Junge Frau schaut überrascht auf ihr Smartphone
Sofiia – stock.adobe.com
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Twitter-Analyse

„Yeesss!“ – Wenn Buchstaben Gefühle zeigen

Grammatik und Rechtschreibung sind auf Twitter, Facebook und Co. Nebensache. Man möchte authentisch klingen und Gefühle zeigen, etwa indem man Wörter in die Länge zieht: „Yeesss!“ Eine Analyse von 100 Milliarden Tweets zeigt: Solche „pseudomündlichen“ Schreibweisen nehmen zu und entwickeln ein Eigenleben.

Beim Sprechen hat man viele Möglichkeiten, sich abseits des Gesagten auszudrücken, nicht nur mit Hilfe von Gestik und Mimik. Auch der Klang und die Betonung können die Bedeutung unterstreichen und verändern oder zeigen, wie es dem Sprecher oder der Sprecherin geht. Eine einfache Möglichkeit, dem Gesagten eine bestimmte Richtung oder einfach mehr Gewicht zu geben, besteht darin, einzelne Wörter bzw. Vokale und Konsonanten in die Länge zu ziehen.

So wird aus einem harmlosen „Tor!“ der begeisterter Ausruf, wie man ihn aus der Sportberichterstattung kennt: „Toooooor!“. Man kann damit auch Gefahr signalisieren: „Hiiiilfeeee!“, dem Gesagten mehr Nachdruck verleihen: „Neiiiiin!“ oder ihm einen ironischen Unterton hinzufügen: „Aber siiiicher!“ Bei geschriebener Sprache kam diese Form der Verzerrung ursprünglich kaum vor, abgesehen von literarischen Texten oder in Comics, wo Dialoge möglichst realistisch klingen sollen.

“Pseudomündliche“ Kommunikation

Erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten fanden solche mündlichen Sprachelemente zunehmend ihren Niederschlag in der Schriftlichkeit – verantwortlich ist die Digitalisierung. Anstatt direkt miteinander zu sprechen oder zu telefonieren, wird heute viel häufiger schriftlich kommuniziert als früher, per E-Mail, SMS und über Soziale Medien – das spiegelt sich häufig in einer „pseudomündlichen“ Form, wie sie heute nicht nur junge Menschen im digitalen Raum verwenden. Dabei helfen beispielsweise Emojis, die ein Lächeln oder ein Zwinkern im Gespräch ersetzen sollen. Auch die Sprache selbst trägt typische Kennzeichen der Mündlichkeit. Sätze sind oft unvollständig, am Dialekt orientiert und ähnlich wie beim Sprechen werden Wörter gedehnt, um eine bestimmte Bedeutung zu unterstreichen oder Gefühle auszudrücken.

Welche Wörter gedehnt werden, wie häufig sie sind und wie sich ihr Gebrauch verändert, haben Forscher um Tylor Gray von der University of Vermont nun mit einer eigens entwickelten Methode statistisch untersucht. Für ihre soeben in „PLOS ONE“ erschienenen Studie haben sie zehn Prozent aller Twitter-Daten vom September 2008 bis Dezember 2016 – das waren mehr als 100 Milliarden Tweets – analysiert. Die meisten waren in englischer Sprache verfasst, aber auch andere Sprachen wie Spanisch oder Portugiesisch kamen im Datensatz vor.

“Hahahaha“ und „Yeessss!“

Bei der systematischen Suche identifizierte das Team Tausende dehnbare Wörter – meist waren es solche, die auch Gefühle oder Stimmungen transportieren können. Besonders oft gedehnt werden lautmalerische Wörter wie „Hahahahaha“, aber auch affirmative Partikel wie „Yeeessss!“, Anreden wie „Duuuude“ oder Eigenschaftswörter wie „awesssssommmmmeeeeee“ werden häufig verlängert.

Die analysierten Daten zeigen laut den Forschern auch, wie sich die Verwendung der gedehnten Wörter im Lauf der acht Jahre verändert hat. Zu Beginn verwiesen sie mehr oder weniger direkt auf die Aussprache, d.h., mündliche Varianten wurden einfach schriftlich imitiert. Mit der Zeit entwickelte die schriftliche Dehnung aber eine Art Eigenleben. Das zeigt sich etwa darin, welche Vokale oder Konsonanten vervielfacht werden. Fanden sich in den frühen Jahren meist theoretisch hörbare Verlängerungen wie eben bei „Yeeessss!“,, gab es am Ende der Analyseperiode immer häufiger Dehnungen, die man gar nicht aussprechen könnte, wie etwa in „Pleaseeeeee“ oder in „Helppppp“. Generell wird zunehmend der Endbuchstabe vervielfacht.

Eigenständiges Sprachmerkmal

Für die Forscher ein Zeichen dafür, dass sich aus der anfänglichen lautmalerischen Dehnung eine Art eigenständiger visueller Reiz entwickelt hat. Gedehnte Wörter seien sehr sichtbar. Manche Tweets bestehen sogar nur aus einem einzigen langgezogenen Wort. Manchmal wird sogar jeder einzelne Buchstabe verdoppelt oder vervielfacht, um mehr Aufmerksamkeit zu erhalten.

Mit Hilfe der von den Forschern entwickelten Methode wird es in Zukunft jedenfalls leichter sein, gezielt nach gedehnten Wörtern zu suchen – mit herkömmlichen Suchalgorithmen ist das nämlich gar nicht so einfach. Das könne nicht nur dabei helfen, linguistische Fragen rund um die Art und Weise ihrer kommunikativen Verwendung zu klären, schreiben die Autoren, ob es zum Beispiel Unterschiede zwischen den verschiedenen elektronischen Kanälen mit und ohne Zeichenbeschränkung gibt. Auch Sprachverarbeitungsprogramme könnten von der Methode profitieren. Die hätten derzeit nämlich noch viele Probleme, wenn es darum geht, nicht standardisierte Sprache in sozialen Medien zu „verstehen“. Bei der Rechtschreibprüfung könnte das neue Verfahren ebenfalls helfen.