Ein Hahn kräht
AFP/ROSLAN RAHMAN
AFP/ROSLAN RAHMAN
Lärmbelastung

Warum krähende Hähne nerven

Lärmempfinden ist subjektiv – was für die einen unangenehmen Krach darstellt, ist für andere eine angenehme Geräuschkulisse. Doch es gibt Klänge, die viele Menschen als belastend wahrnehmen. Forschende der Universität Wien untersuchen die typischen Eigenschaften solcher Geräusche. Auch die Schreie von Hähnen dürften dazu zählen.

Ein Hahn kräht nicht nur in der Früh, wenn er das Tageslicht sieht. Er lässt seine Schreie im Normalfall den ganzen Tag über in regelmäßigen Abständen los, um sein Revier zu markieren. Was die Besitzerinnen und Besitzer vermutlich nicht stört, kann für benachbarte Mitmenschen zur Lärmbelastung werden. So im Fall eines Mannes, der sich mit diesem Problem per Mail an Christoph Reuter, Professor für Systemische Musikwissenschaft an der Universität Wien, wandte.

Lautstärke wie Gewehrschuss

„Der Mann wollte wissen, was das Krähen des Hahns so lästig macht, welche akustischen Merkmale sein Geschrei auszeichnen“, sagt Reuter. Das stieß ein Forschungsprojekt an. Reuter und sein Team machten sich folglich daran, die akustischen Charakteristika des Hahnenschreis zu analysieren und die wahrgenommene Lärmbelastung zu erheben. Schon vor einigen Jahren konnte Reuter in einer Studie zeigen, dass es Klänge gibt, die besonders viele Menschen als unangenehm oder belastend wahrnehmen und dass diese Geräusche verbindende Eigenschaften haben.

Eine dieser Eigenschaften ist eine hohe Lautstärke. Kräht ein Gockel, kann er Lautstärken von bis zu 142 Dezibel erreichen, wenn man direkt am Schnabel misst. Das entspricht der Lautstärke eines nahe vorbeibrausenden Düsenflugzeugs oder einem Gewehrschuss in nächster Nähe. „Man wundert sich, dass ein Hahn selbst davon nicht taub wird, aber er wird von einem anatomischen Mechanismus davor geschützt“, so der Musikwissenschaftler.

Unangenehmer Frequenzbereich

Ein Mechanismus, den Forschende der Universität Antwerpen untersucht haben: Hochauflösende Computertomografien des Hahnenkopfs zeigten, dass beim Öffnen des Schnabels ein Abschnitt des Kiefers den Gehörgang partiell abdichtet. Das Gewebe legt sich zudem auf einen großen Teil des Trommelfells. Ein Vorgang, der vergleichbar mit der Verwendung maßangefertigter Ohrstöpsel bei Menschen ist und den Schalldruckpegel stark verringert.

Doch ein Hahn sei auch aus größerer Entfernung für viele Menschen eine Lärmbelastung, so Reuter. Also untersuchten die Forschenden den Hahnenschrei auf ein weiteres typisches Charakteristikum unangenehmer Geräusche hin: eine bestimmte Tonhöhe oder Frequenz. Die zeichnet beispielsweise schrille Quietschgeräusche aus, die fast alle Menschen als unangenehm empfinden, wie Schuhsolen auf dem Boden einer Turnhalle.

Raue Klänge alarmieren

„Das liegt zum einen daran, dass diese Geräusche eine Tonhöhe haben, anders als Blätterrauschen etwa, und zum anderen daran, dass sie sehr starke Anteile im Frequenzbereich zwischen zwei bis vier Kilohertz haben“, sagt Reuter. Das ist der Bereich, in dem das menschliche Ohr am empfindlichsten ist, denn dieser Frequenzbereich entspricht der Eigenresonanz des Außenohrkanals. Auch der Hahnenschrei hat Anteile in diesem Frequenzbereich.

Kräht ein Hahn, findet man auch die dritte typische Eigenschaft von unangenehmen Klängen: sie sind rau. Und raue Klänge aktivieren ein bestimmtes Areal im Gehirn, die Amygdala. „Dieser Bereich im Gehirn ist unter anderem für Alarm und Angst zuständig“, so Reuter. Die Amygdala oder Mandelkern ist Teil des limbischen Systems, das für die Emotionsverarbeitung zuständig ist. Sie wird von rauen Klängen aktiviert, wie neurowissenschaftliche Studie zeigen konnten. In Folge setzt das Stresssystem des Körpers ein und schwemmt große Mengen Kortisol ins Blut schwemmt. Das macht kurzfristig leistungsfähiger, wird aber regelmäßig zu viel Kortisol ausgeschüttet, können Schlafprobleme, Depressionen und Stoffwechselveränderungen die Folge sein.

Lärmempfinden ist subjektiv

Was „raue“ Geräusche auszeichnet, untersuchte ein internationales Forscherteam vor einigen Jahren und zwar anhand menschlicher Schreie. Die „Rauigkeit“ entsteht der Untersuchung zu Folge durch die Frequenz und die Amplitude, mit denen sich die Geräusche verändern. Erfolgen diese Änderungen sehr schnell, ist das menschliche Gehör nicht mehr in der Lage, diese zeitlichen Veränderungen aufzulösen. Bei Schreien ist das der Fall, Menschen nehmen sie folglich als rau und unangenehm wahr. Schreie stechen also unter anderen menschlichen Lautäußerungen klar hervor, was ihre soziale Wirkung in Stress- und Gefahrensituationen sicherstellt.

Das Lärmempfinden des Menschen sei dennoch höchst subjektiv, ergänzt Reuter. Hier kommen einerseits negative Assoziationen ins Spiel und andererseits das Gefühl, einem Geräusch ausgeliefert zu sein. „Kann man beispielsweise die Lautstärke nicht kontrollieren, kann das sehr unangenehm werden, wie bei Verkehrslärm oder Mückensummen“, erklärt der Musikwissenschaftler. Das gilt auch für Hahnenschreie.

Keine Einigkeit beim Hahnenschrei

An der Studie der Universität Wien nahmen 50 Probandinnen und Probanden teil. Sie wurden vorab zu ihrer Einstellung zu Hähnen befragt und folglich ihnen Hahnenhasser und Hahnenliebhaber geteilt. „Beide Gruppen achteten auf die Tonhöhe und Schrillheit des Klangs“, so Reuter. Doch Hahnenliebhaber empfanden das Krähen umso unangenehmer, je höher und schriller die Rufe waren.

Bei Menschen, die Hähnen ablehnend gegenüberstehen war das anders. Sie empfanden die Hahnenrufe als immer unangenehmer, je tiefer sie waren. „Das war ein etwas seltsames Ergebnis, das aber damit zusammenhängen könnte, dass Hahnenhasser, die bereits darauf eingestellt sind, dass der Hahn hoch und schrill ist, von den tieferen Rufen überrascht sind und deswegen als noch nerviger empfinden“, sagt Reuter.