medienberichten, bei Veranstaltungen wie den gerade zu Ende gegangenen „16 Tagen gegen Gewalt an Frauen“ und mittlerweile auch in der Literatur, u. a. von jungen österreichischen Autorinnen. Wissenschaftliche Studien dazu gibt es bisher nur wenige.

„Bevor es dazu kommt“

„Gewalt in der Partnerschaft ist weit verbreitet und kann schwerwiegende Auswirkungen auf die körperliche und psychische Gesundheit haben, es fehlt aber an Forschung über zuverlässige Vorhersagen von Missbrauch, bevor es dazu kommt“, schreibt das Forschungsteam um die Psychologin Nicolyn Charlot von der Western University in Kanada.

In ihrer Studie, die nun im Fachjournal „Social Psychological and Personality Science“ veröffentlicht wurde, identifizierten die Forscherinnen Hinweise, die psychischer und körperlicher Gewalt in Beziehungen vorausgehen können. Diese Red Flags beschreiben die Forscherinnen als Verhaltensweisen, die Gewalt vorhersagen können, selbst aber – noch – nicht missbräuchlich sind.

Überheblichkeit, Missachtung, unangenehme Situationen

Für ihre Studie führte das Team eine Reihe von Untersuchungen mit insgesamt knapp über 500 Personen, großteils Frauen, durch. Auf den Grundlagen vorangegangener Forschung wurde eine Liste mit 200 unterschiedlichen Verhaltensweisen erstellt, darunter beispielsweise, dass die andere Person anderen die Schuld für eigene Probleme gegeben habe, oder dass sie bei einer wichtigen gemeinsamen Entscheidung nicht kompromissbereit gewesen sei. Die Teilnehmenden sollten angeben, wie häufig die einzelnen Punkte aufgetreten sind, seit in dieser Beziehung sind.

In einer weiteren Untersuchung und mit Unterstützung von maschinellem Lernen (ML) wurden jene Verhaltensweisen herausgefiltert, die Gewalt sechs Monate nachdem sie auftraten, vorhersagten. Außerdem untersuchten die Forscherinnen, ob und wie die Anzahl und die Häufigkeit dieser Verhaltensweisen mit sechs Monate später ausgeübter Gewalt in der Beziehung zusammenhing. Laut der Studie stehen u. a. folgende Warnsignale mit späterer körperlicher, psychischer und sexueller Gewalt in Verbindung:

  • Mein/e Partner/in hat sich arrogant oder überheblich verhalten.
  • Mein/e Partner/in hat in der Öffentlichkeit eine unangenehme Situation geschaffen.
  • Mein/e Partner/in hat meine Argumente missachtet, weil sie nicht mit seinen/ihren übereinstimmten.
  • Mein/e Partner/in hat negativ reagiert, als ich etwas abgelehnt habe, was er/sie wollte.
  • Mein/e Partner/in hat es mir übel genommen, wenn ich in Frage gestellt habe, wie er/sie mich behandelt.
  • Mein/e Partner/in und ich hatten Sex, obwohl ich nicht in der Stimmung dazu war.

Die Liste ist nicht vollständig – und sie bedeutet laut den Forscherinnen nicht, dass auf die aufgelisteten Verhaltensweisen immer Gewalt folgt. „Ein oder zwei Warnsignale, die gelegentlich auftreten, sind vielleicht nicht besorgniserregend. Mehrere Warnsignale, die wiederholt auftreten, können aber Anlass zur Sorge geben“, so Erstautorin Charlot.

Die Unterscheidung, ob ein Verhalten ein Warnsignal ist oder schon eine Form der psychischen Gewalt, sei zudem „äußerst schwierig“, so die Psychologin gegenüber science.ORF.at – „zumal das Erleben von Warnzeichen und/oder Gewalt letztlich sehr persönlich ist“. Einige der identifizierten Warnsignale können daher nicht nur als Warnsignale, sondern „unter bestimmten Umständen bereits selbst als missbräuchlich eingestuft“ werden.

„Betroffene sind nicht verantwortlich“

Die Ergebnisse der Studie sollen Betroffene und deren Umfeld auf Verhaltensweisen aufmerksam machen, bevor mögliche Hindernisse für eine unkomplizierte Trennung – wie gemeinsame Kinder, gemeinsamer Wohnraum, finanzielle Abhängigkeit – unüberwindbar scheinen.

Das Wissen über mögliche Warnsignale für spätere Gewalt könnte im Rahmen von Aufklärungsprogrammen in Schulen und Gemeindezentren und über öffentlichen Websites verbreitet werden, so Charlot im Interview mit science.ORF.at. Darüber hinaus kann es für gezielte Anti-Gewalt-Kampagnen in gefährdeten Bevölkerungsgruppen nützlich sein. „Diese Bemühungen zur Gewaltprävention sollen die Menschen außerdem nicht nur über Warnsignale aufklären, sondern sie auch mit der Motivation und den Fähigkeiten ausstatten, mit ihnen umzugehen, wenn sie auftreten.“

Das bedeute jedoch keineswegs, dass Menschen, die Gewalt erleben, für ihren Missbrauch verantwortlich sind, betont die Psychologin. Ebenso wie Verwandte, Freundinnen und Freunde, die Warnsignale in einer Beziehung beobachten, nicht für spätere Gewalt verantwortlich seien. Weitere Forschung soll untersuchen, inwieweit sich Warnsignale für spätere Gewalt in verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterscheiden, und auch ob unterschiedliche Warnsignale unterschiedliche Formen von Gewalt vorhersagen.

Erhöhtes Risiko für Depressionen

Mit den langfristigen Auswirkungen von Gewalt in der Beziehung auf die körperliche und psychische Gesundheit, beschäftigte sich auch eine Studie, die im Fachjournal „Nature Medicine“ erschienen ist.

Das Forschungsteam um die Professorin für Medizinische Statistik Emmanuela Gakidou von der Universität Washington durchsuchte dazu u. a. sieben Datenbanken nach Studien zu Gewalt in Paarbeziehungen und den damit verbundenen gesundheitlichen Auswirkungen. Die Analyse ergab, dass Gewalt durch den Partner mit einem erhöhten Risiko für schwere Depressionen und für Schwangerschaftsabbrüche und Fehlgeburten verbunden ist.