Nervenzelle, Gehirn
ktsdesign – stock.adobe.com
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Genetik

Gehirnnerven haben RNA, die nicht altert

Forschende aus Österreich haben zum ersten Mal nachgewiesen, dass bestimmte RNA-Moleküle in Gehirnen von Säugetieren lebenslang erhalten bleiben. Das könnte zum Verständnis und zu Therapiemöglichkeiten von Demenz-Erkrankungen beitragen.

Als eines der komplexesten Organe gibt das menschliche Gehirn noch einige Rätsel auf. Es besteht aus grob geschätzt 100 Milliarden Nervenzellen. Die meisten dieser Neuronen und auch manche ihrer Bestandteile wie die DNA im Zellkern werden im Lauf eines Lebens nicht erneuert, müssen aber lebenslang funktionieren. Das hat Auswirkungen auf den Alterungsprozess des Hirns und birgt Risikofaktoren für diverse degenerative Erkrankungen, zum Beispiel Alzheimer.

Um diese krankhaften Veränderungen im alternden Gehirn zu verstehen und mögliche Therapien zu finden, sind Forschungsteams weltweit bemüht, die Funktionsweise und Selbsterhaltung von Nervenzellen zu ergründen.

Bedeutung von RNA-Molekülen …

Eine Gruppe um Martin Hetzer vom Institute of Science and Technology Austria (ISTA) im niederösterreichischen Klosterneuburg konnte nun zum ersten Mal bei Säugetieren – nämlich bei Mäusen – zeigen, dass auch die bislang als eher kurzlebig geltende RNA (Ribonukleinsäure) ein ganzes Leben lang bestehen bleiben kann.

RNA-Moleküle steuern verschiedene biologische Prozesse innerhalb der Zelle. In ihrer Studie, die im Fachjournal „Science“ veröffentlicht wurde, identifizierten die Forschenden eine spezielle Gruppe von RNAs, die der Regulierung der Genomstabilität in den Mäusegehirnen dient. Es handelt sich um sogenannte nicht-kodierende RNAs.

Im Gegensatz zu der auch in Impfstoffen verwendeten Messenger-RNA (mRNA), die Proteine anhand der DNA formt, dienen nicht-kodierende RNAs der Gesamtorganisation und der Funktion der Zelle.

… als Schutz für das Erbgut

Hetzer und sein Team konnten nun zeigen, dass sich langlebige RNA-Moleküle in Neuronen vor allem aus nicht-kodierenden RNAs zusammensetzen. In Mäusegehirnen werden sie etwa zweieinhalb Jahre – das ist die Lebensspanne einer Maus – nicht abgebaut. Zwar stellte das Forschungsteam in den Nervenzellen der Mäusehirne nach einem Jahr einen leichten Rückgang der Konzentration von langlebiger RNA fest im Vergleich zu neugeborenen Mäusen. Doch auch nach zwei Jahren war sie noch nachweisbar, was auf eine lebenslange Existenz dieser Moleküle hinweise, so Hetzer.

Martin Hetzer, neuer Präsident des Institute of Science and Technology (ISTA), am Dienstag, 14. Februar 2023, im Rahmen eines Pressegesprächs in Klosterneuburg.
APA/KLAUS TITZER
Molekularbiologe und ISTA-Präsident Martin Hetzer

Langlebige RNA fand sich vor allem in der Nähe des sogenannten Heterochromatins – einer dicht gepackten Region des Erbguts im Zellkern. Um die Rolle dieser spezifischen RNA für die Haltbarkeit von Nervenzellen zu beweisen, verringerten die Forschenden absichtlich die Konzentration von langlebiger RNA in dieser Genomregion. In der Folge zeigten sich Veränderungen im Heterochromatin und das Erbgut wurde instabil, was die Lebensfähigkeit der Nervenzellen beeinträchtigte. Langlebige RNA beeinflusst also die Alterung bzw. die Selbsterhaltung von Nervenzellen.

Was passiert im Hirn des Menschen?

Nun stehe die Frage im Mittelpunkt, ob es auch beim Menschen langlebige RNA gebe, die bis zu 100 Jahre stabil ist. Oder ob doch Mechanismen griffen, die für eine Erneuerung der RNA sprechen, so Hetzer. Ersteres wäre für den Molekularbiologen eher unerwartet, doch „wenn wir uns menschliche Nervenzellen in der Zellkultur anschauen, so sieht dies doch sehr ähnlich aus“.

Beim Verständnis von Alterungsmechanismen des menschlichen Gehirns und Hinweisen, der Alterung von Zellen therapeutisch entgegenzuwirken, stehe die Forschung noch am Anfang, sagt Hetzer. „Das vergangene Jahrhundert war geprägt von dem Verständnis, wie das Leben aus einer befruchteten Eizelle entsteht. Das haben wir sehr gut verstanden – bis hin zur Funktion von Stammzellen und ihrem medizinischen Potenzial für die Zellerneuerung. Aber das Gehirn erneuert sich eben nicht.“

Deshalb müsse die Forschung nun im 21. Jahrhundert darauf ausgerichtet sein, welche Mechanismen in langlebigen Zellen wirken, die ja nicht nur im Gehirn, sondern auch im Herz oder in der Bauchspeicheldrüse vorkämen.