Nahaufnahme von Tastatur eines Taschenrechners
SGr/stock.adobe.com
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Dezimaltrennzeichen

Kommazahlen 150 Jahre älter als gedacht

Ein Komma trennt den ganzzahligen Teil einer Dezimalzahl von ihren Bruchteilen. Die Schreibweise, die viele Berechnungen erleichtert, wurde bisher einem Mathematiker des späten 16. Jahrhunderts zugeschrieben. Ein kanadischer Mathematikhistoriker berichtet nun, dass ein italienischer Kaufmann ein solches Trennzeichen schon 150 Jahre früher verwendete.

Der deutsche Mathematiker und Jesuitenpater Christophorus Clavius war nicht nur für die wesentlichen Teile der gregorianischen Kalenderreform im Jahr 1582 verantwortlich, ihm wird auch die erstmalige Verwendung eines Dezimaltrennzeichen, wie wir es heute kennen, zugeschrieben. In seinem fast 900 Seiten starken Werk „Astrolabium“, das sich der sphärischen Astronomie widmet, verwendete Clavius, der das kopernikanische Weltbild trotz all seiner Forschungen bis zu seinem Lebensende ablehnte, in Sinus-Tabellen einen Punkt, um Vorkomma- von Nachkommastellen einer Zahl zu trennen.

Diese heute noch übliche Schreibweise hat viele Berechnungen sehr vereinfacht und viel effizienter gemacht, frühere Notationen wie etwa Bruchzahlen waren in der Handhabung vergleichsweise mühsam. Nachdem Clavius als erster das Trennzeichen bewusst verwendet haben soll, tauchte der Punkt erstaunlicherweise in keinem seiner Werke jemals wieder auf.

Begabter Kaufmann

Wie kann es sein, dass jemand ein so mächtiges arithmetisches System erfindet und dann selbst nicht mehr verwendet, geschweige denn die Urheberschaft dafür reklamiert? Das fragt Glen Van Brummelen in seiner soeben im Fachmagazin „Historia Mathematica“ erschienenen Arbeit. Der Mathematikhistoriker von der kanadischen Trinity Western University dürfte darauf nun eine Antwort gefunden haben. Sie führt noch einmal 150 Jahre zurück in die Vergangenheit, nach Italien, genauer nach Ferrara.

Trigonometrische Tabelle mit Kommazahlen aus Bianchinis Tabulae primi mobilis B
Van Brummelen, G./Historia Mathematica
Trigonometrische Tabelle mit Kommazahlen aus Bianchinis „Tabulae primi mobilis B“

Dort lebte der venezianische Kaufmann Giovanni Bianchini (ca. 1410–1469). Er arbeitete in den Diensten der damaligen Herrscherfamilie d’Este, zwischen 1440 und 1460 verfasste der mathematisch gebildete Verwalter zudem mehrere astronomische Werke.

Aufwendige Berechnungen

Zu Bianchinis Zeiten verwendeten Astronomen für ihre Berechnungen das Sexagesimalsystem, das bis auf die Babylonier zurückgeht. Basis des Zahlensystems ist 60 und nicht 10 wie im Dezimalsystem. Noch heute wird es etwa für Breiten- und Längengrade verwendet, weil sich diese Basis für Kreise und Winkel so gut eignet. Andere Operationen – wie etwa einfache Multiplikationen – sind hingegen sehr aufwendig in diesem Zahlensystem, da sie Zerlegungen und Zwischenrechnungen erfordern.

Für Handelsleute war Rechnen damals auch alles andere als unkompliziert, es gab viele Maße mit uneinheitlichen Teilern, so hatte etwa ein Fuß zwölf Zoll, ein Yard aber drei Fuß.

Geniale Idee

Laut Van Brummelen behalf sich Bianchini für kaufmännische Berechnungen mit einem selbstgestrickten Dezimalsystem. Es gab allerdings keine Hinweise, dass er ein solches System auch für seine astronomischen Arbeiten nutzte – bis vor Kurzem, als der kanadische Historiker beim Übersetzen einer Abhandlung Bianchinis („Tabulae primi mobilis B“) aus dem mittelalterlichen Latein über den Dezimalpunkt stolperte: Dort führt er eine Zahl „mit einem Punkt in der Mitte“ ein – 10.4 – und zeigt, wie man diese mit 8 multipliziert.

„Ich begriff, dass er das genauso macht wie wir heute“, so Van Brummelen zu seinem Moment der Erkenntnis gegenüber „Nature News“. Der Kern des Traktats waren trigonometrische Tabellen, inklusive einer Sinus-Tabelle – diese nutzten die damaligen Gelehrten für die Berechnung von Himmelsbahnen. Der Dezimalpunkt wurde also im selben Kontext genutzt wie 150 Jahre später von Clavius, erklärt Van Brummelen weiter. Er müsse ihn fast von Bianchini übernommen haben. Von da an hat sich der Punkt beziehungsweise das Komma zunehmend durchgesetzt. Laut dem Historiker war die neue Schreibweise am Anfang womöglich zu revolutionär, um gleich begriffen zu werden. Manchmal dauert es eben, bis sich gute Ideen durchsetzen.