Die Kontrolle von Raubtierpopulationen hat in einem der untersuchten Projekte dazu geführt, dass mehr Unechte Karettschildkröten zur Welt kamen
Lewis Burnett
Lewis Burnett
Studie

Klima bald Haupttreiber für Artensterben

Für den weltweiten Artenverlust gibt es verschiedene Ursachen. Eine besonders große Rolle wird dabei in Zukunft wahrscheinlich das Klima spielen. Laut einer internationalen Studie könnte die Klimaerwärmung schon bis zum Jahr 2050 zum Haupttreiber für das Aussterben vieler Tier- und Pflanzenarten werden. Gegenmaßnahmen sind jedoch möglich – und zeigen zum Teil bereits Wirkung.

Die Artenvielfalt auf der Erde ist im vergangenen Jahrhundert bereits deutlich zurückgegangen. Verantwortlich dafür war vor allem das starke globale Bevölkerungswachstum, das zur Umwidmung vieler Flächen führte. Regionen, die zahlreichen Tier- und Pflanzenarten lange Zeit eine Heimat boten, wurden plötzlich zu Wohngebieten oder landwirtschaftlich genutzten Flächen.

Im 20. Jahrhundert verschwanden so weltweit zwischen zwei und elf Prozent der Arten, wie mehrere Modellrechnungen eines internationalen Forschungsteams aufzeigen. „Zwei Prozent klingt zwar nicht unbedingt dramatisch, wenn wir aber davon ausgehen, dass es auf der Erde insgesamt zwischen sechs und zehn Millionen Spezies gibt, sprechen wir bei zwei Prozent von mehreren hunderttausend Arten, die in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum ausgestorben sind“, sagte der Biologe Henrique Pereira vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) gegenüber science.ORF.at. „Das ist natürlich ein Desaster.“

Landnutzung wird geringeres Übel

Das Forschungsteam um Pereira verglich mehrere Studien und Modellrechnungen der vergangenen Jahre. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse präsentiert es derzeit im Fachjournal „Science“.

Die Forscherinnen und Forscher warfen dabei auch einen Blick in die Zukunft. „Früher waren die Veränderungen in der Landnutzung ganz klar der Haupttreiber für das Artensterben – in Zukunft wird sich das aber ändern“, so Pereira. „Es ist nicht zu erwarten, dass die Weltbevölkerung noch einmal so schnell wächst wie im 20. Jahrhundert, und es gibt auch bereits genug Maßnahmen, die uns künftig dabei helfen werden, die negativen Effekte der Landnutzung zumindest teilweise abzuschwächen.“ Als Beispiel für effektive Gegenmaßnahmen nannte der Biologe etwa das Errichten von Schutzzonen und eine nachhaltigere Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen.

Gut durchdachte Management-Pläne können die Abholzung vieler Wälder verlangsamen und den dort lebenden Arten helfen
Axel Fassio/CIFOR
Ein durchdachtes Management kann Abholzung verhindern und den Lebensraum zahlreicher Tier- und Pflanzenarten bewahren

Klimaerwärmung zunehmend problematisch

Auch in Zukunft wird die Umwidmung von Naturflächen noch zu einem gewissen Verlust der Artenvielfalt führen, der Hauptverursacher könnte sich jedoch schon bald ändern. „Die Klimaerwärmung war in der Vergangenheit nicht unbedingt relevant, sie wird in Bezug auf die globale Artenvielfalt aber immer bedeutender“, so Pereira. „Wir schicken riesige Mengen Treibhausgase in die Atmosphäre, und die Temperaturen steigen sehr schnell. Bis zur Mitte des Jahrhunderts, also schon in den kommenden 30 Jahren, wird die Klimaerwärmung daher wahrscheinlich zum Haupttreiber für den weltweiten Artenrückgang.“

Das Forschungsteam untersuchte drei unterschiedliche Szenarien und ermittelte dabei die wahrscheinlichsten Auswirkungen der Klimaerwärmung – von einem Szenario mit etwa zwei Grad Temperaturanstieg bis zu einer extremeren Situation, in der die Treibhausgasproduktion unreguliert bleibt und sich die Temperaturen um bis zu sechs Grad erhöhen.

„Bei einem Temperaturanstieg von zwei Grad, was das bestmögliche Szenario ist, das wir in unseren Modellen berechnet haben, werden weltweit bereits zahlreiche Arten aussterben. Wenn wir uns das Sechsgradszenario anschauen, ist es eine komplette Katastrophe. Sollten wir uns tatsächlich in diese Richtung entwickeln, steht uns wohl bald etwas wie ein globales Massenaussterben bevor“, so Pereira.

Die Auswirkungen künftiger Landnutzungsänderungen und der Klimaerwärmung ergaben im Modell zusammen weltweite Biodiversitätsrückgänge zwischen knapp unter einem bis fünf Prozent pro Jahrzehnt. Gelänge es, das Temperaturplus auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, fiele auch der Rückgang der Artenvielfalt um 40 bis 74 Prozent niedriger aus als bei einem Szenario ohne Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen.

Klimaschutz ist Artenschutz

Besonders wichtig für den künftigen Schutz der Arten sei daher, die Klimaerwärmung so effektiv wie möglich einzudämmen. „Wenn wir Maßnahmen gegen den Klimawandel setzen, helfen wir damit auch automatisch der Artenvielfalt“, so Pereira.

Zusätzlich gibt es noch andere bereits wirksame Maßnahmen, wie die ebenfalls in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Science“ erschienene Untersuchung eines Forschungsteams um die US-amerikanische Biodiversitätsforscherin Penny Langhammer aufzeigt.

Die Forscherinnen und Forscher analysierten darin knapp 190 Studien aus den vergangenen Jahrzehnten, die sich mit den globalen, aber auch lokalen Auswirkungen verschiedener Artenschutzbemühungen auseinandersetzten. Der Großteil der untersuchten Arbeiten kam aus Europa, Nordamerika, Australien und Neuseeland, und bei rund zwei Drittel der darin beschriebenen Maßnahmen sahen die Forscherinnen und Forscher positive Effekte.

Der Schutz und das Wiederherstellen von Lebensräumen kann der Analyse zufolge den Artenrückgang effektiv abschwächen
Zaria Dean, Bahamas National Trust
Der Schutz und das Wiederherstellen von Lebensräumen zeigen im Kampf gegen den weltweiten Artenverlust bereits Wirkung

Schutzmaßnahmen wirken, aber …

Vor allem vier Maßnahmen wirken laut der Studie nachweislich: die Kontrolle und Überwachung invasiver Arten, das gezielte Wiederherstellen und der Schutz bestimmter Ökosysteme, ein nachhaltiges Management dieser Regionen und das Errichten von weiteren Schutzzonen. So konnte der Artenverlust in einigen der untersuchten Regionen bereits deutlich verlangsamt werden. In manchen Fällen nahm die Artenvielfalt aufgrund der ergriffenen Maßnahmen sogar wieder ein bisschen zu.

Trotz der aus Perspektive der Forscherinnen und Forscher insgesamt positiven Bilanz der Naturschutzmaßnahmen wiesen sie in der Arbeit jedoch auch darauf hin, dass die Bemühungen zum Schutz der Artenvielfalt künftig noch erheblich ausgeweitet werden müssen. Das sieht auch Pereira so: „Dass die Maßnahmen auf lokaler Ebene wirken, ist natürlich sehr erfreulich – im Angesicht der fortschreitenden Klimaerwärmung muss aber auch global noch sehr viel mehr getan werden, um ein künftiges Massenaussterben zu verhindern.“