Am bedeckten Himmel baut sich eine Sturmfront auf
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Umstrittene Prognose

Erderwärmung nicht mehr aufzuhalten?

Der „Point of no return“ des Weltklimas könnte bereits überschritten sein: Selbst bei einem Totalstopp der Emissionen steige die Temperatur noch für Jahrhunderte, heißt es in einer aktuellen Studie. Klimaforscher widersprechen: Das Modell sei zu simpel, die Prognose zu pessimistisch.

Die Ergebnisse der Modellrechnungen lesen sich in der Tat dramatisch. Laut den beiden Studienautoren Jorgen Randers und Ulrich Goluke hätte der Ausstieg aus den Treibhaugasemissionen bereits in den 1960er oder 1970er Jahren abgeschlossen sein müssen, nun sei es zu spät: Ihrem Modell zufolge werde die globale Temperatur bis zum Jahr 2500 auf etwa plus drei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit klettern – auch dann, wenn es jetzt eine Totalumkehr der Klimapolitik gäbe und die Emissionen auf null reduziert würden.

Rückkoppelungen im Klimasystem

Grund dafür, so die beiden Forscher von der norwegischen Wirtschaftshochschule in Oslo, seien Rückkoppelungseffekte im Weltklima, nämlich: der Rückgang der von der Erde reflektierten Strahlung (Albedo) durch das Schmelzen arktischer Eismassen; der weitere Anstieg von Wasserdampf (ein potentes Treibhausgas) in der Atmosphäre; sowie der Ausstoß von CO2 und Methan aus tauenden Permafrostböden. Aufzuhalten sei diese Entwicklung allenfalls dann, wenn die Weltgemeinschaft sofort begänne, CO2 aus der Atmosphäre abzuscheiden, schreiben Randers und Goluke. Und geben für diese Maßnahme mit 33 Gigatonnen pro Jahr auch eine Größenordnung an. (Zum Vergleich: 2019 wurden 36,7 Gigatonnen in die Atmosphäre emittiert.)

Permafrostboden, zum Teil von Wasser bedeckt; im Hintergund bewaldetes Gebiet mit Nadelbäumen
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Tauender Permafrost setzt Emissionen frei – an der Quantifizierung scheiden sich die Geister

Soweit die zum Defätismus geeigneten Prognosen, nachzulesen in der aktuellen Ausgabe von „Scientific Reports". In Stein gemeißelt sind diese allerdings nicht, ein Rundblick in die Fachgemeinde fördert einige Schwächen der Studie zutage. Stefan Hagemann vom Helmholtz-Zentrum für Material- und Küstenforschung sagt etwa: „Ich bin sicher, dass es im Klimasystem sogenannte Kipppunkte gibt, aber es gibt bisher keine Hinweise darauf, dass dieser Punkt bereits erreicht wurde.“

Wie Hagemann kritisiert, beziehen sich Randers und Goluke nicht auf eines der etablierten, vom Weltklimarat IPCC verwendeten Modelle, sondern auf ein vereinfachtes Klimamodell namens ESCIMO. Darin, so der deutsche Klimaforscher, würden die negativen Effekte (z. B. Emissionen aus Permafrostböden) über-, die positiven (z. B. steigende Albedo durch Wüsten und Wolkendecke) unterschätzt. Das Modell möge Anregungen für die akademische Forschung geben, „um daraus irgendwelche politikrelevanten Schlüsse zu ziehen, ist es aber in keiner Weise geeignet“.

Modell „nicht zuverlässig“

Deutlicher wird Richard Betts. ESCIMO sei schlicht nicht zuverlässig genug, um Aussagen über die reale Welt zu ermöglichen, sagt der Klimaforscher von der University of Exeter. „Diese Studie könnte nun als Beleg dafür zitiert werden, dass es nun ‚zu spät‘ sei, den Klimawandel aufzuhalten. Doch sie ist nicht annähernd so stark, um solch beängstigende Botschaften glaubhaft zu machen.“

„Erhebliche Zweifel an der methodischen Gründlichkeit dieser Studie“, äußert auch Helge Goessling vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Phillip Williamson von der University of East Anglia indes rät, die Botschaft trotz methodischer Fragezeichen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. „Das sind Hinweise, die wir vielleicht nicht hören wollen: Es wäre möglich, dass sich die globale Erwärmung bereits selbst verstärkt und wir den ‚Point of no return‘ einer langfristigen Klimaentwicklung überschritten haben.“

Dass die Studie noch für einige Aufregung sorgen könnte, zeigt auch ein Blick auf die Presseseite des Verlagshauses Nature, Herausgeber der „Scientific Reports“. Die Kurzbeschreibung der Studienergebnisse wurde mittlerweile korrigiert, wo zunächst von „Simulation“ die Rede war, steht nun „Modell reduzierter Komplexität“. Die Passage „potenziell katastrophale Auswirkungen auf Ökosysteme und Gesellschaft“ wurde gestrichen.