Frau am Montag, 22.Juni 2015, im Flüchtlingslager Traiskirchen.
APA/Robert Jäger
APA/Robert Jäger
Zeitgeschichte

Warum es ein Museum der Migration braucht

Migration, Flucht, Vertreibung und globale Mobilität haben die Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts geprägt. Die Themen bestimmen den politischen Diskurs, in Museen sind sie kaum präsent. Für Zugewanderte sind die nationalen Gedächtnisorte oft wenig anschlussfähig, wie die Historikerin Regina Wonisch in einem Gastbeitrag schreibt. Für ihre historischen Erfahrungen gebe es keinen Raum.

Es ist vor allem dem nachhaltigen Engagement von Vereinen und Einzelpersonen aus den migrantischen Communitys zu verdanken, dass Dokumente und Materialien zur Migrationsgeschichte aufbewahrt wurden, die nur in Ausnahmefällen Eingang in kommunale und nationale Gedächtnisinstitutionen gefunden haben. Die Historisierung und Musealisierung der Migration ist ohne die Repräsentationskämpfe ihrer Subjekte und die Initiativen zur Selbstdokumentation nicht denkbar. Eine zentrale Aktion in diesem Zusammenhang war die Kampagne der beiden Aktivisten und Kuratoren Arif Akklıç und Ljubomir Bratić für ein Archiv der Migration, die zahlreiche Projekte nach sich zog und bis dato in unterschiedlichen Formen weitergeführt wird.

Regina Wonisch ist Historikerin und Museologin. Sie ist assoziiertes Mitglied des Instituts für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und Leiterin des Forschungszentrums für historische Minderheiten in Wien.

Nicht nur die Sammlungen, auch die Initiativen für Migrationsausstellungen wurden zumeist von außen an die etablierten Gedächtnisinstitutionen herangetragen. Eine vor allem für den wissenschaftlichen und aktivistischen Diskurs bahnbrechende Ausstellung in Österreich war „Gastarbajteri. 40 Jahre Arbeitsmigration“, die getragen von der Initiative Minderheiten 2004 im Wien Museum gezeigt wurde. Sie widmete sich vor allem den Arbeitsbedingungen und politischen Kämpfen der Migrant_innen und vermied es, in die „Kulturalisierungsfalle“ zu tappen.

Boom in Deutschland

In der Museumslandschaft selbst fand die Ausstellung weniger Widerhall. Doch als sich die Anwerbeabkommen mit der Türkei und Jugoslawien in den Jahren 2014 und 2016 zum fünfzigsten Mal jährten, wurden diese Daten von vielfältigen Organisationen – wie z.B. von JUKUS, der als Verein zur Förderung von Jugend, Kultur und Sport viel an transkultureller Arbeit leistet – österreichweit zum Anlass für Migrationsausstellungen genommen.

Fotos und Dias des DOMiD-Archivs in Köln
Dietrich Hackenberg/ DOMiD-Archiv, Köln
Fotos und Dias im DOMiD-Archiv Köln

Auffallend bleibt jedoch, dass vor allem lokale Initiativen und Universitäten die Chance ergriffen, das Thema Arbeitsmigration in einer breiteren Öffentlichkeit zu verhandeln. Auch in Deutschland fand zu dieser Zeit ein „Migrationsausstellungsboom“ statt. Im Unterschied zu Österreich hatten sich dort allerdings auch etablierte Gedächtnisinstitutionen wie etwa das Deutsche Historische Museum mit „Zuwanderungsland Deutschland“ (2005) bereits des Themas Migration angenommen.

Hat jedoch ein Museum bzw. eine Kommune einmal eine Migrationsausstellung gemacht, gilt das Thema gleichsam als abgehakt. Dies hatte zur Folge, dass andere Migrationsgruppen als die „Gastarbeiter“ der 1960er Jahre meist unterrepräsentiert blieben. So betrachtet, können Migrationsausstellungen auch den Diskurs schließen, anstatt ihn zu öffnen.

Es braucht daher Räume, wo eine permanente Debatte um Themen wie Migration, Flucht, Vertreibung und globale Mobilität – jenseits der gängigen Diskurse um Bedrohung oder Bereicherung – unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure der Migration und der Zivilgesellschaft stattfinden kann. Marginalisierte Narrative wie jene zum Thema Migration können zwar relativ rasch Eingang in temporäre Ausstellung finden, doch selten in die musealen Repräsentationen. Ein Ausweg aus diesem Dilemma wird vielerorts in der Gründung von Migrationsmuseen gesehen.

Der lange Weg zum Migrationsmuseum

Eine der frühesten Initiativen war DOMiT das Dokumentationszentrum und Museum über die Migration aus der Türkei, das 1990 in Köln von Migrant_innen ins Leben gerufen wurde. Die Sammlungstätigkeit begann zunächst im privaten Umfeld der Vereinsmitglieder – nicht zuletzt weil es eines Vertrauensverhältnisses bedarf, um persönliche Objekte und Geschichten einer öffentlichen Institution zu überlassen. Auch aus diesem Grund finden Fotos, Dokumente und Erinnerungsstücke von Zugewanderten ohne begleitende Initiative kaum den Weg in kommunale oder staatliche Gedächtnisinstitutionen.

So soll das geplante Migrationsmuseum in Köln in etwa aussehen.
krafthaus/ DOMiD-Archiv, Köln
Offen und kommunikativ, so wird das geplante Migrationsmuseum in Köln in etwa aussehen.

