CERN, Teilchenbeschleuniger, LHC
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Jubiläum

70 Jahre CERN

Was die Welt im Innersten zusammenhält – das ist die Grundsatzfrage, die Physiker und Physikerinnen am Kernforschungszentrum CERN seit 70 Jahren antreibt: Im Jubiläumsjahr 2024 hofft man auf neue Entdeckungen. Doch die lassen sich nicht erzwingen.

Wer das Gelände des Großforschungszentrums nahe Genf betritt, könnte zunächst überrascht sein über die Schlichtheit der Zweckbauten, die sich hier aneinanderreihen. Richtungsweisende Architektur wie am kalifornischen Salk Institute oder am Lublin Science and Technology Park sucht man am CERN vergeblich, oberirdisch wohlgemerkt. Die Architektur, auf die es ankommt, liegt unter der Erde.

Was kommt nach dem Higgs?

Der ringförmige Teilchenbeschleuniger LHC hat einen Umfang von 27 Kilometern, die Detektoren ATLAS und CMS sind so groß wie Zinshäuser, darüber hinaus finden sich im unterirdischen Tunnelsystem auch einige kleinere Beschleuniger für Protonen und Ionen aller Art – das sind die Orte, wo sich am CERN die Action abspielt und wo in den letzten Jahrzehnten spektakuläre Durchbrüche gelungen sind. Etwa die Entdeckung der W- und Z-Bosonen im Jahr 1983 oder der Nachweis des Higgs-Teilchens im Jahr 2012, alle Bausteine jenes Weltmodells, das die Eigenschaften der Elementarteilchen beschreibt. Also dessen, was man in moderner Zeit unter „átomos“ (Altgriechisch, „unteilbar“) versteht.

Diesen Rhythmus hochgerechnet sollte bald wieder ein Durchbruch anstehen. Wird er vielleicht im Jubiläumsjahr 2024 gelingen? Die Frage müsse sie weiterleiten, sagte CERN-Generaldirektorin Fabiola Gianotti vorgestern bei einem Pressegespräch, und zwar „an die Natur“. Womit sie natürlich Recht hat. Könnte man Entdeckungen vorhersehen, wären es keine.

Eine Frage der Energie

Gianotti plädiert dafür, die Angelegenheit nicht nur aus Sicht der großen Durchbrüche zu betrachten. Eigentlich bestehe der wissenschaftliche Alltag am CERN aus der Vermessung von Teilchenkollisionen, um die Welt der subatomaren Bausteine immer besser verstehen zu können. Und wenn dabei nichts Neues gefunden und somit eine Theorie widerlegt werde, sei das auch eine wichtige Einsicht. So gesehen gelinge "am CERN jedes Jahr eine Entdeckung“.

Was nichts an der Tatsache ändert, dass es eine Liste wichtiger, noch unbeantworteter Fragen gibt. Woraus die Dunkle Materie besteht, die unsere Galaxis zusammenhält, ist nach wie vor unklar. Und warum es im Universum so gut wie keine Antimaterie gibt, bleibt ebenfalls rätselhaft. Denkbar wäre freilich, dass diese Fragen mit den gegenwärtigen Mitteln auch gar nicht beantwortet werden können, weil sich die gesuchten Teilchen in bislang unerreichbaren Energieregionen verstecken.

Weshalb das CERN schon vor Jahren eine Studie für einen noch größeren Teilchenbeschleuniger in Auftrag gegeben hat. Dieser soll dann das 30-Fache an Energien bündeln können. Wie weit gediehen die Pläne sind, wird man in Kürze erfahren: Am 5. Februar gibt es ein Update zum sogenannten Future Circular Collider.

Science for Peace

Das Pressegespräch am Montag war Auftakt für eine Reihe von Veranstaltungen im Jubiläumsjahr. Das genaue Programm wird erst veröffentlicht, gesetzt ist bislang der 30. Jänner – an diesem Tag wird das Forschungszentrum unter dem Motto „Unveiling the Universe“ seine Pforten öffnen und einen Blick zurück werfen auf seine nunmehr 70-jährige Geschichte.

Derzeit sind am CERN 23 europäische Staaten als aktive Mitglieder beteiligt, Japan und die USA haben einen Beobachterstatus und 40 weitere Länder sind durch Kooperationen mit dem Forschungszentrum verbunden. Nur Russland ist nicht mehr dabei, der Beobachterstatus wurde nach dem Überfall auf die Ukraine gekündigt.

Ein symbolischer Akt, der auch im Rahmen der Geschichte gelesen werden sollte. Denn das CERN, gegründet neun Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, war von Beginn an als Friedensprojekt angelegt. Was das bedeutet, hat Herwig Schopper, CERN-Generaldirektor 1981 bis 1988, nach Beginn des Ukraine-Kriegs in einem lesenswerten Text zusammengefasst. „Wissenschaft“, so heißt es da, „hilft uns, ein Minimum menschlichen Vertrauens zwischen Regierungen herzustellen.“ Gäbe es das Vertrauen nicht, „wäre es eine düstere Welt“.