Der Flusslauf der Traisen aufgenommen am Montag, 21. August 2023, bei Traismauer.
APA/HELMUT FOHRINGER
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Offener Brief

Wissenschaft drängt zu Renaturierungsgesetz

In einem vom WWF Österreich initiierten offenen Brief an die Landeshauptleute fordern rund 170 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Ende der Blockade seitens der Bundesländer für die Zustimmung Österreichs zum EU-Renaturierungsgesetz. Das geplante Gesetz sieht vor, dass künftig mehr Wälder aufgeforstet, Moore wiedervernässt und Flüsse in ihren natürlichen Zustand versetzt werden.

„Andernfalls droht ausgerechnet Österreich zum politischen Totengräber eines vorbildlichen Ansatzes zu werden, der eine EU-weite Antwort auf die gekoppelte Klima- und Biodiversitätskrise darstellt“, heißt es darin.

Für das Renaturierungsgesetz gab es zuletzt Ende März einen herben Rückschlag, als eine Abstimmung unter den 27 EU-Botschafterinnen und EU-Botschaftern zu dem lange geplanten Vorstoß kurzfristig wieder abgesagt wurde. Damit war auch die vorgesehene Absegnung des Gesetzes durch den Rat der EU-Umweltministerinnen und -minister vorerst wieder vom Tisch.

Für eine qualifizierte Mehrheit habe noch die Stimme eines zusätzlichen Landes gefehlt, so ein EU-Diplomat damals. Österreich muss sich jedenfalls wegen eines Beschlusses der Bundesländer der Abstimmung enthalten.

Hier setzt der an die Landeshauptleute adressierte offene Brief (PDF) an: „Anlässlich der intensiven Verhandlungen über das geplante EU-Renaturierungsgesetz (EU Nature Restoration Law, NRL) möchten wir mit diesem Schreiben auf dessen herausragende Bedeutung für Österreich und Europa aufmerksam machen. Zugleich ersuchen wir die neun Landeshauptleute persönlich, sich für ein positives Votum Österreichs einzusetzen und den Weg für ein Ja der Bundesregierung im Rat freizumachen.“

Gesetz als „Rundum-Lösung“

Unterzeichnet von u. a. dem Ökologen Franz Essl, der Politikwissenschafterin Alice Vadrot, dem Umweltmediziner Hans-Peter Hutter, der Umwelthistorikerin Verena Winiwarter und der ehemaligen Leiterin des Sekretariats des UNO-Weltklimarats (IPCC), Renate Christ, weist man darauf hin, dass aus wissenschaftlicher Sicht „die Verbesserung und Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme zu den dringlichsten Aufgaben der nächsten Jahrzehnte“ zähle.

Das Renaturierungsgesetz sei „eine einmalige Chance für die gesamte Europäische Union, weil es die biologische Vielfalt erhöht, den Kampf gegen die rasante Klimaveränderung und ihre Folgen unterstützt und nicht zuletzt auch unsere Ernährung langfristig sichert“.

Durch seine „Gesamtwirkung“ könne das NRL „als eine Art Rundum-Lösung“ wirken und neben der Ernährungssicherheit zum Beispiel auch „Siedlungsräume und Agrarflächen vor Hochwasser schützen, weil es an den Wurzeln vieler Probleme ansetzt“, so die Forscherinnen und Forscher, die auch darauf hinweisen, dass europaweit selbst viele geschützte Flächen in einem schlechten Zustand sind. In Österreich verfehlt überdies „mehr als die Hälfte der Fließgewässer“ die Kriterien für einen guten ökologischen Zustand, außerdem setzten der hohe Bodenverbrauch sowie „Lebensraumzerschneidung und -zerstörung sowie Verschmutzung“ der Natur stark zu.

Österreich kann „Wende herbeiführen“

Dem etwa von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) vorgebrachten Argument, dass das EU-Renaturierungsgesetz zu wenig auf die Besonderheiten der einzelnen Länder eingehe, treten die Forschenden und der WWF entgegen: Der nunmehrige Vorschlag „enthält verbindliche Ziele und Fristen, lässt aber zugleich den einzelnen EU-Mitgliedstaaten die notwendigen Freiheiten, wie sie diese Ziele erreichen möchten. Wir halten das für einen richtigen Ansatz, der auch die unterschiedlichen Voraussetzungen der Regionen und Bundesländer berücksichtigt.“

Der zuletzt ausgearbeitete Kompromiss habe bereits viele der früheren Kritikpunkte ausgeräumt. Die Landeshauptleute sollten ihre bisherige Position überdenken, schreiben die Forscherinnen und Forscher. Österreich zähle „zu jenen wenigen Ländern, die eine Wende herbeiführen können, denn das notwendige Quorum im Rat der Umweltministerinnen und Umweltminister wird aktuell nur mehr hauchdünn verfehlt“. Die Landeshauptleute könnten mit einem Umschwenken „europäische Naturschutzgeschichte schreiben“ und „Österreichs Ansehen in der Welt stärken“.