Im Jahr 2007 kam es zur Fusion zwischen DOMiT und dem wenige Jahre zuvor gegründeten Verein Migrationsmuseum in Deutschland. Mit dem neuen Verein DOMiD, – Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V. verlagerte sich die Perspektive von einer türkischen Selbstorganisation zu einer gesamtgesellschaftlichen Einrichtung zum Thema Migration. „Ein Migrationsmuseum ist kein ritueller Ort kultureller Erinnerung, vielmehr dekonstruiert es historische Selbstvergewisserungen, die überwiegend national orientiert sind“, formulierte der damalige DOMiD-Leiter Aytaç Eryilmaz.

Doch erst nach drei Jahrzehnten intensiver Arbeit ist die Initiative von Erfolg gekrönt. Unter dem Geschäftsführer Robert Fuchs wurden Ende 2019 die Budgetmittel für ein „Haus der Einwanderungsgesellschaft“ bewilligt. Es versteht sich als das zentrale Migrationsmuseum in Deutschland, ungeachtet dessen, dass es in Bremerhaven bereits seit 2005 das Deutsche Auswandererhaus gibt, das sich durch den Erweiterungsbau zur Einwanderungsgeschichte Deutschlands 2012 zum „bundesweit ersten Migrationsmuseum“ entwickelt hat.

Ambivalenzen der Repräsentationspolitik

Das Kollektiv MUSMIG – Museum der Migration in Wien, das sich aus Forscher_innen, Künstler_innen, Kurator_innen und Aktivist_innen zusammensetzt, hat sich demselben Ziel verschrieben. Doch die Frage bleibt: Handelt es sich bei einem Museum der Migration, um eine Strategie der Ermächtigung, die immer auch mit der Frage nach Sichtbarkeit und Repräsentanz einhergeht, oder um eine Beruhigungsinstitution, um in den übrigen Museen keine Veränderungen vornehmen zu müssen?

Die Befriedigung des Wunsches nach Repräsentation kann auch zu einem symbolischen Akt verkommen. Das Bewusstmachen von Abwesenheit hingegen ist oftmals verstörender als der Versuch, die Lücken zu schließen. Die eigentliche Brisanz liegt in der Analyse und Kritik vorherrschender Repräsentations- und Geschichtspolitik. Vielen Migrant_innen geht es auch nicht so sehr um die Darstellung ihrer Biografien. Im Gegenteil: ihr Anliegen ist es, nicht permanent im Kontext von Migrationsgeschichten verortet und damit fixiert zu werden. Denn die Anerkennung, auf die sie letztlich abzielen, besteht darin, als gleichberechtigte Bürger_innen wahrgenommen zu werden.

Veranstaltungsflyer zum Museum der Migration
Kollektiv MUSMIG/Georg Kö
Veranstaltungsflyer

Ein Museum der Migration und die Strategie, die Perspektive der Migration in allen Museen zu verankern, schließen sich nicht aus. Im Gegenteil es braucht beides. Die inhaltliche Fokussierung kann Migrationsmuseen zu „Kompetenzzentren“ für eine differenziertere Auseinandersetzung mit der Einwanderungsgesellschaft machen. Dafür braucht es eine breite und sozial differenzierte Sammlung von Objekten, Dokumenten, Bildern und vor allem Geschichten. Ein Archiv der Migration und ein Museum der Migration bedingen einander. Es braucht die systematische Sammlung von historischen Zeugnissen, um daraus jene Geschichten generieren zu können, die den Objekten eines Museums der Migration Sinn verleihen. Und es braucht ein Museum der Migration, um das in einem Archiv gespeicherte Wissen in einen öffentlichen Diskurs überführen zu können.

Die Debatte eröffnen

Im Unterschied zu anderen Museumsinitiativen versteht sich das Kollektiv MUSMIG – Museum der Migration jedoch vor allem als Ideenwerkstatt. Es braucht die Forderung nach einem Museum der Migration, um einen breiten gesellschaftlichen Diskurs um Nationalismus, Rassismus und Migration immer wieder aufs Neue in Gang zu setzen und Raum für neue politische, ökonomische und soziale Utopien zu schaffen. Wollen Museen nicht nur Gedächtnisspeicher, sondern aktive Akteure an der „configuration of memory“ sein, dann müssten sie sich als Orte konkurrierender Erinnerungen und Gedächtnispolitiken verstehen.

Ist der Weg zu einem Museum der Migration von einer lebendigen Auseinandersetzung begleitet, ist er genauso wichtig, wie die Etablierung des Raumes selbst. Dann ist es vielleicht letztlich egal, ob das Museum realisiert wird oder Utopie bleibt. Folgerichtig nimmt das Kollektiv MUSMIG gemeinsam mit dem Archiv der Migration, dem Textfeld Südost und dem Kulturraum 10 eine wirkmächtige Setzung vor und feierte am 21. Februar 2020 in der Galerie Die Schöne „Die Geburt des Museums der Migration“, indem es die Debatte um die Historisierung der Migration zum Thema der Ausstellung macht. Es braucht solche Initiativen, die nicht nur eine transnationale Perspektive auf die Geschichte einfordern, sondern auch die Bedingungen der Herstellung musealer Repräsentationen mitreflektieren – hat doch das moderne Museum zum Denken in Differenzen und zur Etablierung des Nationalismus maßgeblich beigetragen.