Ärztin mit Datenblatt im Krankenhaus
©ipopba – stock.adobe.com
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Österreich

Covid-19-Daten: Noch immer blinde Flecken

Am 25. Februar sind die ersten beiden Sars-CoV-2-Infektionen in Österreich bestätigt worden. Seit damals werden täglich Zahlen aktualisiert überarbeitet. Dennoch gibt es nach wie vor blinde Flecken – so ist es etwa noch immer nicht klar, wo ein Großteil der Covid-19-Toten verstorben ist.

Die zentrale Anlaufstelle für Informationen zur Covid-19-Epidemie in Österreich ist das Dashboard des Gesundheitsministeriums. Dort findet man, dass bisher knapp 17.500 Menschen in Österreich positiv auf das neuartige Coronavirus getestet wurden. Außerdem gibt es – für die gesamte Zeit seit Ende Februar – Zahlen zu den aktuell erkrankten, genesenen und verstorbenen Personen. Die Verstorbenen werden auch in ihrer Verteilung auf einzelne Altersgruppen dargestellt. Hier sieht man, dass Sars-CoV-2 vor allem Personen ab 65 Jahren gefährdet. Menschen über 84 Jahren sind am häufigsten mit der Krankheit verstorben, sowohl in absoluten Zahlen als auch im Verhältnis zu 100.000 Einwohnern.

Zwei Zahlen für Todesfälle

Bei den Verstorbenen gibt es nach wie vor eine österreichische Besonderheit: Es werden zwei Zahlen dargestellt, einmal die „gemeldeten Todesfälle“ und einmal die „bestätigten Todesfälle gemäß Epidemiegesetz“. Der Unterschied: Die erste Zahl bezieht sich auf jene Toten, bei denen – neben anderen Erkrankungen – auch eine Infektion mit Sars-CoV-2 nachgewiesen wurde. Bei der zweiten, derzeit im Durchschnitt um 30 Fälle niedrigeren Zahl setzt ein Amtsarzt einen Extra-Haken, wonach Covid-19 die vermutliche Haupttodesursache war. Unter Medizinern gilt es als umstritten, ob diese Einschätzung ohne genaue Obduktion möglich ist.

In Deutschland weist das für die Dokumentation zuständige Robert-Koch-Institut deshalb nur eine Zahl von „Todesfällen in Zusammenhang mit COVID-19-Erkrankungen“ aus. Und auch in Österreich fahren nicht alle offiziellen Stellen zweigleisig: So weisen die Bundesländer nur eine Zahl aus, auch hier zählt man die mit Covid-19 verstorbenen Personen.

Ein Blick in ein Krankenhauszimmer, wo gerade ein Mann versorgt wird.
AFP
Kürzlich ist eine Datenauswertung erschienen, wonach Männer in allen Altersgruppen häufiger an Covid-19 sterben als Frauen. Österreich ist nicht erfasst – das ist auch nicht möglich, es gibt bei den Todesfällen keine Aufschlüsselung nach Alter und Geschlecht.

Man muss dem Gesundheitsministerium zugestehen: Nach anfänglich heftiger Kritik an fehlenden Daten hat man sich bemüht, zentrale Informationen mit dem Dashboard zugänglich zu machen. Auch Zeitreihen wurden geschaffen, so dass sich zu Punkten wie positiv getestete, genesene und verstorbene Personen der Verlauf beobachten lässt. Verknüpfungen von mehreren Eigenschaften sind aber nach wie vor nicht möglich, zum Beispiel weiß man bei den verstorbenen Personen nach Altersgruppen aufgeschlüsselt nicht, wie viele Frauen und Männer darunter waren – es gibt hier nur eine Gesamtzahl.

Krankenhäuser als Datenlücke

Besonders dünn wird die Datenbasis, wenn es um Hospitalisierungen und Intensivstationen geht. Da weist das Gesundheitsministerium seit Anfang April nur den Prozentsatz der belegten Betten aus. Wie viele Personen Betreuung im Krankenhaus und in Intensivstationen gebraucht haben, ist daraus nicht ersichtlich. Diese Information ist auch abseits des Dashboards schwer zu bekommen. Denn das Gesundheitsministerium kann nur den Abrechnungen der Spitäler entnehmen, wie viele Personen mit Covid-19 sie betreut haben.

