Wolf im Wolf Science Center (WSC) in Ernstbrunn.
APA/HANS KLAUS TECHT
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Domestizierung

Fleischreste machten Wölfe zahm

Heute gilt der Hund als der beste Freund des Menschen. Aber wie hat die Freundschaft vor Zehntausenden Jahren begonnen? Forscher präsentieren eine neue These: Absichtlich übergelassene Reste von magerem Fleisch könnten die Zähmung des Wolfes eingeleitet haben.

Die gemeinsame Geschichte von Hund und Mensch begann, als die Menschen noch als Jäger und Sammler lebten, vor 20.000 bis 40.000 Jahren. Der Hund ist damit das älteste Haustier. Bis heute ist nicht geklärt, wo genau wildlebenden Wölfe allmählich zu treuen Begleitern wurden. Neuere genetische Untersuchungen legen nahe, dass es nur einmal und nicht mehrmals passierte.

Auch bei den Umständen der Haustierwerdung gibt es noch so manche offene Frage. Denn eigentlich waren Wolf und Mensch bei der Jagd Konkurrenten. Warum haben sich die beiden Arten dennoch angefreundet, anstatt sich gegenseitig umzubringen? Wie die Forscherinnen und Forscher um Maria Lahtinen von der Finnish Food Authority in ihrer soeben erschienenen Studie ausführen, könnte sich die Konkurrenz just in einer Zeit, in der die Ressourcen besonders knapp waren, in eine Art Symbiose verwandelt haben, nämlich während der letzten Kaltzeit, als große Teile der Nordhalbkugel vereist waren.

Mehr Protein als bekömmlich

Die Winter waren damals extrem streng und das Fleisch der Beutetiere – das waren z.B. Elche oder Rotwild – oft besonders mager. Laut Lahtinen et al. waren die Menschen in diesen Zeiten zwar auf Fleisch angewiesen, denn Pflanzenkost war witterungsbedingt Mangelware. Gleichzeitig sei der Mensch aber eben kein hundertprozentiger Fleischesser. Idealerweise deckt er nur etwa ein Fünftel seines Bedarfs durch Eiweiß, der Rest der Kalorien sollte von Kohlenhydraten und Fetten stammen. Ein exzessiver Konsum von Proteinen könne sogar zu erheblichen Gesundheitsproblemen führen. In nördlichen Regionen sei daher fettreiches Fleisch von Bären oder Fischen meist viel beliebter als mageres Muskelfleisch.

Britische Jagdhunde
AFP/OLI SCARFF
Britische Jagdhunde

Das durch die harschen Bedingungen in der Kaltzeit oft recht magere Wildfleisch lieferte also womöglich mehr Protein, als unsere jagenden Vorfahren verdauen konnten. Wölfe hingegen können ohne Probleme monatelang ausschließlich von Eiweiß leben. Es sei also naheliegend, dass die an Mischkost adaptierten Menschen vor allem die fettreichen, nahrhaften Teile der Beutetiere verzehrten. Die mageren Überreste blieben hingegen den fleischfressenden Wölfen.

Rechnerisch möglich

Ob eine solche sinnvolle Ressourcenteilung theoretisch möglich wäre, haben Lahtinen und Co. für ihre Studie nun ausgerechnet. In die Berechnung ist der durchschnittliche Protein- und Fettanteil der typischen Beutetiere eingeflossen. Abgesehen von marderartigen Tieren wie etwa Wiesel hatten vermutlich alle gejagten Arten deutlich mehr Proteinanteil als für Menschen bekömmlich gewesen wäre, schreiben die Autorinnen und Autoren. Selbst wenn der Fettanteil doch etwas höher gewesen ist, wäre immer noch genug für die Wölfe geblieben.

In diesen ressourcenarmen Zeiten könnten die Konkurrenten rein rechnerisch also tatsächlich voneinander profitiert haben. Dieser Umstand könnte bei der Entwicklung der ersten „Protohunde“ entscheidend gewesen sein und den Grundstein für die bis heute andauernde Freundschaft gelegt haben. Ein Haustier zu halten, sei ja nur möglich gewesen, wenn genug Nahrung für alle da war. Kleine Vorteile wie etwa Hilfe bei der Jagd oder Schutz vor anderen Räubern könnten in der Folge zur endgültigen Zähmung geführt haben.

Schlüssige These?

Diese Argumentation sei schlüssiger als die bisherigen zwei Hauptthesen zur Domestizierung der Wölfe, so Lahtinen und ihre Koautoren. Eine besagt, der Mensch habe die Wildtiere gezielt gezähmt, um sie für die Jagd zu nutzen. Ohne gegenseitigen Nutzen und fortgeschrittener Kommunikation sei eine sinnvolle Jagdpartnerschaft aber nicht wirklich vorstellbar, heißt es in der aktuellen Studie.

Die zweite gängige These geht davon aus, dass Abfälle des Menschen die gutmütigen Wolfexemplare angelockt haben. Auch das hält das Team für wenig wahrscheinlich. Damals lebten die Menschen nicht dauerhaft sesshaft, dass überhaupt nennenswerte Müllmengen angefallen wären. Abgesehen davon ernährten sich Wölfe sowie die ersten Hunde eben ganz anders als Menschen, wie Isotopenanalysen belegen. Mit gemischten Abfällen hätten sie wenig anfangen können, denn sie waren reine Fleischfresser; erst im Lauf der Jahrtausende wurden sie zu Allesfressern. Auch das spreche für die neue These, wonach die Tiere die proteinreichen Fleischreste von ihren menschlichen Konkurrenten absichtlich bekommen haben.