Christian Thielemann dirigiert das Neujahrskonzert 2019
ORF/Roman Zach-Kiesling
ORF/Roman Zach-Kiesling
Musik

Software zeigt, wie sich das Neujahrskonzert verändert

Seit 1941 spielen die Wiener Philharmoniker beim Neujahrskonzert Werke vor allem aus der Strauß-Dynastie. Die Interpretationen von Walzer und Co. haben sich seither geändert. Das berichtet ein Forschungsteam, das die Musik mit neuer Software untersucht.

Über viele Jahr hinweg hat sich bei Konzerten der Wiener Philharmoniker am Neujahrstag ein für das Publikum einprägsamer charakteristischer „Wiener Stil“ etabliert, da das Orchester nach Ausflügen in seltener gespieltes Repertoire immer wieder zu den Dauerbrennern wie „Donauwalzer“ und „Radetzkymarsch“ zurückkehrt.

Wie sich die Charakteristika des Klangs entwickelt haben und welche neuen Aspekte die Dirigenten – übrigens ausschließlich Männer – eingebracht haben, wollen der Musikinformatiker David Weigl und die Musikwissenschaftlerin Chanda VanderHart von der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) im Forschungsprojekt „Signature Sound Vienna“ aufzeigen helfen.

Software misst die Musik

Konkret bauen sie eine Datenbank zu Aufnahmen des Neujahrskonzerts auf und entwickeln Werkzeuge, die einen großen musikalischen Korpus besser vergleichbar machen sollen. Denn selbst für Musiker und Musikforschende mit sehr gutem musikalischen Gedächtnis sei es schwierig, eine Vielzahl von Interpretationen im Kopf zu behalten.

Sendungshinweis

Live aus dem Wiener Musikverein: Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2024: 1.1.24, 11.15 Uhr, ORF 2.

Als Hilfestellung wurden im Rahmen des Projekts, das noch bis Sommer 2024 läuft, zwei Softwareprogramme entwickelt. „mei-friend“ mache Partituren maschinenlesbar und nutze das Format „MEI“ der Music Encoding Initiative – eine Open-Source-Bewegung zur Codierung von Musik, so Weigl. Dazu wurden die Partituren von zehn Stücken, die Fixpunkte beim Neujahrskonzert sind, als MEI-Dateien codiert.

Interpretationen genau vergleichen

Der Computer „verstehe“ dadurch quasi die Struktur der Musik, wodurch man nach interessanten Passagen suchen, sie markieren und Anmerkungen ergänzen könne. Die Daten würden sich dann in ein Programm namens „Listen Here!“ überführen lassen, in dem man jene Versionen auswähle, die man hören wolle.

Die importierten Markierungen aus „mei-friend“ würden dann direkt zu den gewünschten Stellen führen. „Man kann also einzelne Notenfolgen oder Motive von Dutzenden Interpretationen beliebig schnell hintereinander anhören und im Detail vergleichen“, erklärte Weigl. So würden sich auch große Musiksammlungen auf bestimmte Fragestellungen abklopfen lassen.

Weniger militärisch, mehr Kontraste

Eine durch die neuen technischen Mittel ermöglichte Analyse zeige, wie unterschiedlich die Dirigenten an die Musik herangehen würden. „Ein Thema im ‚Kaiserwalzer‘ mit einem martialischen Grundton klingt in den frühen Aufnahmen etwa noch recht militärisch, bevor es sich in späteren Jahren stilistisch vollkommen wandelt, harmloser, runder wird und plötzlich beinahe ein bisschen an Karussellmusik erinnert“, so Chanda VanderHart. Außerdem hätten sich die Walzer des Neujahrskonzerts von Tanzmusik wegbewegt und würden „symphonischer, formal offener und kontrastreicher“.