Das Team nutzte für die Datengewinnung das hochpräzise MeerKAT-Teleskop in Südafrika
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Daniëlle Futselaar (artsource.nl)
Astronomie

Mysteriöses Objekt in Milchstraße entdeckt

Ist es ein ultraleichtes Schwarzes Loch oder doch ein massereicher Stern? Mit dieser Frage beschäftigte sich ein internationales Forschungsteam, nachdem es ein neues Objekt in der Milchstraße entdeckt hatte. Vor allem dessen Masse war ungewöhnlich, was künftig auch gängige Theorien über sehr kompakte Himmelskörper ins Wanken bringen könnte.

Das mysteriöse Objekt befindet sich in der Milchstraße rund 40.000 Lichtjahre von der Erde entfernt, es hat die rund 2,35-fache Masse unserer Sonne und leuchtet selbst nicht – vor allem Letzteres war für die Forscherinnen und Forscher um Ewan Barr vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Deutschland ein eindeutiger Hinweis darauf, dass es sich bei der neuen Entdeckung um keinen gewöhnlichen Stern handelte.

Es sei wahrscheinlicher, dass das Objekt nur noch der Überrest eines bereits explodierten Sterns ist. Astrophysikalische kompakte Objekte dieser Art kommen im All jedoch theoretisch nur in einer von zwei Varianten vor: entweder in Form eines Schwarzen Lochs oder in der eines Neutronensterns. Für beide Fälle wäre die Masse des neu entdeckten Himmelskörpers aber sehr ungewöhnlich.

Bisherige Annahmen

Ein Neutronenstern entsteht im Endstadium der Entwicklung besonders massereicher Sterne, wenn ihr Kern in sich zusammenfällt und sich die Materie stark komprimiert. Sie ist dann ähnlich dicht gepackt wie in Atomkernen. Ein Schwarzes Loch weist hingegen meist eine noch deutlich größere Masse auf, wodurch die davon ausgehende Schwerkraft bereits so stark ist, dass nicht einmal Licht entkommen kann.

Neutronensterne können, so zumindest bisherige Theorien, nicht viel mehr als das 2,2-fache der Sonnenmasse enthalten – sonst würde die Schwerkraft theoretisch Oberhand gewinnen und zur Entstehung eines Schwarzen Lochs führen. Alle bisher untersuchten Schwarzen Löcher hatten hingegen eine minimale Substanz von mindestens fünf Sonnenmassen.

Eine künstlerische Interpretation des Systems, wenn es sich beim unbekannten Objekt um ein Schwarzes Loch handelt
Daniëlle Futselaar (artsource.nl)
Eine künstlerische Interpretation des Systems, sofern es sich beim unbekannten Objekt um ein Schwarzes Loch handelt

Zwischen der maximalen Masse von Neutronensternen und der minimalen Masse von Schwarzen Löchern klafft daher eine „Massenlücke“, die für die Astronomie weiterhin rätselhaft ist. Lediglich Messungen von Gravitationswellen deuteten bisher darauf hin, dass es auch in dieser Lücke vereinzelt Himmelskörper gibt – wobei sowohl ihre Form als auch ihre Entstehung unklar war.

Massereicher als Stern, leichter als Schwarzes Loch

Der neu entdeckte Himmelskörper liegt im Kugelsternhaufen NGC 1851. Mit Hilfe der hochpräzisen Radioteleskopanlage MeerKAT in Südafrika konnte das internationale Forschungsteam erstmals Daten davon sammeln, die es aktuell im Fachjournal „Science“ präsentiert.

Die Forscherinnen und Forscher stießen eigentlich bei Beobachtungen des Pulsars PSR J0514-4002E auf das seltsame Objekt. Ein Pulsar ist ein Neutronenstern mit starkem Magnetfeld, der durch seine Eigendrehung regelmäßige Radiopulse aussendet. Die genaue Messung dieser Pulse zeigte dem Team, dass der Pulsar ein enges Doppelsystem mit einem weiteren Objekt bildet. Aus den Daten ergab sich dann für dieses neue Objekt eine Masse zwischen 2,09 und 2,71 Sonnenmassen, wobei der wahrscheinlichste Wert bei 2,35 Sonnenmassen liegt. Damit liegt der Himmelskörper genau im unteren Bereich der Massenlücke, was ihn für die Wissenschaft besonders interessant macht.

Worum es sich bei dem dunklen Objekt in der Milchstraße genau handelt, ist jedoch noch unklar. Laut den Forscherinnen und Forschern könnte es sich entweder um einen außergewöhnlich schweren Neutronenstern, ein extrem leichtes Schwarzes Loch oder etwas bisher komplett Unbekanntes handeln.

Theorie über Entstehung

„Jede dieser Möglichkeiten für die Natur des Objekts ist aufregend“, erklärte einer der beteiligten Projektleiter Benjamin Stappers von der University of Manchester (UK) gegenüber Agenturen. „Wenn es ein Schwarzes Loch ist, können wir damit die Theorie der Schwerkraft testen. Wenn es ein Neutronenstern ist, kann er uns neue Erkenntnisse zur Kernphysik bei sehr großen Dichten liefern.“ Sollte es sich tatsächlich um etwas bisher komplett Unbekanntes handeln, wäre das sowieso eine Sensation für die Astronomie.

Simulation des Kugelsternhaufens

Ein simulierter Zoom in den Kugelsternhaufen, bei dem das eventuelle erste Zusammentreffen des Pulsars mit dem mysteriösen Himmelskörper gezeigt wird, der dabei einen kleineren Stern aus seiner Bahn wirft.

Wie ein solches Objekt in der Massenlücke überhaupt gebildet werden konnte, ist ebenfalls noch ein Rätsel. Da sich der dazugehörige Pulsar in einem Kugelsternhaufen befindet, vermuten die Forscherinnen und Forscher eine eher komplizierte Entstehungsgeschichte. NGC 1851 enthält rund eine halbe Million Sterne, die sehr eng beieinanderstehen. Deshalb kommt es dort auch vergleichsweise oft zu engen Begegnungen, bei denen Doppelsterne neu entstehen oder gar ihre Partner tauschen.

Das Forschungsteam vermutet, dass der neu entdeckte Himmelskörper eventuell durch die Verschmelzung zweier kleinerer Neutronensterne entstanden ist und dass er erst später bei einer engen Begegnung in die Umlaufbahn des Pulsars kam.