Virologe Florian Krammer steht in einem Hörsaal an der Medizin-Uni Wien.
APA/EVA MANHART
APA/EVA MANHART
Virologe Krammer

„Nipah-Virus macht mir Alpträume“

Er rechne mit zwei bis drei weiteren Pandemien bis zu seiner Pensionierung, sagt der in New York tätige österreichische Virologe Florian Krammer. Mit großer Sorge beobachtet er das Nipah-Virus, das in Südostasien immer wieder zu schweren Erkrankungen führt. Auf die Vogelgrippe hingegen blickt er vergleichsweise entspannt.

Schon Anfang März trat Florian Krammer eine Professur für Infektionsmedizin an der Medizin-Universität Wien an, im kommenden Jahr übernimmt er die Leitung eines neuen Ludwig-Boltzmann-Instituts für Pandemievorsorge und Wissenschaftsvermittlung. science.ORF.at hat er ein ausführliches Interview zur jüngsten Pandemie, zu Viren mit pandemischem Potenzial und seinen Plänen in Österreich gegeben.

Herr Krammer, ist die Corona Pandemie für Sie eigentlich vorbei?

Florian Krammer: Für mich nicht. Für mich sind auch Influenza-Pandemien der Jahren 1968 und 2009 nicht vorbei. Wir müssen uns mit den Konsequenzen beschäftigen, und wir müssen uns damit beschäftigen, wie unser System darauf reagiert und wie man sich besser davor schützen kann. Diese Viren zirkulieren ja weiter. Also für mich ist die Pandemie in dem Sinne nicht vorbei.

Blicken wir konkret auf die jüngste Pandemie und den Auslöser Sars-CoV-2. Am Mount Sinai Hospital in New York haben Sie seit April 2020, also fast seit Ausbruch der Pandemie, eine Studie zur Immunität nach Infektion und nach Impfung laufen. Was sind denn die Hauptergebnisse?

Krammer: Unsere Kohorte, also unsere Untersuchungsgruppe, waren die Spitalsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter. In dieser Gruppe haben wir gleich zu Beginn gesehen: Wenn man infiziert war, blieb man in der Anfangsphase der Pandemie vor einer Reinfektion geschützt. Ab Dezember 2020 wurden dann alle geimpft. Und ab diesem Zeitpunkt haben wir Unterschiede gesehen zwischen den Leuten, die ohne vorherige Infektion geimpft wurden, und jenen, die schon infiziert waren und danach geimpft wurden. Da hat sich schon gezeigt: Nach vorheriger Infektion braucht es nur eine Impfung, um ein sehr hohes Immunniveau zu erreichen.

Es hat sich dann aber auch gezeigt: Nach der Impfung ist der Antikörper-Spiegel zwar sehr hoch, fällt dann aber auch schnell wieder ab…

Krammer: Ja, das stimmt, aber wir haben auch gesehen: Die Antikörper fallen zwar ab, stabilisieren sich dann aber und die Immunantwort hält dann sehr lange an. Und dann ist im Jänner 2022 die Omikron-Variante gekommen, und das war natürlich sehr interessant, weil Omikron ein stark verändertes Virus ist. Die Immunantwort, die durch die Impfungen und die ursprünglichen Infektionen ausgelöst wurde, neutralisiert das eigentlich kaum mehr. Und dann kam es natürlich zu Infektionen.

Virologe Florian Krammer
APA/EVA MANHART
Florian Krammer leitet das Ignaz Semmelweis Institut für Infektionsforschung (ISI) an der Medizinischen Universität Wien. Im Vollausbau sollen am ISI rund 100 Leute arbeiten, es sollen von der Grundlagenforschung bis zum Pandemiemanagement Akzente gesetzt werden.

Es gab schon während der Pandemie und jetzt im Nachhinein auch immer Aussagen, wonach die Impfung eigentlich „überverkauft“ war, also dass man suggeriert hat, man würde sich vor einer Ansteckung schützen, was so nicht der Fall war. Aber wenn ich Ihre Studie richtig verstehe, dann war das ein Effekt, der durch Omikron eingetreten ist, also vergleichsweise spät in der Pandemie. Mit Blick auf Ihre Forschungsarbeit: Was konnte, was kann die Impfung tatsächlich?