Die jüngsten Daten entstammen der April-Abrechnung, für den Mai fehlen noch die Zahlen einiger Bundesländer, heißt es auf Anfrage von Ö1. Bis 30.4. waren demnach 2.040 Menschen mit Covid-19 im Krankenhaus, 254 davon in einer Intensivstation. Wie viele davon verstorben sind, kann man nur anhand der Erfahrungswerte von Intensivmedizinern schätzen – sie gehen von zirka der Hälfte aus, also etwa 125. Laut Dashboard des Ministeriums gab es am 30.4. allerdings 597 gemeldete Covid-19-Todesfälle in ganz Österreich. Wo sind diese Menschen gestorben? Bei der Gesundheit Österreich, die für das Ministerium Gesundheitsdaten erfasst, hat man dazu keine klare Antwort. Als „Erklärungsansätze“, warum schwer erkrankte Menschen nicht in eine Intensivstation gekommen sind, vermutet man spontane Verschlechterungen und Patientenwünsche. Freie Kapazitäten habe es in den Intensivstationen zu jedem Zeitpunkt gegeben.

Epidemischer Föderalismus

Dass die Coronavirus-Krise wie ein Brennglas Schwächen und Schieflagen hervorhebt, gilt auch für das österreichische Gesundheitssystem. Krankenhäuser haben in den letzten Jahren ihre Abläufe zwar in weiten Teilen digitalisiert, die Anbindung an überregionale Stellen lässt aber zu wünschen übrig. Das hat dazu geführt, dass zeitweise unterschiedliche Zahlen zu Intensivbetten in Österreich kursiert sind. Oder eben dazu, dass es bis heute keine Gesamtzahl der Covid-Intensivpatienten gibt.

Ö1 Sendungshinweis:

Über das Thema berichtet auch Wissen Aktuell am 25.6.2020.

Gesundheit ist in Österreich in weiten Teilen Ländersache. Auch das hat sich in dieser Gesundheitskrise besonders deutlich gezeigt, etwa als Bundesländer damit begonnen haben, aus Unzufriedenheit mit der Kommunikation des Gesundheitsministeriums ihre eigenen Dashboards aufzubauen. Aktuell zeigt sich bei den Ländern ein uneinheitliches Bild: Während Tirol eine detaillierte Plattform online hat, stellt Wien tägliche eine knappe Meldung zur Verfügung – ohne Zeitverlauf, Zuwachsraten oder Auswertung nach Bezirken.

Fromme Wünsche der Wissenschaft

Die Tücken des österreichischen Gesundheitssystems erschweren auch die Arbeit der Wissenschaft. Zwar können sich Forscherinnen und Forscher seit Kurzem registrieren lassen, um Zugriff auf das epidemiologische Meldesystem (EMS) zu haben. Dort werden zu Covid-19 aber nur Meldedaten, Diagnose, eventuell auch Symptome erfasst (siehe diese Anleitung zu einer EMS-Meldung durch einen Arzt). Vorerkrankungen, die wichtige Rückschlüsse auf Risikofaktoren in Österreich zulassen würden, finden sich dort nicht. Sie gäbe es in der elektronischen Gesundheitsakte Elga oder in der Dokumentation der Krankenhäuser – darauf hat aber die Wissenschaft wiederum keinen Zugriff.

Welche Vorerkrankung birgt das höchste Risiko eines schweren Verlaufs von Covid-19? Welche Rolle spielen dabei Geschlecht und Gewicht? Welche Therapien haben gut gewirkt, welche die Erwartungen enttäuscht? Wenn heimische Forscherinnen und Forscher diese Fragen beantworten wollen, müssen sie internationale Studien heranziehen. Die Wege anonymisierter Covid-Patienten durch das österreichische Gesundheitssystem auswerten zu können, bleibt auch vier Monate nach der Diagnose der ersten Fälle ein frommer Wunsch.