Ungesunde Lebensmittel, Pizza, Pommes, Chips, Keks, Burger, Doughnuts,..
beats_/stock.adobe.com
beats_/stock.adobe.com

Raus aus der Suchtfalle Lebensmittel

Seit Jahrzehnten steigt die Anzahl an übergewichtigen Menschen stark an. Manche Fachleute halten hochverarbeitete Lebensmittel, die süchtig machen, für die wahre Ursache. Wie ein neues Klassifikationsschema helfen soll, die drogenähnlichen Lebensmittel zu erkennen und zu meiden, erklären Iris Zachenhofer und Shird Schindler in einem Gastbeitrag. Die Suchtmediziner haben soeben ein Buch zum Thema veröffentlicht.

Viele hochverarbeiteten Lebensmittel sind speziell dafür designt, das Belohnungssystem im Gehirn zu aktivieren. Indem Lebensmittelkonzerne die Zusammensetzung von Fett und Kohlehydraten der hochverarbeiteten Substanzen optimieren und die Lebensmittel sehr schnell im Magen-Darm-Trakt aufgenommen werden sowie das Darmmikrobiom verändern, erhöht sich das Suchtpotential dieser Lebensmittel.

Iris Zachenhofer und Shird Schindler
Lukas Beck

Über Autorin und Autor

Iris Zachenhofer ist ehemalige Neurochirurgin an der Wiener Universitätsklinik und an der Neurochirurgie in Feldkirch, und jetzt Psychiaterin an der Klinik Penzing (vormals Sozialmedizinisches Zentrum Baumgartner Höhe) in Wien. Shird Schindler ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin und Vorstand am Zentrum für Suchtkranke in der Klinik Penzing und Leiter der Abteilung für forensische Akutpsychiatrie in der Klinik Hietzing.

Noch viele Wochen nach dem letzten Konsum von hochverarbeiteten Lebensmitteln zeigten sich in Studien in Gehirnscans (MRT) der Probanden noch die Effekte von hochverarbeiteten Lebensmitteln, wie eine stärkere Aktivierung des Belohnungssystems. In der Folge verringert sich bei Menschen das Sättigungsgefühl, Bremsmechanismen fehlen, man kann trotz negativer Konsequenzen nicht mehr aufhören zu essen. Es kommt zu Kontrollverlust und exzessivem Konsum. Süchtiges Verhalten entsteht. Von mehreren Forschern wird daher bereits die Klassifizierung von hochverarbeiteten Substanzen gefordert, ähnlich wie bei Zigaretten, da das Suchtpotential ähnlich sei.

Von Lebensmittelkonzernen wurde jahrzehntelang verschleiert, dass hochverarbeitete Lebensmittel die Ursache der globalen Adipositas-Pandemie sind, und nicht etwa fettes Essen, Kohlenhydrate oder ein Mangel an Bewegung, schreibt der britische Ernährungswissenschaftler Tim Spector in seinem populärwissenschaftlichen Buch „Die Wahrheit über unser Essen: Warum fast alles, was man uns über Ernährung erzählt, falsch ist“.

Neue Skala

Eine Forschungsgruppe um den brasilianischen Forscher Carlos A. Monteiro entwickelte daher die NOVA-Klassifikation, ein neuartiges Bewertungsschema für Lebensmittel, das sich am Grad ihrer Verarbeitung und damit an ihrer Entfernung von der Natur orientiert. Sie definiert hochverarbeitete Lebensmittel als Ursache für das weltweit zunehmende Übergewicht.

Ö1-Sendungshinweis

Iris Zachenhofer und Shird Schindler sind heute zu Gast in „Punkt eins“, 7.2., 13:00

Industrielle Verarbeitung als solche gilt dabei nicht als problematisch. Erst die hochverarbeitete Nahrung gilt als gefährlich und wird als neuartiges hohes Gesundheitsrisiko definiert. Die Forscher berichteten, der Grund für die Erstellung dieser neuen Klassifikation sei gewesen, dass konventionelle Einteilungen von Lebensmitteln nicht mehr funktionieren und irreführend sind. So seien etwa gesunde Vollkornbrote in einer Gruppe mit gesüßten und gefärbten Frühstücksflocken gewesen oder auch ein frisches Biohuhn gemeinsam mit Chicken Nuggets.

Buchhinweis

Dr. Iris Zachenhofer & Dr. Shrid Schindler: Raus aus der Suchtfalle Lebensmittel – Suchtpotenzial erkennen. Selbstbestimmt essen. Gewicht reduzieren. Februar 2024, ISBN: 978-3-99001-722-7

Veraltete Einteilung

Die NOVA-Klassifikation löst damit unsere bisherigen, veralteten Einteilungen von Lebensmitteln nach Kalorien, nach Fett- oder Eiweißgehalt oder nach glykämischen Index komplett ab und kann einen Paradigmenwechsel für Ernährungskriterien bedeuten, da das Suchtpotential und damit die Gefährdung durch Lebensmittel rasch und unkompliziert beurteilt werden könne.

Es bleibt zu hoffen, dass wir uns durch die neue Klassifikation von hochverarbeiteter Nahrung als Suchtmittel befreien, bewusster konsumieren und wieder selbstbestimmt essen können, und dass wir uns wieder in Richtung eines natürlicheren und gesünderen Essverhaltens bewegen.