Krammer: Das ist eine sehr interessante Frage, und man muss zur Beantwortung zurückgehen an den Anfang. Grundsätzlich weiß man: Wenn man eine Impfung in einen Muskel injiziert, dann gibt es eine schwache Immunantwort in den oberen Atemwegen. Das ist bei allen Impfungen so. Man bekommt keine starke Immunität in den oberen Atemwegen, wo das Virus landet. Ich habe schon im September 2020 dazu in „Nature“ publiziert. Ich habe herausgestrichen, dass man sich nicht erwarten darf, dass die Impfungen auch vor Infektionen schützen. Und dann sind die ersten Ergebnisse rausgekommen von Biontech/Pfizer und Moderna, die an den mRNA-Impfstoffen geforscht haben. Und die hatten zuerst mal ein gutes Signal, dass die Impfungen auch vor Infektionen schützen könnten, weil die Antikörperspiegel unmittelbar nach der Impfung auch in den oberen Atemwegen höher waren. Die fallen dann ab, leider. Aber man hatte einen gewissen Schutz, und am Anfang ist dieser Effekt meiner Einschätzung nach überbewertet worden.

Ö1-Sendungshinweise

Zu hören gibt es ein Interview mit Florian Krammer auch in „Wissen Aktuell“ um 13.55 Uhr und ausführlich in den „Dimensionen“ um 19.05 Uhr.

Der Schutz vor Infektion war bei der Impfstoffentwicklung ja auch keine Vorgabe seitens der Gesundheitsbehörden.

Krammer: Ja, die Einschätzung war: Wenn die Impfung 50 Prozent der infizierten Menschen vor dem Tod schützt, ist es eine gute Impfung. Das war, was die FDA, die Zulassungsbehörde in den USA, haben wollte. Und natürlich waren die Impfungen um einiges besser. Und im Lauf der Pandemie ist dann natürlich auch noch der Effekt hinzugekommen, dass sich das Virus verändert hat. Das sehe ich als größtes Problem. Es ist einfach nicht mehr das gleiche wie zu Beginn der Pandemie und entkommt der Immunantwort viel besser.

Wann war denn eigentlich für Sie ein Punkt in der Pandemie gekommen, an dem Sie sich gedacht haben: „Okay, das ist jetzt wirklich ein Wendepunkt“?

Krammer: Für mich war das, als die ersten Daten von Pfizer und Moderna publiziert wurden. Da hat man gesehen: Das funktioniert, das wird schützen. Und wie gesagt, da geht es nicht darum, jegliche Infektion zu verhindern, sondern um den Schutz vor schweren Erkrankungen. Ich habe vorher die Daten von vielen Impfstoffen im Tiermodell gesehen, die im Laufe des Jahres 2020 publiziert wurden. Und auch das war sehr vielversprechend. Aber dann zu sehen, dass das im Menschen funktioniert, das war für mich der Wendepunkt.

Es gibt viele Menschen, die jenen Zeitpunkt als Wendung sehen, als das Virus sich zu Omikron verändert hat und klar wurde, dass diese Variante sich schwerer tut, die Zellen in der Lunge und anderen Organen zu befallen. Das war für Sie nicht so relevant?

Krammer: Das hat natürlich die Situation verändert, aber andererseits war es klar, dass das Virus nie mehr verschwinden wird. Die Frage ist nur, was wird es anrichten? Und wenn man eine Impfung hat, dann verhindert man natürlich sehr viel Schaden. Also für mich war es wirklich der Zeitpunkt, als sich gezeigt hat, dass die Impfung funktioniert und bald zur Verfügung stehen wird.

Wie sehen Sie denn in Österreich diese Entwicklung, dass es von manchen Krankheiten, die man großteils überwunden geglaubt hat, wieder viele Fälle gibt? Also zum Beispiel von den Masern oder auch vom Keuchhusten, daran ist in Graz heuer ein Neugeborenes verstorben.

