Karte Römisches Reich
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Paläoklima

Klima im Römischen Reich rekonstruiert

Durch versteinertes Plankton aus dem Mittelmeer hat ein Forschungsteam das Klima im Römischen Reich rekonstruiert – und dabei einen Zusammenhang mit den Ausbrüchen historischer Pestpandemien belegen können. Beispiele wie dieses sollen die vielschichtigen Auswirkungen des heutigen Klimawandels neu beleuchten.

Dass es einen Zusammenhang zwischen Pestausbrüchen, dem Untergang des Römischen Reiches und dem damaligen Klima geben könnte, vermuten Historiker und Klimatologen bereits seit einiger Zeit: So soll das Römische Reich seine Blütezeit in einem Zeitraum ungewöhnlicher Wärme erlebt haben. Dieses Optimum der Römerzeit, auch Römische Warmzeit, wird mit etwa 200 v. u. Z. bis 150 n. u. Z. datiert.

Kühle klimatische Bedingungen ab 540 n. u. Z. – als Kleine Eiszeit der Spätantike bezeichnet – sollen hingegen eine Schlüsselrolle beim Untergang des Römischen Reiches gespielt haben. Diese Annahmen untersuchte nun ein Forschungsteam um Karin Zonneveld von der Universität Bremen in Deutschland – anhand von Ablagerungen auf dem Meeresgrund im Süden Italiens. Möglich ist das mit Methoden der Paläoklimatologie.

Klimaarchive liefern Daten

Klimamessungen mit Messinstrumenten reichen in Europa rund 250 Jahre zurück. Die Klimageschichte davor aber, das Paläoklima, lässt sich indirekt rekonstruieren, nämlich durch Klimaarchive. Das können Fossilien sein, Tropfsteine und auch Jahresringe von Bäumen – alles, worin Informationen über frühere klimatische Verhältnisse stecken. So kann etwa anhand von im antarktischen Eis eingeschlossenen Luftbläschen die Luft von vor Tausenden Jahren untersucht werden.

Die Daten, die Klimaarchive liefern, werden Proxydaten genannt. Als Klimaarchiv für die aktuelle Studie, die nun im Fachjournal „Science Advances“ erschienen ist, nutzte das Forschungsteam Meeressedimente aus dem Golf von Tarent, nämlich versteinerte Überreste von Plankton. Die Proxydaten stammen aus den Zysten, die diese Planktonart – Dinoflagellaten – bildet.

Landkarte von Apulien, Italien
Henrie – stock.adobe.com
Als Klimaarchiv nutzte das Forschungsteam Sedimente aus dem Golf von Tarent

„Nimmt man einen Sedimentkern und schneidet ihn in kleine Scheiben, kann man aus der Zusammensetzung der Zystenarten ableiten, welche Bedingungen in den oberen, sonnenbeschienenen Gewässern zu jener Zeit herrschten, als die Sedimente sich ablagerten“, so Zonneveld gegenüber science.ORF.at. Aus den daraus gewonnenen Proxydaten konnten Temperatur- und Niederschlagsaufzeichnungen aus dem Zeitraum von 200 v. u. Z. bis 600 n. u. Z. rekonstruiert werden. Und zwar mit einer zeitlichen Auflösung von drei Jahren. So wird in der Paläoklimatologie das Intervall zwischen zwei Datenpunkten angegeben, die Auskunft über das Klima geben.

„Wir konnten den Kern in so kleine Scheiben schneiden, dass jede Scheibe ungefähr drei Jahre von Sedimentablagerungen darstellt. Wenn man die Zusammensetzung der Zysten analysiert, kann man die durchschnittlichen Temperaturbedingungen in Süditalien im Spätsommer und Herbst dieser drei Jahre rekonstruieren“, erzählt Zonneveld.