Krammer: Was man da jetzt braucht, sind Aufklärungskampagnen. Ich glaube, die Leute wissen nicht, was die Risiken sind. Dass man an den Masern sterben kann, dass die Masern das Immungedächtnis auslöschen können und damit jeder banale Infekt ein Problem werden kann, das ist den Leuten einfach nicht bewusst. Und ich verstehe das, weil es durch die Impfungen kaum mehr Fälle gab. Wenn man nicht damit konfrontiert wird, vergisst man das. Hier braucht es dringend mehr Information.

Sie werden heuer 42 Jahre alt und sagen, dass Sie mit zwei bis drei weiteren Pandemien bis zu Ihrer Pension rechnen. Welche Viren stehen denn da ganz oben auf der Liste der möglichen Auslöser?

Krammer: Die Influenza steht ganz oben. Da bin ich mir sicher, dass das wiederkommt. Es gibt aber andere Viren, vor denen ich mehr Angst habe. Das Nipah-Virus steht zum Beispiel auf der Liste von Viren, die mir Alpträume verursachen. Es ist weitläufig verwandt mit Masern und kommt in Flughunden in Südostasien vor. Den Fledermäusen tut es nicht viel, immer wieder stecken sich aber Menschen an – entweder, indem sie einen Saft von Bäumen trinken, von dem auch die Flughunde genascht haben, oder es überträgt sich über Schweine, die von den Fledermäusen gebissen werden, auf den Menschen. Das Problem mit Nipah ist: Es ist respiratorisch übertragbar, wenn auch derzeit nicht sehr gut. Es könnte aber durchaus irgendwann mutieren und besser übertragbar werden. Wenn das passiert und die Schwere der Erkrankung nicht zurückgeht, wäre das hochproblematisch. Denn Nipah ist sehr tödlich, derzeit sterben 60 bis 90 Prozent der infizierten Menschen.

Heuer gab es in der Wintersaison auch viele Vogelgrippeerkrankungen bei Säugetieren, in ganz verschiedenen Teilen der Erde. Macht Ihnen das Vogelgrippevirus auch Sorge?

Jein. Ich finde es sehr interessant, und ja, wir beobachten, dass immer mehr Säugetiere infiziert werden und verenden. Also es könnte schon sein, dass das Vogelgrippevirus immer besser übertragbar wird. Andererseits findet man diesen Erreger fast überall, die Leute kommen in Kontakt damit, und es gab nur wenige Infektionen beim Menschen. Ich glaube, dass es da teilweise einen Schutz geben könnte, und daran wollen wir nun auch in Wien forschen.

Sie haben ja schon mit März eine Professur für Infektionsmedizin an der Medizin-Uni Wien übernommen. Ab dem nächsten Jahr leiten Sie ein Ludwig-Boltzmann-Institut für Pandemievorsorge und Wissenschaftsvermittlung. Was sind denn Ihre wichtigsten Vorhaben?

Krammer: Als Team wollen wir versuchen, die Brücke zu schlagen von der Überwachung von Viren, vor allem im urbanen Raum, hin zu möglichen Gegenmaßnahmen. Wir konzentrieren uns auf Wien, wollen die Bevölkerung einbinden und Risiken gut kommunizieren, um danach zu evaluieren: Wie gut hat die Kommunikation funktioniert und was kann man verbessern?

Können Sie da schon konkrete Beispiele geben, was man sich darunter vorstellen kann? Was heißt Virenüberwachung im urbanen Raum, was heißt die Bevölkerung miteinzubeziehen?

Krammer: Eins der Projekte ist, dass man Vogelkot einsammelt und sich dann anschaut, welche Influenzaviren da zum Beispiel zirkulieren. Das kann man gemeinsam mit Oberstufenschülerinnen und -schülern machen, und zwar nicht nur beim Einsammeln der Proben, sondern auch bei der Auswertung. Wir haben schon ein solches Projekt in New York (die New York City Virus Hunters, Anm.), und das soll auch ein Pilotprojekt in Wien werden.