Drei Pestausbrüche in Kälteperiode

Anhand dieser Daten konnten die Forscherinnen und Forscher also über einen Zeitraum von 800 Jahren beobachten, wie sich das Klima im Römischen Reich entwickelte: Ab zirka 130 n. u. Z. wurden Temperaturen und Niederschlag immer wechselhafter. Kälteperioden markieren das Ende der Römischen Warmzeit und fallen zeitlich mit historischen Pandemien zusammen – der Antoninischen Pest (circa 165 bis 180 n. u. Z.) und der Cyprianischen Pest (circa 251 bis 266 n. u. Z.).

Am verheerendsten war jedoch die Justinianische Pest, die um 540 n. u. Z. ausbrach. Anhand der Proxydaten stellte das Forschungsteam fest, dass es zwischen 537 und 590 zu einem starken Temperaturabfall kam – es war etwa drei Grad kälter als in den wärmsten Intervallen der Römischen Warmzeit.

„Die erste Pandemie brach aus, als das Klima kälter wurde und anfing, außerhalb des Bereichs der relativ kleinen Klimaabweichungen zu schwanken, die in den Jahrhunderten davor aufgetreten waren. Die zweite und dritte Pandemie fällt jeweils mit einem weiteren Wechsel zu einer kälteren Periode und noch kühleren Temperaturen zusammen“, so Zonneveld.

Führte Kälte zum Untergang des Römischen Reiches?

Doch warum brachen Pandemien ausgerechnet während Kälteperioden aus? „Wir wissen, dass das alte Rom eine Agrargesellschaft war: In Italien bildeten Weizen, Wein und Öl die Grundlage der Wirtschaft. Neben dem Niltal war Italien außerdem der am dichtesten besiedelte Teil des Römischen Reiches. Wir wissen auch, dass das Klima ein wichtiger Faktor ist, der grundlegende Aspekte beeinflusst, die sich auf das Wohlergehen der Menschen auswirken, wie die Landwirtschaft, die biologische Vielfalt, die geografische Verteilung und die Migration von Arten“, sagt die Geowissenschaftlerin.

Welcher dieser Faktoren oder welche Kombination von Faktoren die Pandemien verursachte oder verstärkte, lasse sich aus der aktuellen Studie zwar nicht ableiten, dafür brauche es weitere Forschungen. Die Ergebnisse unterstreichen aber den Zusammenhang zwischen Klimaschwankungen und dem Auftreten von Pandemien.

Ob nun tatsächlich die Kälteperioden ab 130 n. u. Z. für den Untergang des Römischen Reiches ausschlaggebend waren, lasse sich nur „sehr schwer“ beantworten, so Zonneveld im Interview: „Wir sehen aber, dass die Zeiten der Ausbreitung des Römischen Reiches mit jenen Zeiten übereinstimmen, in denen unsere Aufzeichnungen relativ stabile klimatische Verhältnisse belegen. Die Zeiten der gesellschaftlichen Instabilität und des Aufruhrs fallen hingegen in Zeiten, in denen das Klima sehr instabil wurde.“

Aus historischen Beispielen lernen

Doch nicht nur die Auswirkungen des natürlichen Klimawandels auf die Menschen im Römischen Reich waren für das Forschungsteam von Interesse, sondern auch – mit Blick auf die Coronavirus-Pandemie – allgemeine Zusammenhänge zwischen dem Klima und der Dynamik von Infektionskrankheiten. Moderne Gesellschaften verfügen zwar über ganz andere Mittel als die Menschen in der Antike, wie ertragreiche Landwirtschaft, weltweite Handelsnetze und medizinische und wissenschaftliche Ressourcen, dennoch habe die Coronavirus-Pandemie gezeigt, welche Risiken immer noch mit Infektionskrankheiten einhergehen, so die Studienautorinnen und -autoren.

Damals wie heute sei das Klima „ein wichtiger Faktor, der sich auf grundlegende Aspekte auswirkt, die unser Wohlergehen beeinflussen: auf die Landwirtschaft, den Zugang zu sauberem Wasser, die biologische Vielfalt, die geografische Verteilung und die Migration von Arten, einschließlich Krankheitserregern“, so Zonneveld. Beispiele aus der Geschichte können dazu beitragen, diese vielschichtigen Zusammenhänge besser zu verstehen.